Knochen, Skelette und Mumien: Hrdlička-Museum für Anthropologie

Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag

Seit den 1930er Jahren gibt es in Prag ein Museum für physische Anthropologie. Benannt wurde es nach dem international anerkannten Anthropologen Aleš Hrdlička.

Gebäude der Naturwissenschaftlichen Fakultät der Karlsuniversität in der Viničná-Straße  (Foto: Google Street View)
Das Hrdlička-Museum ist im Gebäude der Naturwissenschaftlichen Fakultät der Karlsuniversität in der Viničná-Straße untergebracht. Jeden ersten Mittwoch im Monat gibt es Nachtführungen durch das Museum. Vom Eingang geht es ein paar Treppen hinauf und nach rechts. Von dort betritt man den ersten Saal des Museums. Die Exponate werden in hohen Glasvitrinen aufbewahrt. Lucie Babíčková arbeitet als Museums-Guide und führt die Besucher durch die Dauerausstellung. Bei der Nachtführung verteilt sie zunächst Taschenlampen an die Besucher, die keine eigenen Lampen mitgebracht haben. Vor den Vitrinen, die mit Schädeln, Skeletten und Knochen aller Größen vollgestopft sind, erläutert die Expertin die Aufgaben des Museums:

"Die Anthropologie ist die Lehre über den Menschen. Die Bezeichnung stammt aus dem Griechischen: anthropos heißt Mensch. Das Museum konzentriert sich vor allem auf die physische Anthropologie, das heißt auf die Evolution des Menschen oder darauf, wie man verschiedene Krankheiten am Skelett erkennen kann. Das Museum entstand 1937 auf Initiative von Dr. Aleš Hrdlička. Sein Porträt ist neben dem Eingang zu sehen. Er war physischer Anthropologe, geboren wurde er 1869 in Humpolec in Böhmen. Als er zwölf Jahre alt war, zogen seine Eltern mit ihm in die USA. Dort studierte er zunächst Medizin. Hrdlička gilt heute als Begründer der physischen Anthropologie. Mit der Summe von einer Million Kronen hat er selbst zur Gründung dieses Museums beigetragen.“

Internationale Bekanntheit erlangte Hrdlička mit seinen Forschungen über die Ureinwohner Amerikas. Seinen Untersuchungen zufolge sind sie aus Sibirien über die Beringstraße eingewandert. Jüngste Forschungen scheinen seine Ergebnisse zu bestätigen, sagt die Expertin.

Der erste Teil der Dauerausstellung dokumentiert die Evolution des Menschen. Zu sehen sind dreidimensionale Modelle, die anhand prähistorischer archäologischer Funde aus Afrika, Asien und Europa geschaffen wurden. Dazu gehören auch Exponate, die an den Australopithecus erinnern, der vor zwei bis vier Millionen Jahren lebte. Lucie Babíčková:

„In der Vitrine ist ein großer Kiefer eines sogenannten ´robusten´ Australopithecus zu sehen. Die robusten Australopithecinen starben aus, die Menschen entwickelten sich höchstwahrscheinlich aus den sogenannten ´grazilen´ Australopithecinen.“

Venus von Věstonice  (Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag)
Eines der Exponate erkennen alle Besucher sofort: die Venus von Věstonice. Es handelt sich um eine Kopie der Frauenfigur aus gebranntem Ton, die 1925 im südmährischen Dolní Věstonice gefunden wurde. Das Alter des Kunstwerks wird auf 25 000 bis 29 000 Jahre geschätzt, sagt Lucie Babíčková:

„Die Originalfigur hat den Wert von einigen Milliarden Kronen. Sie wird im Landesmuseum in Brünn aufbewahrt. Ausgestellt wird sie nur bei besonderen Gelegenheiten unter sehr strengen Sicherheitsvorkehrungen. Einzigartig an der Venus ist das Material, denn sie ist der älteste erhalten gebliebene Gegenstand aus gebranntem Ton. Auf der Rückseite der Originalfigur befindet sich ein Fingerabdruck. Die Forscher kamen zum Schluss, dass der Abdruck von einem zehn- bis zwölfjährigen Jungen stammt. Dies zeugt aber nicht davon, dass er das kleine Kunstwerk geschaffen hat. Es wird angenommen, dass der Junge die frisch geformte Statue lediglich berührt hat.“

Trepanation  (Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag)
Ein weiteres Thema der Dauerausstellung sind sogenannte Schädelöffnungen, auf Lateinisch Trepanationen. Das Museum besitzt eine Sammlung von trepanierten Schädeln. Das Verfahren hat eine lange Geschichte, so Babíčková:

„Es handelt sich um eine Operation, die schon seit etwa 10.000 Jahren durchgeführt wird. Es wird angenommen, dass auch in der Urzeit oder im Altertum etwa 60 Prozent der Menschen diese Operation überlebt hatten. Dies kann man heute am Schädel erkennen, denn wenn der Operierte überlebt hat, wurden die Ränder um die Schädelöffnung glatt. Dies kann man an zwei der ausgestellten Schädel sehr deutlich sehen.“

Gorillaskelett  (Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag)
Aus der Museumssammlung von Primatenskeletten sind einige Beispiele von Skeletten der Gorillas, der Orang-Utans und der Schimpansen zu besichtigen. Am interessantesten sei ein Gorillaskelett, so die Experten.

„Er ist vor allem beachtenswert, weil die Veränderungen am Skelett von vielen Erkrankungen und Verletzungen des Primaten zeugen. Das präparierte Skelett schenkte Aleš Hrdlička einst dem Prager Museum. Es gibt jedoch keine Angaben über die Herkunft des Exponats. Wir wissen nicht, woher der Forscher das Skelett hatte, doch wir sind davon überzeugt, dass der Gorilla in der Natur lebte. Denn er starb vor etwa 100 Jahren, und zu der Zeit gab es keine Zoos im heutigen Sinne des Wortes. An dem Skelett ist zu sehen, dass dem Gorilla ein Stück des Beckenknochens fehlt. Wahrscheinlich hatte er sich bei einem Sturz verletzt. Es kann auch sein, dass ihn ein Jäger mit einem Speer oder einer anderen Waffe getroffen hat. Zudem ist zu erkennen, dass einige seiner Rippen nach einem Bruch nicht wieder richtig zusammengewachsen sind. Die Verletzungen wirkten sich zudem auf seine Wirbelsäule aus. Er hatte, wie zu sehen ist, eine starke Skoliose.“

Mumien  (Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag)
Im zweiten Ausstellungssaal wird die ägyptische Sammlung aufbewahrt. Hauptexponate sind drei Mumien, die Professor Jaroslav Černý 1927 erworben hat.

„Die drei Mumien stammen aus Deir el Medina. Dort wurden Menschen bestattet, die sich um die Gräber im unweit gelegenen Tal der Könige kümmerten. Es handelte sich um Priester, Architekten und Künstler. Diese Mumien wurden in ein Natronbad eingelegt und ausgetrocknet. Zuerst wurden jedoch die inneren Organe entfernt. Eine Ausnahme war das Herz, es wurde im Körper belassen. Nach den Vorstellungen der Ägypter war das Herz das Zentrum des Verstands und des Charakters des Menschen, darum war es so wichtig. Das Gehirn dagegen galt als das Zentrum der Gefühle und wurde bei der Mumifizierung entfernt. Der Prozess der Mumifizierung dauerte 70 Tage. Um das Antlitz des Verstorbenen zu bewahren, versuchten die Ägypter manchmal die Mumien mit Stroh auszustopfen.“

Im Museum werden noch zahlreiche weitere Exponate gezeigt. Der Ethnologe und Anthropologe Pavel Šebesta unternahm mehrere Expeditionen zu den Pygmäen. Seine Forschungsergebnisse werden im Museum dargestellt und einige Beispiele aus seiner Sammlung in der Ausstellung gezeigt.

Das Hrdlička-Museum ist während der Vorlesungszeiten der Universität des akademischen Jahres vom Mittwoch bis Freitag von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Mehr über das Museum erfahren Sie unter www.muzeumcloveka.cz.

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