Flüchtlingsdrama 1989: Deutsche Botschaft in Prag total überfüllt und blockiert
Vor 25 Jahren erkämpften rund 4500 DDR-Flüchtlinge in der Prager Botschaft der Bundesrepublik ihre Ausreise in den Westen. Kaum war aber der Jubel dieser Flüchtlinge verhallt, nachdem Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher am 30. September 1989 ihnen ihre Aufnahme in die BRD verkündet hatte, füllten schon die nächsten Ausreisewilligen die Prager Botschaft. Die schicksalhaften Dramen Tausender DDR-Bürger fanden also eine Fortsetzung. Die damalige Einsatzleiterin des Roten Kreuzes, Waltraud Schröder, und ihre Helfer versuchten den schweren Weg zu erleichtern.
Auch DRK-Einsatzleiterin Waltraud Schröder war vor 25 Jahren überwältigt von dem Ausbruch der Gefühle, als Genscher die Ausreisebewilligung verkündete. Nach dem Jubelschrei aber mussten Dutzende Menschen noch überzeugt werden, dass ihre Ausreise tatsächlich sicher sei. Und zumindest eine Frau nutzte damals nicht die große Gelegenheit, auf direktem Weg in den anderen deutschen Staat zu gelangen, sagt Schröder:
„Unter den Flüchtlingen waren auch viele Mütter mit ihren Kindern. Dazu gehörte auch eine Mutter, die ihre Tochter zum Bus brachte, sie hineinsetzte, aber selbst nicht einstieg. Und auf die Frage ´Warum steigen Sie denn nicht ein?´, antwortete sie: ´Mein Kind soll schon ausreisen, ich muss aber noch einmal zurück. Aber ich weiß, dass das Rote Kreuz dafür Sorge tragen wird, dass wir wieder zusammenkommen´. Ich sehe dieses Bild immer noch vor mir: das Kind im Bus mit der an die Scheibe gepressten Hand - und die Mutter draußen in der Hoffnung, bald wieder mit ihrem Kind vereint zu sein.“
Am 1. Oktober vor 25 Jahren war in der Botschaft dann eigentlich das große Aufräumen angesagt, doch weit kam man damit nicht. Denn gegen Mittag waren über 2000 neue DDR-Flüchtlinge im Gebäude; und bald darauf war die Botschaft mit 7000 Menschen im Innern und weiteren 3000 Flüchtlingen, die vor der Pforte standen, hoffnungslos überfüllt und blockiert. Dennoch verlangte es die Situation, kurzfristig zu handeln, schildert Waltraud Schröder:„Es wurde insofern schlimmer, dass wir eine kalte Nacht bekamen. Es gab Bodenfrost, und wir hatten immer noch vor der Tür Mütter mit ihren Kindern im Kinderwagen stehen. Gemeinsam mit dem Botschaftspersonal haben wir daher überlegt, wie wir die Mütter mit ihren Kleinen hineinbekommen könnten. Aus dem Grund habe ich mit den Kollegen etwas getan, was man eigentlich nie machen darf: Familien voneinander zu trennen.“
Waltraud Schröder und ihre Helfer schauten sich folglich in allen Räumen nach jeder noch so winzigen Platzmöglichkeit um. Dabei seien sie auf den Treppen immer auf Zehenspitzen gegangen, weil man vor lauter Menschen besonders abends kaum wusste, wo man hintrat, denn in jeder Ecke saßen, standen oder lagen Flüchtlinge.„Wir sind dann dazu übergegangen, die Kinder in den Betten querzulegen, so dass nicht drei Kinder nebeneinander, sondern sechs Kinder hintereinander auf den Betten lagen. Die Väter wiederum wurden gebeten, nach draußen in den Park zu gehen, mit dem Versprechen, dass sie dann, sobald es losgehe, wieder mit ihren Familien zusammengebracht würden.“
Am 4. Oktober 1989 durfte auch die zweite Welle der Botschaftsflüchtlinge nach Westdeutschland ausreisen. Und sich wieder in die Arme nehmen konnten sich alle Deutschen schon einen Monat später – in den Stunden nach dem Abend des 9. November, als die Berliner Mauer fiel.