Historiker diskutierten in Prag über das Münchner Abkommen von 1938

"Das Münchner Abkommen - der Weg zur Destruktion der Demokratie in Europa" war das Leitmotto einer internationalen Konferenz, die am Freitag und Samstag vergangener Woche im Prager Czernin-Palais, dem Sitz des tschechischen Außenministeriums stattfand. An diesem Treffen nahm buchstäblich die Elite der tschechischen Historiografie teil, zu Gast waren aber auch namhafte Historiker aus Frankreich, Großbritannien, Polen, Russland und der Slowakei. Dass die Ereignisse vor 65 Jahren nach wie vor genug Stoff für neue Auseinandersetzungen bzw. einen lebhaften Meinungsaustausch bieten, dokumentiert Jitka Mladkova im folgenden Beitrag anhand von Äußerungen wenigstens einiger Konferenzteilnehmer:

Münchner Abkommen | Foto: Bundesarchiv,  Bild 183-R69173/Wikimedia Commons,  CC BY-SA 1.0
Das Münchner Abkommen sei eigentlich ebenso aktuell wie alle anderen Schlüsselmomente der Geschichte, in denen entschieden wurde, wie sich unser Land bzw. ganz Europa - beides ist kaum voneinander zu trennen - entwickeln würde, meinte Prof. Jaroslav Panek in einem Gespräch mit Radio Prag. Ein Thema, das die Aufmerksamkeit vieler Historiker auf sich zieht, aber noch öfter die Aufmerksamkeit der Medien, behauptet Panek. Der Grund sei:

"Da verständlicherweise das Bedürfnis entstanden ist, die traditionelle Sichtweise auf diese Thematik neu zu bewerten, tauchen auch in unserer Presse unterschiedliche, mehr oder auch weniger auf Fakten basierende Meinungen auf. Manchmal auch solche, die in die Sphäre einer postmodernen Betrachtung übergehen, indem der Autor aus der Sicht eines Menschen, der das Resultat der Ereignisse kennt, sehr streng und oft mit wenig Verständnis über historische Persönlichkeiten urteilt."

Prof. Panek sieht die Bedeutung der Prager Konferenz auch darin, dass die tschechische bzw. tschechoslowakische Tragödie der Jahre 1938/39 im europäischen Kontext präsentiert werden konnte. Nach Meinung eines der Organisatoren, Dr. Jan Nemecek, stießen jedoch schon immer kontroverse Meinungen zum Thema "Münchner Abkommen" aufeinander, was auch auf der Prager Konferenz zum Vorschein gekommen sei. In dieser Hinsicht sei bei der Auseinandersetzung mit diesem Thema im Prinzip keine Entwicklung zu verzeichnen, meint Nemecek. Ihm zufolge habe es auch in Prag wie üblich sowohl kritische Stimmen z.B. in Bezug auf die Stellungnahme der tschechoslowakischen Regierung zu den Ereignissen im Herbst 1938, als auch Verständnis dafür zu hören gegeben. Die Fakten wiederholen sich, viel Neues hat die Konferenz nach Nemeceks Ansicht nicht gebracht:

Adolf Hiltler
" Künftig geht es viel mehr darum, wie man die einzelnen Ereignisse um das Münchner Abkommen, sprich die Einstellung der damaligen Regierung bzw. ihre Akzeptanz dieses Dokuments, namentlich dann die Einstellung von Präsident Edward Benes, interpretieren wird. Die Historiker gehen zwar von denselben Quellen, von denselben Fakten aus, ziehen jedoch aus ihnen paradoxerweise oft absolut unterschiedliche Schlüsse."

Davon, dass es bei der Bewertung der Historikerkonferenz in Prag Meinungsunterschiede selbst unter den tschechischen Historikern gab, zeugt z.B. auch die Äußerung von Prof. Jiri Pesek, der im Unterschied zu seinem Kollegen Nemecek von einem eindeutig positivem Beitrag der Konferenz spricht:

"Das Münchner Abkommen" war etwas, was jahrzehntelang zwischen der Tschechoslowakei und Westeuropa lag und hierzulande als eine Art Warnung galt: Vorsicht, der Westen wird uns verraten! Das ist nun vorbei. Und diese Konferenz hat neben ihrer rein wissenschaftlichen Ebene klar gezeigt, dass es sich hierbei zwar um ein traumatisches Thema handelt, dass wir jedoch in der Lage sind, über dieses Thema wie über unser gemeinsames Problem mit unseren Kollegen aus Westeuropa sehr produktiv zu diskutieren. Also ein Thema, das uns nicht mehr trennt, sondern an einen Verhandlungstisch zusammenführt."