Von Guevara bis Abu Daoud: Das Verhältnis der Tschechoslowakei zu ausländischen Revolutionären und Terroristen

Daniela Richterová

Die kommunistische Tschechoslowakei bot vor allem in den 1970er und 1980er Jahren zahlreichen Linksrevolutionären und Linksterroristen Unterschlupf und versorgte sie sogar mit Waffen. Doch die Anfänge dieser speziellen Liaison liegen viel früher. Die Politologin Daniela Richterová hat sich mit dem Thema beschäftigt und ist auch der Frage nachgegangen, welche eigene Position das tschechoslowakische Regime zum Terrorismus vertreten hat. All dies führt Richterová in ihrer neuesten Monografie „Watching the Jackals“ aus, auf Deutsch könnte man den Titel als „Die Schakale beobachten“ übersetzen. Der folgende Beitrag beruht auf einem Interview unserer Kollegen aus der englischsprachigen Redaktion mit Daniela Richterová. Die slowakische Wissenschaftlerin lehrt und forscht am King’s College London.

Selbst der große Revolutionär Che Guevara und der berühmt-berüchtigte Linksterrorist Carlos der Schakal versteckten sich einst in Prag. Und in seiner Spätphase versorgte das kommunistische Regime in der Tschechoslowakei besonders die Palästinenser mit Waffen und dem Plastiksprengstoff Semtex, der in einem ostböhmischen Chemiewerk entwickelt worden war.

Allerdings kamen die ersten Revolutionäre zum Untertauchen aus Afrika ins Land– und das schon ab den 1950er Jahren. Die Politologin Daniela Richterová forscht besonders zum Thema Spionage und Terrorismus während des Kalten Kriegs. Jetzt im Januar erscheint ihre jüngste Monografie unter dem Titel „Watching the Jackals“, einer Anspielung gerade auf Carlos den Schakal. In dem Buch fasst sie die Ergebnisse ihrer langjährigen Forschung zusammen. Im Interview für Radio Prag International sagt sie über den Beginn der Liaison Prags mit Terroristen und Revolutionären:

Foto Georgetown University Press

„Die Tschechoslowakei wurde in den späten 1950er und den frühen 1960er Jahren aktiv in diesem Bereich. Damals entstanden zahlreiche nationale Befreiungsbewegungen, und es kam zu Umstürzen – vor allem in Afrika, aber auch in anderen Teilen der Welt. Die Sowjetunion unter Nikita Chruschtschow startete zudem eine aktivistischere Außenpolitik. Dazu gehörte eben auch, die nationalen Befreiungsbewegungen zu unterstützen, unter anderem indem die Tschechoslowakei deren Vertreter bei sich aufnahm. So hatte zum Beispiel der Afrikanische Nationalkongress einen bewaffneten Flügel, und einige seiner Mitglieder wurden hierzulande in Sabotage, der Nutzung von TNT und im Partisanenkampf trainiert. Aber es kamen auch weitere Gruppen, wie etwa aus Guinea Bissau und aus anderen Gegenden des Globalen Südens.“

Daniela Richterová hat die Akten des tschechoslowakischen Geheimdienstes StB durchforstet und ist im Laufe der Zeit auf immer neue interessante Aspekte ihres Themas gestoßen. So betont sie, dass die internationalen Gruppen hierzulande teilweise sehr frei operieren konnten. Das habe sie erstaunt, gibt die Wissenschaftlerin zu, da auch sie früher gelernt habe, dass die Staatssicherheit ihre Augen eigentlich überall gehabt habe…

Die StB war kaum beauftragt, sich um diese internationalen Akteure zu kümmern.

„Die Erkenntnis zieht sich durch mein ganzes Buch: Tatsächlich war die StB kaum beauftragt, sich um diese internationalen Akteure zu kümmern. Ein Beispiel dafür war die Operation ‚Manuel‘, die ungefähr acht Jahre lang dauerte. Sie erlaubte den Kubanern in den 1960er Jahren, zahlreiche Revolutionäre aus Lateinamerika – wie etwa Brasilien, Venezuela oder Kolumbien – oder auch aus dem Nahen Osten durch die Tschechoslowakei zu schleusen“, so Richterová.

Wie die Autorin weiter betont, sei diese Mission wichtig für Havanna gewesen, da sie an die Kubakrise von 1962 anknüpfte. Das Land von Machthaber Fidel Castro war bereits damals isoliert und litt unter dem Embargo der USA. Es gab nur wenige Flugverbindungen aus Kuba in die Welt – und eine habe aber eben über Prag geführt, sagt die Politologin:

„Die Stadt an der Moldau war daher ein guter Ort, über den die Revolutionäre in ihre Heimatländer zurückkehren konnten und, um dort zu versuchen, eine Revolution oder Aufstände zu entfachen. Damit nicht offenbar wurde, dass sie vorher in Kuba gewesen waren, mussten in Prag die Reisedokumente ausgetauscht werden. Aber es war zugleich eine sehr schwierige Beziehung, denn die Kubaner hatten ihre eigenen Ziele, und die Revolutionäre waren teils sehr widerspenstig. Manche sind sogar übergelaufen. Dann erzählten sie der Welt, dass die Tschechoslowakei eine wichtige Rolle spiele und der verlängerte logistische Arm des kubanischen Trainingsprogramms für Revolutionäre sei.“

In der Zeit, in der die Operation „Manuel“ lief, kam auch Ernesto Che Guevara in die Tschechoslowakei. Der Marxist und Guerillaführer aus Argentinien hatte in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre neben Fidel Castro die Revolution in Kuba angeführt. Ob er direkt im Rahmen des Trainingsprogramms hierher gereist sei, ließe sich nicht sagen, gesteht Richterová. Aber er sei von März bis Juli 1966 in einem der zahlreichen – wie sie sagt – Safe Houses, also geheimen Unterschlüpfe der Kubaner in der Tschechoslowakei untergebracht gewesen. Im Übrigen geschah das ohne Wissen der tschechoslowakischen Staatssicherheit:

„Che Guevara war damals mental und körperlich erschöpft. Er kam aus dem Kongo hierher, dort hatte er versucht, einen Aufstand anzuzetteln, was letztlich aber fehlschlug. Danach wurde ihm geraten, irgendwo sich zu entspannen – und das war offensichtlich die Tschechoslowakei. Er kam mit mehreren Freunden hierher. Zunächst war Guevara in einem kleinen Haus im Prager Stadtzentrum untergebracht. Später zog er in eine Villa im Vorort Ládvi um, die während des Zweiten Weltkriegs der Nazi-Kollaborateur Jaroslav Krejčí bewohnt hatte. Soweit ich weiß, hat sich der Revolutionär wirklich hier ausgeruht. Man spielte Schach und Fußball. Doch zum Ende des Aufenthalts planten Che Guevara und seine Freunde ihre nächste Mission – der versuchte Aufstand in Bolivien, bei dem er dann getötet wurde.“

Schwieriges Bündnis mit der PLO

In einem großen Teil ihres neuen Buches beschäftigt sich Richterová mit den Beziehungen zwischen der Tschechoslowakei und der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO). Diese waren teils sehr eng – nicht nur als der PLO-Vorsitzende Jassir Arafat im Oktober 1989 auch offiziell auf der Prager Burg empfangen wurde und ihm Staatspräsident Gustav Husák einen Staatsorden verlieh. Auch schon zuvor war Arafat immer wieder in der ČSSR gewesen, jedoch häufig verdeckt. Und ebenfalls indirekt versorgte Prag die PLO mit dem Plastiksprengstoff Semtex, meist über Syrien oder den Iran. Allerdings war dies eine Entwicklung, die erst in den 1970er Jahren einsetzte. Zunächst sei die PLO auch im Ostblock nämlich argwöhnisch beäugt worden, schildert die Politologin:

„Die Palästinenser kamen in den 1960er Jahren in diese Gegend und baten um Waffen und Training. Die meisten Ostblockstaaten lehnten jedoch ab, weil sie die PLO nicht einschätzen konnten. Das änderte sich 1970, als die Sowjetunion über Ägypten erstmals Waffen an die Organisation lieferte. Der Hauptumschwung kam aber nach Jassir Arafats Ölzweig-Rede vor der Uno im Oktober 1974. Damals deutete er an, auch für diplomatische Verhandlungen offen zu sein, ohne sich allerdings vom bewaffneten Kampf gegen Israel loszusagen. Danach wurde Arafat erstmals als offizieller Repräsentant auch in die Tschechoslowakei eingeladen. Die PLO eröffnete in Prag sogar ein Büro, das fast wie eine Botschaft war, anfangs indes keinen diplomatischen Status hatte. Hierzulande war man interessiert an den Palästinensern, weil man sie als die Flaggenträger der Revolution im Nahen Osten wahrnahm.“

Auf der anderen Seite, so betont Richterová, sorgte sich die ČSSR um ihren internationalen Ruf. Sie wollte nicht direkt mit der Unterstützung von Terrorismus in Verbindung gebracht werden und ebenso wenig als Marionette Moskaus erscheinen. Deswegen seien die Beziehungen zur PLO immer auch eine schwierige Angelegenheit geblieben, so die Forscherin. Allerdings habe es noch einen weiteren Aspekt der Kooperation gegeben – und zwar den des Geschäfts. Die kommunistische Tschechoslowakei betrieb schon ab den 1950er Jahren regen Außenhandel, und das ebenso mit Waffen. Auf diese Weise kam sie an dringend benötigte Devisen.

Trotz der Sorge um den eigenen Ruf fanden auch solche Terroristen hierzulande einen Unterschlupf, die weltweit ganz oben auf den Fahndungslisten standen. Der wohl größte Name war Carlos der Schakal, der Sohn eines wohlhabenden venezolanischen Marxisten. Eigentlich hieß er Ilich Ramírez Sánchez. In den 1970er Jahren schloss er sich der Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) an und verübte mehrere Anschläge auch in Westeuropa. Nach dem Angriff auf das OPEC-Hauptquartier in Wien im Dezember 1975, den er geleitet hatte, wurde Carlos jedoch aus der Volksfront ausgeschlossen. In der Folge stand er in Diensten von Syrien und des Irak. Und Richterová führt weiter aus.

„Als er das erste Mal nach Prag kam, arbeitete er noch für den Irak. Er begleitete damals eine rätselhafte Dame, deren Identität die tschechoslowakische Staatssicherheit nicht in der Lage war aufzudecken. Mit Hilfe von Freunden habe ich aber herausgefunden, dass es sich um Souhaila Andrawes handelte. Das war die Palästinenserin, die 1977 zu den vier Entführern des deutschen Flugzeugs ‚Landshut‘ gehört hatte und als einzige von ihnen die Erstürmung der Maschine überlebte. Es ist eine komplizierte Geschichte, aber meinen Recherchen zufolge wurde sie ein Jahr nach der Entführung zur ärztlichen Behandlung nach Prag geschickt. Sie war bei dem Einsatz der GSG 9 durch mehrere Schüsse verwundet worden. Carlos der Schakal begleitete sie nach Prag, beide trafen sich dann regelmäßig hier, und er verbrachte einige Zeit mit ihr im Verlauf von sechs Monaten.“

Bis 1986 besuchte der Terrorist insgesamt zehnmal die Stadt an der Moldau. Dabei traf er laut Forschungen unterschiedliche Mitstreiter und plante gemeinsame Anschläge. Beim letzten Aufenthalt hier war seine deutsche Partnerin Magdalena Kopp dabei. Sie war schwanger, und beide hofften, dass das Kind in Prag auf die Welt kommen könnte. Doch die Staatssicherheit StB hatte bereits genug von ihm und nutzte eine List, um Carlos ein für alle Mal zu vergraulen.

Drahtzieher des Münchner Olympia-Attentats

Weitere unrühmliche Namen sind Abu Daoud, einer der Drahtzieher des Münchner Olympia-Attentats von 1972, und Abu Nidal, der eine Abspaltung der PLO gegründet hatte und rund einhundert Menschen in 20 unterschiedlichen Ländern ermorden ließ.

Abu Daoud mit einer Frau in der Tschechoslowakei

Daoud kam zwischen 1977 und 1982 mehrere Male nach Prag. Einmal checkte er ausgerechnet zu dem Zeitpunkt im Hotel Intercontinental ein, als auch das Internationale Olympische Komitee (IOC) dort war. Bei dem Anschlag in München hatte die palästinensische Terrorgruppe Schwarze Hand elf israelische Teilnehmer der Spiele ermordet. Dass fünf Jahre später einer der Drahtzieher im selben Hotel wie das IOC logierte, sei aber eher ein Zufall gewesen, urteilt Daniela Richterová. Insgesamt sei Daoud bei den Aufenthalten in Prag eher an Vergnügungen interessiert gewesen, so habe er nachweislich die Dienste von Prostituierten genutzt. Ebenso traf er laut der Politologin die Vertreter weiterer Palästinensergruppen, darunter auch Carlos den Schakal:

„Ich habe daher zwei Hypothesen. Die eine geht dahin, dass Abu Daoud herausfinden wollte, was die anderen Gruppen planten, und dies an seine PLO-Kontakte im Libanon und später in Tunesien weiterberichtete. Oder, so die zweite Hypothese, er fädelte den einen oder anderen Waffenhandel ein. Carlos war darin sehr gewitzt und verkaufte zum Beispiel einige der Waffen weiter, die beim Münchner Olympia-Attentat benutzt worden waren.“

Schon als Abu Daoud zeitgleich mit dem IOC im Prager Hotel Intercontinental war, befürchtete die tschechoslowakische StB laut den Akten, dass ein Attentat wie in München auch in Prag drohen könne. Erst 1982 aber nahm sie den Palästinenser für ein Verhör fest, bei dem sie ihm unverhohlen mit der Veröffentlichung pikanter Details aus seinem Lotterleben drohte – und der Terrorist ward nie mehr in der Stadt wiedergesehen.

Man hatte wirklich Angst vor Abu Nidal, weil man wusste, dass einige Mitglieder der Abu-Nidal-Organisation nach Prag reisten, um Vertreter der palästinensischen Diaspora zu rekrutieren.

Noch extremer lag der Fall von Abu Nidal. Der radikale Palästinenser hatte keine Scheu, selbst gemäßigte Vertreter seiner eigenen Volksgruppe zu töten. Deswegen waren die Spitzel der Staatssicherheit in Aufruhr und befürchteten, dass auch er hierher kommen könnte.

„Sie hielten ihn für extrem radikal. Und sie erwarteten nicht, dass er sich dadurch abhalten ließe, Ziele im Ostblock anzugreifen, nur weil man selbst die Palästinenser politologisch sowie ideologisch unterstützte und ihnen Schutz bot. Man hatte also wirklich Angst vor ihm, weil man wusste, dass einige Mitglieder der Abu-Nidal-Organisation nach Prag reisten, um Vertreter der palästinensischen Diaspora zu rekrutieren“, so Richterová.

Tatsächlich versuchte in den späten 1980er Jahren einer seiner Verbündeten, ein Bündnis mit der Regierung in Prag aufzubauen. Ein Jahr später tauchte derselbe Mann aber wieder auf und bat um Schutz vor der Abu-Nidal-Organisation, da er angeblich von dieser desertiert sei. Die Partnerschaft der Tschechoslowakei mit den Terroristen habe immer wieder dramatische Momente hervorgebracht, weil diese so wenig berechenbar gewesen seien, sagt Daniela Richterová abschließend.