Jetzt im Sommer sind wieder unzählige Touristen in Prag. Und wenn sie nicht zu Fuss unterwegs sind, dann bedienen sie sich der öffentlichen Verkehrsmittel. Und die sind in Prag gut ausgebaut. Keine Probleme also? Oder etwa doch? Dazu die folgenden Überlegungen von Alexander Schneller.
Ja doch, er ist sehr effizient, der Prager Öffentliche Verkehr, schwärme ich jeweils den Pragbesuchern vor. Da sind die unzähligen Strassenbahnen, die einen von einer Ecke der Stadt zur andern kutschieren, zu allen Tageszeiten, notabene. Also kommt man auch des Nachts oder früh morgens ohne Probleme vom Zentrum nach Hause. Da ist die Metro, wenns schnell und über weite Strecken gehen soll. Und schliesslich gibts da noch die Busse, die vor allem in den Aussenbezirken ihren Dienst tun oder manchmal einfach eine gute Alternative zu den restlichen Verkehrsmitteln sind. Deshalb kann man ohne Einschränkung sagen, dass es sich auch für Prager nicht lohnt, mit Privatfahrzeugen unterwegs zu sein. Denn wer steht schon gern allmorgendlich und allabendlich, wenn Stossverkehr herrscht, im Stau und verbringt so fast mehr Zeit im Auto als im Büro. Ausserdem kostet die Benutzung von Tram, Metro und Bus einiges weniger als Benzin fürs Auto. Nun hat aber alles Gute und Beste auch eine Kehrseite, oder besser gesagt: einen Haken. Es gibt nämlich eine Zeit in Prag, da ist verkehrstechnisch alles etwas anders als sonst. Und das erkennt man daran, dass die sonst weiss gehaltenen Fahrpläne an den Strassenbahn- und Bushaltestellen ihre Farbe gewechselt haben. Sie sind jetzt gelb. Und da schwant dem Prager Unheil. Die gelben Fahrpläne verweisen nämlich darauf, dass der gelbe Verkehr herrscht, das heisst, dass die Trassenführung geändert hat, was wiederum bedeutet, dass zum Beispiel die Strassenbahn Nummer 9 da und dort ganz andere Wege geht als sonst. Das zwar nur für ein paar Tage, manchmal aber auch Wochen, im schlimmsten Fall sogar Monate. Da meist gleichzeitig noch unzählige andere Linien "gelb" verkehren, braucht es zuweilen eine überaus raffinierte Kombinationsgabe, um sein Ziel zu erreichen. Und da sieht man dann schon auch eingefleischte Prager, wie sie plötzlich, kurz bevor die Türen schliessen, aus den Trams hechten, weil sie über die Lautsprecheranlage gehört haben, dass die Neun jetzt nicht nach rechts, sondern nach links abbiegt. Andere wiederum, die das zu spät gemerkt haben, fluchen laut oder still vor sich hin. Auch ich, in die Lektüre der Zeitung vertieft, bin vor kurzem unfreiwillig über die Moldau gefahren worden, und um zum eigentlichen Ziel zu gelangen, musste ich dreimal umsteigen.
Nun ja, es muss halt sein, dass Geleise repariert oder gar erneuert werden, dass Strassen aufgerissen und neue Leitungen verlegt werden. Aber eines ist seltsam: Der gelbe Verkehr grassiert immer zur selben Jahreszeit, nämlich im Sommer. Anders gesagt: Jetzt, im Juli und August, in den Grossen Ferien also, leuchtets gelb von allen Haltestellen. Und wenn schon wir Prager Mühe haben mit dem richtigen Fahrweg, wie schwierig ists dann erst für die Touristen. Denn die steigen brav in die Strassenbahn, die ihnen der Reiseführer empfiehlt, aber anstatt auf der Burg landen sie am anderen Ende der Stadt...
Abschliessend eine Frage und eine Vermutung. Warum nur herrscht der gelbe Verkehr ausgerechnet in der Sommerzeit, ausgerechnet dann, wenn die Stadt von Touristen nur so überquillt? Meine Vermutung: Die rücksichtsvollen Stadtväter wollen die Prager Einheimischen auf diese Weise schonen, denn sie sagen sich, in der Zeit sind die meisten Prager sowieso in ihrem Wochenendhaus oder in den Ferien. Aber vielleicht ist alles auch ganz anders. Auf jeden Fall, liebe Hörerinnen und Hörer: Prag ist eine Reise wert, mit oder ohne gelben Verkehr.