Letzter Flug der ČSA als eigenständiges Unternehmen: Eine Traditionsmarke gibt nach 101 Jahren auf

Airbus A320, 2005

Vergangenes Jahr erst wurde die tschechische Fluggesellschaft ČSA oder České aerolinie einhundert Jahre alt. An diesem Freitag aber geht die Historie des Traditionsunternehmens zu Ende. Künftig werden die ČSA nur noch als eine Marke des Konzerns Smartwings fingieren.

Aus Paris landet am Freitagabend ein Flugzeug auf dem Prager Václav-Havel-Flughafen, das Geschichte schreiben wird. Es handelt sich nämlich um den letzten Flug der früheren tschechoslowakischen und heutigen tschechischen Fluggesellschaft ČSA in Eigenregie. Denn die mehr als 100 Jahre alte Marke geht demnächst vollständig im Konzern Smartwings auf.

Jan Sůra ist Experte für Flugverkehr beim Fachnachrichtenportal Zdopravy.cz. Gegenüber Radio Prag International sagt er:

Jan Sůra | Foto: Jan Jaskmanický,  Český rozhlas

„Damit geht eine der ältesten Fluggesellschaften der Welt verloren, denn ČSA gehört zu den ersten fünf, die gegründet wurden. Auf der anderen Seite verliert die Tschechische Republik auf diese Weise nicht sehr viel, denn das Unternehmen befindet sich schon seit zehn Jahren im wirtschaftlichen Sinkflug und hat nur noch ein Minimum an Reisenden. Auch für den normalen Kunden ändert sich nichts, denn die ČSA bedienen nur noch die Flugverbindung zwischen Prag und Paris. Wir hier in Tschechien verlieren zwar eine Marke, die man zum landesweiten Tafelsilber zählen könnte, doch diese hat sich schon lange mit Problemen herumgeschlagen.“

Erster Flug von Prag nach Bratislava

Erst vergangenen Herbst feierten die České aerolinie ihren 100. Geburtstag. Laut knallten bereits da die Sektkorken nicht mehr, eher schwelgten viele frühere Reisende leise in nostalgischen Erinnerungen.

Am 6. Oktober 1923 gründete der tschechoslowakische Staat seine eigene Fluggesellschaft, indem er ein ursprüngliches Privatunternehmen übernahm. Der Jungfernflug war für den fünften Jahrestag der Staatsgründung geplant, wurde wegen schlechten Wetters aber auf den 29. Oktober verschoben. Es ging damals von Prag nach Bratislava im slowakischen Landesteil. Einziger Passagier an Bord: der Journalist Václav König von den Lidové noviny (Volkszeitung). Ansonsten transportierte man in der Doppeldecker-Maschine vom Typ Aero A-14 Brandenburg nur noch ein dreiviertel Kilogramm Post. König schrieb hernach einen längeren Bericht über den Flug. In diesem heißt es unter anderem:

Am 29. Oktober 1923 brachte ein von Karel Brabenec gesteuerter Doppeldecker Aero A-14 Brandenburg  (L-BARC) den Journalisten Václav König von Prag nach Bratislava | Foto: Militärhistorisches Institut

„Es ist ein sonniger Tag, mit nur wenig Nebel. Der Blick aus der Luft ist atemberaubend, und ich verliere zunächst die Orientierung. Dann erkenne ich bereits manche Städte und Flüsse. Die Leute auf einem Dorfplatz winken uns zu, und ich erwidere dies. Die Flucht von erschrockenen Gänsen und das Hüpfen der Ziegen auf einer Wiese bringen mich zum Lachen. Wir fliegen weiter über Brünn, dann über die Thaya. Die Karpaten erheben sich vor uns wie eine majestätische Kulisse. Mit ein paar Kreisen über Bratislava geht unsere einzigartige Reise zu Ende.“

Fliegen war damals nur ein Vergnügen für wenige Auserwählte, die sich dies leisten konnten. In die Aero A-14 passten ohnehin nur zwei Passagiere, in den Nachfolgertyp Aero A-10 maximal vier. Aber schon 1927 kauften die ČSA neue Maschinen der britischen Typen de Havilland DH.50 und Farman F.60 Goliath, die auch mehr Platz boten. 1929 erhielt die Fluggesellschaft dann den internationalen Code OK, der an diesem Freitag das letzte Mal genutzt wird.

Zum zehnjährigen Jubiläum der ČSA im Jahr 1933 sendete der Tschechoslowakische Rundfunk einen Vortrag des damaligen Ministers für öffentliche Arbeiten, Jan Dostálek (Christdemokraten). In diesem referierte der Ressortchef beispielsweise über die Flugsicherheit.

Savoia-Marchetti SM-73,  1937 | Foto: Archiv von ČSA

„Die Flugverbindungen sind durch einen hervorragend arbeitenden Wetterdienst abgesichert. Dieser gibt dem Piloten vor dem Start einen Bericht über das Wetter auf der Strecke. Und während des Flugs macht er den Piloten funktelegraphisch über außergewöhnliche Windereignisse aufmerksam. Um Nachtflüge und verspätete Flüge zu sichern, hat das Ministerium für öffentliche Arbeiten entlang der Strecke Prag-Brünn-Bratislava 18 Leuchttürme errichtet, die den Piloten mit Lichtsignalen leiten. Mit diesen Diensten wird für Flugsicherheit gesorgt“, so Minister Dostálek.

Zunächst flogen die Československé aerolinie vom Flughafen im Prager Stadtbezirk Kbely. Dann entschied man sich zum Bau eines neuen Geländes in Ruzyně – 1937 wurde der Flughafen mit einem der modernsten Terminals der damaligen Zeit in Europa in Betrieb genommen. Im selben Jahr führten die ČSA eine weitere Neuerung ein: Erstmals begleiteten Stewardessen die Reisenden. Eine von ihnen war Charlotte Dvořáková, die im Tschechoslowakischen Rundfunk über ihre Arbeit berichtete:

Iljuschin Il-62,  1969 | Foto: Archiv von ČSA

„Ich denke, unsere Aufgaben sind umfangreicher, als man sich das vorstellt. Vor dem Start muss ich vor allem das Bordbuffet entgegennehmen. Das ist ein Kasten, in dem so Manches zur Erfrischung ist. Größter Beliebtheit erfreut sich aber der Kühlschrank mit gut gekühltem Pilsner. Schon mehrmals sind wir ohne Vorräte wieder gelandet. Auf dem Flughafen hole ich noch Zeitungen, Linienpläne und die Post ab. Zudem habe ich immer einen kleinen Koffer mit Werbematerial über unsere Republik bei mir. Manche Reisenden interessieren sich von selbst für die Flugmöglichkeiten in unserer Republik, mit anderen muss ich ein solches Gespräch auf passende Weise erst anknüpfen. Manchmal herrscht dabei ein babylonisches Sprachgewirr, und wir haben alle großen Spaß. Ab und zu ist die Unterhaltung so lebhaft, dass die Reisenden ganz vergessen, dass wir uns in der Höhe von mehreren Kilometern befinden oder dass wir gerade in ein Schlechtwettergebiet geraten.“

Die dynamische Entwicklung in den Pionierzeiten des Passagierfluges endete jedoch abrupt mit der Besetzung von Böhmen und Mähren durch Hitler-Deutschland im März 1939. Danach ging das Eigentum der ČSA an die Lufthansa über. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg kam es zur Erneuerung der tschechoslowakischen Fluggesellschaft. Sie sollte für viele Jahrzehnte die einzige im Land bleiben.

Vernetzung von Ost und West

Ab 1945 boten die erneuerten ČSA zunächst nur Inlandsflüge an, später auch erste Auslandsflüge. Im Herbst 1957 landete das erste Düsenflugzeug in Prag-Ruzyně, eine Tupolev Tu-104. Die Československé aerolinie hatten sie gekauft und wurden damit nach der russischen Aeroflot weltweit zur zweiten Fluggesellschaft, die solcherart Maschinen auf ihren Linienflügen einsetzten. Hintergrund war, dass die Sowjetunion auch im Westen für diese Düsenflieger werben wollte, denn die ČSA steuerte auch Ziele dort an. Ende der 1970er Jahre hatte das Unternehmen die größte Flotte seiner hundertjährigen Geschichte in Betrieb: insgesamt 75 Maschinen.

Tupolev Tu-104 | Foto: Archiv von ČSA

Ab 1970 steuerte man zum Beispiel New York an. Es begann laut Jan Sůra die beste Zeit der ČSA…

„Zum Teil fiel diese Zeit noch in die kommunistische Ära, weil die ČSA eine Brücke bildeten zwischen Ost und West. Sie boten also Flugverbindungen aus kapitalistischen Ländern in den Ostblock an. Aber auch die 1990er Jahre lassen sich noch als goldene Ära bezeichnen, als die Konkurrenz noch nicht so groß war und Prag als einer der wichtigeren Flughäfen in Europa galt. Er war Drehscheibe für Flüge in den Nahen Osten oder nach Nordafrika, wohin die Fluggesellschaft noch längere Zeit ein gutes Liniennetz betrieb“, so der Flugverkehrsexperte.

Und nicht nur das: Die České aerolinie punkteten auch durch ihr relatives Altmodischsein:

„Vor allem in den 1990er Jahren unterschieden sie sich von vielen weiteren Fluggesellschaften durch ihren Service. Die ČSA hatten den Ruf, ein ziemlich gutes Angebot an Bord bereitzustellen. Die Reisenden erhielten genügend Catering, das Bordpersonal kümmerte sich relativ intensiv um die Fluggäste.“

Foto: Archiv von ČSA

Der jetzige Niedergang der tschechischen Fluggesellschaft hat viele Ursachen. Dazu gehören weltweite Entwicklungen wie der Terrorangriff vom 11. September 2001 und die folgenden neuen Sicherheitsanforderungen, das Aufkommen der Low-Cost-Airlines und der Einbruch des Flugverkehrs in der Corona-Pandemie. Genauso aber führten Missmanagement und Streitigkeiten in der Firmenleitung zu großen Problemen. Die tschechischen Medien kreiden vor allem dem vom Staat berufenen Ex-Politiker Jaroslav Tvrdík an, in seiner Funktion als ČSA-Generaldirektor dem Unternehmen sehr geschadet zu haben. 2003 übernahm er den Posten und musste bereits Ende 2005 wieder gehen. Zurück blieb ein schwer verschuldetes Unternehmen, das sich niemals wieder vollständig erholt hat. Grund war vor allem der Kauf von teuren neuen Airbus-Maschinen für den Luftbeförderer.

2013 stieg dann die Korean Air bei ČSA ein. Von langer Dauer war dies jedoch nicht. Schon 2017 übernahm die damalige Fluggesellschaft Travel Service, die heute Smartwings heißt, die absolute Mehrheit an dem Traditionsunternehmen. Und diese Eigner haben nun beschlossen, dass die České aerolinie zu einer Marke in ihrem Konzern werden. Jan Sůra schildert, dass das rot-blaue Logo der ČSA vorerst aber nicht aus dem Flugverkehr verschwinden werde – anders als im Fall der Interflug aus der früheren DDR, der ehemaligen Swissair oder etwa der legendären Pan Am aus den USA:

„Die Marke verschwindet paradoxerweise nicht. Im Gegenteil, zwei weitere Flugzeuge vom Typ Airbus A-220 sollen nun neu das Logo ČSA erhalten. Doch die Flüge werden nur noch unter dem Code von Smartwings angeboten. Ohnehin aber ruft die Marke nicht mehr dieselben Gefühle bei den Reisenden hervor wie früher. Die besten Zeiten der ČSA lagen in der Ära, als Fliegen noch einen exklusiven Charakter hatte. Mit dem Aufkommen der Billigfluglinien ist daraus eine gängige Fortbewegungsmethode geworden und häufig auch die billigste Variante, um innerhalb Europas herumzukommen. Und die Kunden sehen das sehr unsentimental, ob sie mit ČSA oder etwa Iberia fliegen, Hauptsache der Termin passt und auch der Preis.“

Foto: Tomáš Adamec,  Tschechischer Rundfunk
Autoren: Till Janzer , Daniel Ordóñez
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