Medienstimmen zur Regierungsbildung und dem Tod von Thomas Klestil
Die 28. Woche des Jahres 2004 war zwar wegen zwei Staatsfeiertagen kürzer als sonst, ungeachtet dessen lief aber das politische Leben in Tschechien auf vollen Touren weiter. Das betraf insbesondere die laufenden Gespräche über die Bildung einer neuen tschechischen Regierung, nachdem die bisherige Dreiparteienkoalition unter der Leitung von Vladimir Spidla vor einigen Wochen zurückgetreten ist. Somit bilden Pressestimmen zu diesem Thema auch heute den Schwerpunkt unserer Sendereihe "Im Spiegel der Medien" mit Robert Schuster.
So setzte der amtierende Innenminister alles auf den Versuch die alte und unter Spidlas Führung gescheiterte Koalition noch einmal mit neuem Leben zu erwecken. Den Kommentator der Tageszeitung Lidove noviny, Frantisek Sulc, erinnerte das an die Versuche von Alchymisten des späten Mittelalters durch die Einhauchung von Rauch ins Wasser Gold entstehen zu lassen, wenn er unter anderem schreibt:
"Die Sozialdemokraten wollten Spidla loswerden und haben in einer Abstimmung deklariert, die bisherige Koalitionsregierung sei schlecht gewesen. Nun trat Gross an Spidlas Stelle - mit Lungen voller Rauch und vor einem Aquarium stehend, um zu versuchen Gold in Gestalt einer Koalitionsregierung herzustellen. Gross´ Chancen, dass ihm das Kunststück gelingen wird, stehen gut. In Wahrheit wird aber diese neuaufgelegte Koalition vor allem für die Sozialdemokraten wenig Gold wert sein und kann die stärkste Regierungspartei sogar noch mehr schädigen. Die Last unpopulärer Maßnahmen und das Risiko auf diese Weise die eigenen Wähler zu verprellen, wird ihr niemand abnehmen. Wenn also die Sozialdemokraten Gross gewähren und ihn eine Regierung bilden lassen, wird das einer Selbstopferung zu Gunsten eines einzelnen gleichkommen."
Vergangenen Donnerstag hat dann aber der Lauf der Dinge eine relativ unerwartete Entwicklung genommen, indem sich auf einmal wieder eine knappe Mehrheit für das bisherige Regierungsbündnis abzeichnete. Der liberale Abgeordnete Marian Bielesz, der noch vor einer Woche zusammen mit einem anderen Kollegen der bisherigen Regierung die Unterstützung entzogen hatte, entschloss sich sein Mandat niederzulegen und einem Nachfolger Platz zu machen, der eine Neuauflage der bisherigen Drei-Parteien-Allianz unterstützen würde.
Pavel Tomasek zog in seinem Kommentar in der Wirtschaftszeitung Hospodarske noviny einen Vergleich zwischen dem Vorgehen Bieleszs und dem Verhalten von vier britischen Regierungsmitgliedern, die vor mehr als einem Jahr aus Protest gegen die Haltung ihres Premierministers im Irak-Krieg das Kabinett ohne länger zu zögern verließen. Zitat:
"Das Zaudern des Abgeordneten Bielesz, ob er sein Mandat behalten soll, oder nicht, hat nur wenig mit den Gepflogenheiten der britischen Politik zu tun. Der Mandatar stimmte mit der Partei, für die er gewählt wurde, in einer sehr wichtigen Angelegenheit nicht überein - nämlich ob und mit wem sie zusammenregieren sollte. Seine ursprüngliche Entscheidung die Partei zu verlassen, ihr Mandat aber beizubehalten, war aus diesem Grund inkonsequent, so wie wenn die britischen Minister verkündet hätten ihre Regierung nicht mehr unterstützen zu können, gleichzeitig aber den Sitz im Kabinett behalten wollten. Da aber die Stimme von Bielesz für das Sein oder Nichtsein der neuen Regierung wirklich entscheidend ist, konnte der Politiker seinen eigenen Marktwert in den vergangenen Tagen bedeutend erhöhen, was wiederum die schwärzesten Befürchtungen über die wahren Motive des Meinungsschwenks hervorruft. Jedenfalls zeigen die Ereignisse der letzten Tage, dass Regieren in Tschechien noch lange sehr schwer sein wird."
Dass das gegenwärtige Tauziehen hinter den Kulissen und das Buhlen um jede Abgeordnetenstimme bei vielen Beobachtern und nicht zuletzt auch bei den Wählern zwangsläufig einen schalen Geschmack hinterlassen muss, war die zentrale Botschaft eines Kommentars von Karel Steigerwald, der in der vergangenen Woche in der Tageszeitung Mlada fronta Dnes erschienen ist.
"In diesen Tagen werden viele Varianten der künftigen Regierungsform durchdacht, doch sie haben eines gemeinsam: Es fehlt ihnen an Seriosität. Und dann ist da noch etwas, was ziemlich störend ist, nämlich der unwiderlegte Verdacht, dass bei dem Ganzen Korruption im Spiel sei. Es wäre schon der schöne Höhepunkt einer Pyramide, wenn nach aufgedeckten Korruptionsfällen bei Polizei, Fußballschiedsrichtern, Wirtschaftsprüfern oder Richtern nun auch die Parlamentarier ihren Teil beisteuern würden. Das Problem von Gross ist nicht, dass er nicht genügend Abgeordnete hat, sondern, dass er eine Regierung präsentieren will, egal was es kostet. Tschechien befindet sich in diesen Tagen auf dem Weg durch eine Schandgasse. Nimm, was du bekommen kannst, zahle, was du zahlen kannst, sind dabei die Devisen."Nun kommen wir aber gegen Ende unserer heutigen Sendung zu einem weiteren Ereignis, dass in dieser Woche die Berichterstattung der tschechischen Medien prägte: Der Tod des österreichischen Bundespräsidenten Thomas Klestil, der nur wenige Stunden vor dem Ausscheiden aus seinem Amt Anfang der Woche verstarb. Die Medien berichteten ausführlich, brachten Portraits von Klestil und das öffentlich-rechtliche Tschechische Fernsehen (Ceska televize) überlegte sogar kurzfristig eine Live-Übertragung des für Samstag angesetzten Staatsbegräbnisses.
Eine Würdigung des verstorbenen österreichischen Staatsoberhaupts fand sich bei Zita Senkova in der auflagenstärksten unter den seriösen tschechischen Zeitungen, der Mlada fronta Dnes, aus der wir Ihnen abschließend einige Passagen näher bringen wollen:"Klestil sprach gerne über Mitteleuropa und tat dies insbesondere mit Vaclav Havel, mit dem ihn eine tiefe Freundschaft verband. Er war einer der ersten, die seinerzeit in Innsbruck Hilfe für den kranken Havel organisierten. Klestil hatte aber auch zum jetzigen tschechsichen Präsidenten Vaclav Klaus ein gutes Verhältnis und war angeblich einer der wenigen Staatschefs, mit denen Tschechiens Präsident auf Du war. Als einer der wenigen Staatsmänner hatte Klestil in den frühen 90er-Jahren begriffen, dass Österreich gute Beziehungen zu seinen osteuropäischen Nachbarn brauche. Sein Verdienst wird sein, dass es Ihm gelang den Dialog zwischen Prag und Wien auch in einer Zeit aufrecht zu erhalten, als die Spannungen wegen Temelin und den Benes-Dekreten alles bisher Geleistete zu zerstören drohten."