Pioniere werden 70 – ideologiefrei in neue Zeiten

Foto: Tschechisches Fernsehen

Vor der politischen Wende war eine Kindheit ohne Pioniere nicht auszudenken. Aber selbst heute ist die ehemalige kommunistische Jugendorganisation weiterhin sehr beliebt in Tschechien. Vor genau 70 Jahren wurden die Pioniere in der damaligen Tschechoslowakei gegründet.

Foto: Dana Ženíšková,  CC BY 4.0

Foto: Tschechisches Fernsehen
Vor allem das rote Halstuch gilt auch heute noch als Symbol der Pioniere. Am 24. April 1949 wurde auf einer Konferenz in Prag die Gründung der kommunistischen Jugendorganisation in der Tschechoslowakei beschlossen. Man orientierte sich dabei am sowjetischen Vorbild, das schon im Jahr 1922 entstanden war. Die Kommunisten, die in der Tschechoslowakei ab Februar 1948 am Ruder standen, verfolgten mit der Gründung einer Pionierorganisation ein bestimmtes Ziel. Der Fachmann für Alltags-Geschichte Martin Franc erläuterte Anfang des Jahres im Tschechischen Fernsehen, worum es geht:

„Laut der marxistisch-leninistischen Ideologie sollte ein neuer Mensch erzogen werden. Dieser sollte befreit sein von den Überbleibseln der Vergangenheit und vor allem des Kapitalismus. Das ist ein immanenter Bestandteil dieser Ideologie. Mit der Erziehung des neuen Menschen sollte schon im Kindesalter begonnen werden.“

Martin Franc  (Foto: Marián Vojtek,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Martin Franc hat in diesem Jahr gemeinsam mit seinem Kollegen Jiri Knap einen umfangreichen Band zur Kindheit im Sozialismus herausgegeben.

Die Pioniere sollten vor allem den Pfadfindern als beliebteste Jugendorganisation den Rang ablaufen. Diese hatten ihre Wurzeln nämlich in den USA und Großbritannien und vertraten damit eher westliche Werte. Deshalb wurden in den 1950er Jahren viele Pfadfinder-Organisationen hierzulande aufgelöst und verboten. Einige Pionier-Leiter bekannten sich aber trotzdem noch zu den Werten des Boyscout-Gurus Jaroslav Fogler. Eine von ihnen war Alena Lindauerová:

„Ich habe bei den Pionieren rund 20 Abteilungen geleitet und hatte eine kommunistische Bezirksvertreterin über mir. Trotzdem konnte ich nach den Büchern von Jaroslav Foglar arbeiten und einige Traditionen in den Sommerlagern beibehalten. Einmal konnte ich unserer Genossin Leiterin sogar verklickern, dass ich für die Kinder einen fleißigen Vorkämpfer der Pionierarbeit eingeladen habe. In Wirklichkeit kam aber Foglar persönlich zu uns. Seitdem habe ich auch einige signierte Bücher von ihm daheim.“

Dennoch gelten die Pioniere heute für viele als Synonym für kommunistische Indoktrination. Ob den Kindern selbst das damals auch so vorgekommen ist, das bleibt fraglich. Der ganze Pomp habe vielen imponiert, meint beispielsweise der Historiker Martin Franc. Abgesehen davon seien die Pioniere eine Möglichkeit gewesen, internationale Bekanntschaften zu schließen, erinnert sich der Rundfunk-Kommentator und damalige Pionier Libor Dvořák. Stichwort: das Sommerlager Artek auf der Krim:

„Dort lag der Schwerpunkt auf der Freundschaft zwischen den Völkern und dem Internationalismus. Viele Kinder haben das auch sehr ehrlich und ernst gemeint. Ich hatte da einen Freund, und zwar Mischa aus Georgien. Mit dem habe ich auch danach viele Briefe ausgetauscht.“

Die Pioniere gibt es bis heute, sie haben sogar die Wende von 1989 überlebt. Sie büßten jedoch massiv an Mitgliedern ein. Waren es 1990 noch 100.000 Kinder, die sich regelmäßig ein rotes Halstuch umgebunden haben, gibt es heute nur noch 14.000 Pioniere. Immerhin sind sie damit aber nach wie vor die zweitgrößte Jugendorganisation in Tschechien, hinter den Pfadfindern mit rund 60.000 organisierten Mitgliedern.

Um aber auch in der neuen Demokratie attraktiv zu bleiben, musste man sich umorganisieren und apolitisch werden, sagte der heutige Chef-Pionier, Martin Bělohlávek, vor einigen Jahren im Tschechischen Rundfunk. So beruft man sich auf die Reform-Pioniere, die es von 1968 bis 1970 gab. Und auch das Emblem mit roter Fackel und aufgeschlagenem Buch wurde durch eine Schwalbe in den tschechischen Landesfarben ersetzt. Aber der Spaß für die Kinder sei der gleiche geblieben, so Bělohlávek:

„Jede Woche treffen wir uns, und einmal im Monat geht es in die Natur. Der Höhepunkt im Jahr sind dann die Vorbereitungen für das Sommerlager. Das war schon vor 1990 so und ist bis heute geblieben.“