Die Prager Frauenvereine um 1900: Bedeutende Pfeiler des gesellschaftlichen Lebens
Der Sanct-Anna-Frauenverein, der Klub Jüdischer Mädchen und Frauen oder der Verein „Frauenfortschritt“ – dies waren einige der Verbände, in denen sich deutschsprachige und jüdische Frauen im Prag des 19. und 20. Jahrhunderts organisierten. Die Frauenvereine dienten nicht nur dem Zeitvertreib, sie waren auch wichtige Meilensteine auf dem Weg zur Emanzipation und zugleich ein fester Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens in Prag. Die Kulturwissenschaftlerin Magdalena Eriksröd-Burger arbeitet bei der österreichischen Agentur für Bildung und Internationalisierung OeAD im Bereich Public Science und forscht an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg zu deutschsprachigen und jüdischen Frauenvereinen in Prag. Im Gespräch mit Radio Prag International verrät sie nicht nur mehr zu den Vereinigungen, sondern sie berichtet auch, was im Prager Stadtbild bis heute von den Vereinen sichtbar ist.
Frau Eriksröd-Burger, Sie forschen zu deutschsprachigen und jüdischen Frauenvereinen um 1900 in Prag. Wie sind Sie denn auf dieses Thema gekommen?
„Ich habe meine Masterarbeit zu Prager Kaffeehäusern um 1900 geschrieben. Mir ist aufgefallen, dass es dabei hauptsächlich um Männer ging: Künstler, Literaten, Wissenschaftler und Politiker, die sich in den Cafés getroffen haben und auch darüber schrieben. Ich habe mir die Frage gestellt: Wo waren denn eigentlich die Frauen? Bei meiner Recherche habe ich gelesen, dass sie sich eher zuhause aufhielten und in informellen Zirkeln trafen. Dem wollte ich nachgehen. Was waren das für Zirkel? In welchen Vereinen haben sich die Frauen unterhalten? In meinem Promotionsprojekt geht es nun konkret um Künstlerinnen in der Ersten Tschechoslowakischen Republik und ihre kulturellen Vereine.“
Warum gerade die Künstlerinnen?
„Die Frauen hatten in diesem Bereich einen ganz eigenen Stand – sie hatten es wirklich nicht einfach. Viele berühmte Namen sind zudem heute in Vergessenheit geraten. Das will ich ändern.“
In welcher Zeit sind die Frauenvereine entstanden? Können Sie das grob einordnen?
„In der Mitte des 19. Jahrhunderts. Eine entscheidende Rolle spielte die Dezemberverfassung von 1867. Durch sie wurde das Vereinsgesetz liberalisiert. Zum einen wurden nun auch politische Vereine zugelassen – zumindest für Männer. Zum anderen durften neuerdings auch Frauen und Jugendliche Mitglieder in unpolitischen Vereinen werden. Im selben Jahr gründete sich dann auch direkt der Sanct-Anna-Frauenverein. 1869 folgte der deutschsprachige Prager Frauenerwerbsverein. Um die Jahrhundertwende nahm die Entwicklung dann rasant zu. Mit einem Mal entstanden sehr viele neue Vereine, die sich dann zersplitterten und verschiedene Nischen besetzten. Das ging dann soweit, dass 1914 in Böhmen insgesamt über 4000 Vereine registriert waren. Die Zivilgesellschaft war hier sehr aktiv, und das Vereinswesen wurde stark gefördert.“
Wer war in diesen Vereinen Mitglied? Vermutlich waren das eher gebildete und wohlhabende Frauen…
„Bei den bürgerlichen Gruppen, mit denen ich mich beschäftige, war das schon so. Es gab aber auch Vereine mit einer proletarischen oder sozialdemokratischen Ausrichtung. Hinzu kamen christliche Initiativen. Wer also Mitglied war, hing stark von der jeweiligen Ausrichtung ab. Die philanthropisch-karitativ ausgerichteten Vereine bestanden ursprünglich aber aus adeligen Damen – und weiters aus Ehefrauen von Großunternehmern, Fabrikanten oder Bankiers.“
Was war das Ziel dieser Vereine? Wollten sie die Emanzipation voranbringen oder vielmehr einen Freizeitvertreib für die Frauen bieten?
„Ich würde sagen, sowohl als auch. Die einzelnen Ziele hängen stark vom Einzelfall ab. Oftmals waren sie aber miteinander verwoben. Als Ausgangspunkt gelten pädagogische Vorhaben – Frauen sollte Bildung ermöglicht werden. Feministische Ziele im Sinne von Emanzipation und Empowerment kamen dann hinzu. Außerdem gab es etwa die bereits erwähnten karitativen Zwecke. Manche haben Spenden für Bedürftige gesammelt, andere Ausspeisungen organisiert oder Flüchtlingshilfe geleistet. Dann gab es natürlich auch die künstlerischen Ziele. Jungen Künstlerinnen – und auch männlichen Künstlern – sollte eine Bühne gegeben werden. So wurden etwa Ausstellungen organisiert.“
Sie haben im Rahmen Ihres Promotionsprojekts relativ viel Zeit in Archiven verbracht. Wie war denn Ihren Erkenntnissen zufolge damals die Sicht der Männer auf die Frauenvereine?
„Da sprechen Sie einen ganz wichtigen Punkt an: die Männer. Als Quellen greife ich häufig auf Periodika zurück. Zeitschriften und Zeitungen sind eine wahre Fundgrube, was die Außenwahrnehmung der Vereine angeht. Außerdem interessiert mich, wie Männer zum Beispiel in ihren Memoiren oder literarischen Werken über die Vereine geschrieben haben. Die Resonanz ist dabei oft sehr positiv, so wird häufig das Engagement für die Gesellschaft lobend hervorgehoben – etwa in Artikeln im Prager Tagblatt.“
Und diese Texte stammen von Männern?
„Das weiß man oftmals nicht genau, da die Artikel ohne Name veröffentlicht wurden, vermutlich waren die Autoren aber männlich. Allerdings muss ich sagen, dass nicht alle Vereine positiv aufgenommen wurden. Gerade wenn es um die Bewertung des künstlerischen Niveaus ging, wurden oft auch kritische Stimmen laut. So wurden etwa Ausstellungen vom Verein deutscher Malerinnen zerrissen und als Dilettantismus abgewertet. Über den Klub Deutscher Schriftstellerinnen wurde geschrieben, dass dort jede Dahergelaufene eine Bühne bekomme, die sich einmal literarisch betätigen wolle.“
Für das Österreichische Kulturforum in Prag haben Sie vor Kurzem einen Spaziergang zu den Frauenvereinen um 1900 veranstaltet. Einen ähnlichen Rundgang haben Sie auch zum Thema Ihrer Masterarbeit, den Kaffeehäusern, angeboten. Was ist denn von den Vereinen im Prager Stadtbild übriggeblieben? Wenn Sie eine Führung anbieten, muss es ja schließlich etwas zu sehen geben…
„Für mich ist das immer ganz spannend, kulturwissenschaftliche Forschung an ganz konkreten Orten in der Stadt sichtbar zu machen. Die Spuren der angesprochenen Kaffeehäuser sind dabei noch deutlicher als die der Frauenvereine, denn einige der Gastbetriebe bestehen ja noch. Bei den Vereinen war das schon schwieriger… Überliefert sind zumeist die Adressen der Vereinshäuser. Es gab aber auch Verbände, die an öffentlichen Orten verkehrt sind. Der Klub Deutscher Schriftstellerinnen etwa traf sich in der Celetná in einem Nebenzimmer des Hotels zum Goldenen Engel, das heute Hotel Golden Angel heißt. Andere wiederum kamen in Privatwohnungen zusammen.
Der Klub Jüdischer Mädchen und Frauen verkehrte in der Wohnung von Valerie Kafka, der Schwester von Franz Kafka, die später Valerie Pollak heißen sollte. Sie wohnte in der Bilekgasse / Bílkova 10. Später gründeten die Mitglieder ein Klubhaus in der Dlouhá. Manche Gruppierungen teilten sich auch gleich auf mehrere Immobilien auf. Der Deutsche Verein ‚Frauenfortschritt‘ hatte in der Krakovská 21 sein Sekretariat und die Kanzlei. Das Klublokal befand sich gegenüber in der Nummer 20. Zudem wurde dort auch ein Lehrerinnenheim sowie die Bibliothek betrieben.“
Was hat Sie im Rahmen Ihrer Doktorarbeit zu diesem Thema am meisten überrascht?
„Dass es zwischen den deutschsprachigen und den tschechischsprachigen Frauenvereinen so wenig Kooperation gab. Ich hatte mir eigentlich gedacht, dass man sich gerade als Frauen solidarisch zeigen und zusammentun sollte, um für das gemeinsame Anliegen zu kämpfen. Dass das nicht passiert ist, hat viele Gründe. Einer davon ist, dass die tschechische Frauenbewegung sehr eng mit der Nationalbewegung verknüpft war, was eine pragmatische Strategie war. Dennoch hatte ich mir das anders vorgestellt, gerade auch bei den Künstlerinnen, mit denen ich mich ja in meinem Promotionsprojekt beschäftige. Die tschechischen bildendenden Künstlerinnen haben kaum mit den deutschsprachigen zusammengearbeitet.“
Haben Sie einen Tipp für all jene, die nicht an Ihren Spaziergängen teilnehmen konnten?
„Ich kann nur allen, die durch Prag spazieren, raten, mit offenen Augen durch die Stadt zu gehen, sich umzuschauen und zu überlegen, was sich hinter den Fassaden vielleicht früher einmal verborgen hat. Wer weiß, vielleicht befand sich früher dort einmal ein Kaffeehaus? Oder da haben sich Frauen getroffen, die über Kunst und Kultur, über Wirtschaft und Politik diskutiert haben…“