Zwischen Assimilierung und Selbstbehauptung - deutsche Minderheit in Tschechien
Vor dem Zweiten Weltkrieg lebten in der damaligen Tschechoslowakei über drei Millionen deutschsprachige Menschen. Nach der Vertreibung blieben noch 200.000 übrig. Doch die Zahl derer, die sich noch zur deutschen Nationalität bekennen, ist seitdem immer weiter gesunken. 2011 waren es nur noch knapp 19.000 tschechische Bürger. Doch wie ist es um die Deutschen in der Tschechischen Republik momentan bestellt?
„Die deutsch-tschechischen Beziehungen sind deswegen gut, weil es um das Geschäft, also um die wirtschaftliche Ebene sehr gut bestellt ist zwischen der Bundesrepublik und der Tschechischen Republik – aber auch weil die zwischenmenschlichen Beziehungen einfach problemlos sind. Wenn man sich im Zentrum von Prag umschaut, sind dort sehr, sehr viele deutsche Touristen. Und tschechische Touristen fahren wiederum nach Berlin, nach Düsseldorf oder nach Bayern. Zudem haben wir ja die längste Grenze sowohl mit der Bundesrepublik als auch mit Österreich. Nach der politischen Wende von 1989 haben sich die tschechisch-deutschen Beziehungen ausgesprochen positiv entwickelt, und daraus hat sich die Ebene einer Freundschaft entwickelt. Insofern werden die Beziehungen als die besten denn je bezeichnet.“
Bei der Tagung der Landesversammlung geht es um die Sichtbarkeit und Wahrnehmung der deutschen Minderheit in Tschechien. Die Frage ist: Wie wird diese öffentlich wahrgenommen? Sind ihre Spuren irgendwo zu sehen? Einer, der eine Antwort weiß, ist Tomáš Lindner. Der Journalist der tschechischen Wochenzeitung „Respekt“ sagt, im tschechischen Erzgebirge könne man noch fündig werden:„Es ist zusammen mit einigen Ortschaften im Norden des Landes vielleicht der letzte Teil Tschechiens, wo man noch auf die deutsche Minderheit trifft. Man sieht zum Beispiel ältere Frauen auf der Straße, die Deutsch miteinander reden, man geht die Straße entlang, und jemand sagt ‚Grüß Gott‘.“
Tomáš Lindner ist selbst im Erzgebirge aufgewachsen, seine Großeltern waren Deutsche, Tschechisch lernte er dann in der Schule. Zurzeit arbeitet er an einem Buch über die letzten verbliebenen Deutschen im Erzgebirge. Aber warum sind dort nach dem Zweiten Weltkrieg und der Vertreibung so viele Deutsche geblieben?
„Diejenigen, die geblieben sind, lassen sich in drei Gruppen teilen: Eine davon waren Deutsche, die aus anderen Regionen Böhmens in diese Gegend ziehen mussten, um dort in den Uranminen zu arbeiten. Die zweite Gruppe waren Experten und Fachkräfte, die in den Fabriken bleiben mussten, sonst hätten diese Betriebe geschlossen werden müssen. Im Städtchen Abertham gab es zum Beispiel eine große Fabrik, die in den 1920er und 1930er Jahren Handschuhe in die ganze Welt exportierte. Ohne die deutschen Fachkräfte wäre das Unternehmen pleite gegangen. Die dritte Gruppe waren dann die sogenannten ‚Vergessenen‘. Das waren einfach Menschen, die schon ihre Koffer gepackt hatten und auf den Transport nach Bayern warteten, aber dann kam die Nachricht, dass Deutschland keine Vertriebenen mehr aufnimmt - und diese Leute kehrten in ihre Ortschaften zurück. Dort siedelten sie sich entweder in ihren ursprünglichen Häusern wieder an, oder sie gingen, falls die Häuser schon besetzt waren, in andere Häuser, die leer standen.“ Abertamy / Abertham liegt im Kreis Karlovy Vary / Karlsbad, und dort ist die deutsche Minderheit ziemlich präsent, so Zdeněk Lakatoš, der Bürgermeister der Stadt:„Bei uns gibt es einen Verein. Er besteht nicht ausschließlich aus Angehörigen der deutschen Minderheit, aber die meisten Mitglieder sind deutschstämmig. Im Rahmen des Projekts ‚Museen‘ pflegt der Verein vor allem Traditionen. Zum Beispiel wird die Tradition der Handschuhproduktion erneuert und unterstützt. Das ist das größte Projekt des Vereins. Ansonsten organisiert er Fahrten nach Deutschland wie zuletzt zum Beispiel in den Bundestag, und er kümmert sich um die deutsche Gemeinschaft im Erzgebirge.“
Auch im Egerland wird die deutsche Kultur gepflegt. Richard Šulko, Vorsitzender des Bundes der Deutschen – Landschaft Egerland, kümmert sich darum höchstpersönlich. Deutsches Kulturgut zu bewahren und wiederzubeleben liegt ihm am Herzen.„Wir haben eine Volkstanzgruppe, ein Zitherduo, wir haben deutsch-tschechische Heiligenmessen, Wallfahrten, Trachtenpflege, Jugendbegegnung – alles Mögliche. Aber die wichtigste Arbeit ist unsere Mundart, das heißt wir singen Lieder, geben Bücher und Tonträger heraus, gestalten unsere Homepage und haben ein Mitteilungsblatt, das jeden Monat erscheint.“
Um die Egerländer Mundart zu pflegen, verfasst Richard Šulko auch Gedichte und Artikel selbst. Außerdem sind ihm die Egerländer Volkstänze und Trachten ein großes Anliegen.Deutsch zu sprechen hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg über die Generationen so ziemlich verloren. Bei welcher Generation wieviel Deutsch erhalten geblieben ist, weiß Tomáš Lindner:
„Man kann einen Generationswandel erkennen. Die Großmütter, die 80 Jahre oder älter sind, unterhalten sich meist Deutsch miteinander. Dann gibt es die mittlere Generation: Frauen, Männer von etwa 40, 50 Jahren sind zweisprachig, sie sprechen Deutsch und Tschechisch. Einige davon, die in Mischehen aufgewachsen sind, sprechen Deutsch aber nur noch schwach. Von der jüngsten Generation, die also vielleicht 30 Jahre und jünger ist, sind nur noch ziemlich wenige mit der deutschen Sprache aufgewachsen.“
Auf der anderen Seite bringen heutzutage viele Tschechen in den Grenzgegenden ihre Kinder beispielsweise hinüber nach Sachsen, damit diese dort einen Kindergarten besuchen können und zweisprachig aufwachsen. Dies ist eine Investition in die Zukunft der Kinder, denn Deutschland ist politisch und wirtschaftlich der wichtigste Partner Tschechiens in Europa.Doch wie sieht die Zukunft für die deutsche Minderheit aus? Was muss passieren, damit sie in Tschechien nicht untergeht und sich vollständig assimiliert? Wie könnte sie mit der tschechischen Majorität umgehen? Ethnologin Jana Nosková:
„Die Majorität müsste eigentlich erzogen werden, damit sie lernt, wie man mit den Minderheiten umgeht. Das ist für mich die Zukunft der deutschen Minderheit. Wenn sie es schafft, die Majorität zu erziehen - es ist vielleicht nicht das passendste Wort, aber trotzdem –, dann wäre dies aus meiner Sicht ein Segen für die Minderheit. Wenn das klappen würde, dann könnte die Minderheit sicher auch noch mehrere hundert Jahre weiterbestehen.“
Die deutsche Minderheit muss die tschechische Majorität erziehen – da stellt sich aber die Frage, wie das denn gehen soll? Jana Nosková:
„Das ist wirklich eine Menge Arbeit. Und ich würde sagen, die Minderheit muss irgendwie präsent sein. Sie muss sich halt präsentieren. Man muss vielleicht zuerst das Interesse der Majorität wecken, aber das ist wirklich schwierig. Auf lokaler Ebene funktioniert das meiner Meinung nach, natürlich nicht in jeder Gemeinde, aber zumindest in einigen. Aber auf der höheren Ebene, gesamtstaatlich, ist das schwieriger.“Sich präsentieren, damit die deutsche Minderheit in Tschechien bestehen kann, das ist eines der Ziele der Landesversammlung. Am wichtigsten sind hierbei die sogenannten Begegnungszentren, von denen insgesamt 15 an unterschiedlichen Orten des Landes bestehen. Dort pflegen nicht nur die Deutschen ihre Traditionen und Bräuche, sondern auch Tschechen nehmen teil an kulturellen Veranstaltungen, Seminaren und Sprachkursen. Bei einem neuen Projekt werden Jugendgruppen in den Begegnungszentren aufgebaut. Auch junge Tschechen sollen für die deutsche Kultur interessiert werden, denn häufig kommen sie aus Familien, die selbst irgendwo im Stammbaum auch deutsche Vorfahren haben.