„Am schönsten war die Samtene Revolution“ – Journalistin Barbara Coudenhove-Kalergi über ihre Beziehung zu Prag
Sie war Zeugin einiger der spannendsten geschichtlichen Ereignisse im 20. Jahrhundert. Barbara Coudenhove-Kalergi wurde im Jahr 1932 in eine böhmische Adelsfamilie hinein geboren. Sie wuchs in einer Villa in Prag-Smíchov auf, bis die Familie 1945 nach Österreich auswandern musste. Coudenhove-Kalergi kehrte dennoch immer wieder in ihre Geburtsstadt zurück, unter anderem während des Prager Frühlings. 1989 berichtete sie für den ORF aus der Goldenen Stadt, kurz nach der Wende war sie Leiterin des ORF-Korrespondentenbüros in Prag.
„Momentan ist es in Wien. Ich lebe seit vielen Jahren in Wien, aber Prag, wo ich geboren bin und meine Kindheit verbracht habe, ist natürlich immer noch ein wichtiger Ort für mich. Ich bin immer wieder nach Prag gefahren, jetzt ist es mir aber schon ein bisschen zu touristisch.“
Welche Erinnerungen haben Sie denn an das Prag Ihrer Kindheit?
„Das war einerseits die Zeit der tschechoslowakischen Republik. Da waren wir ein Teil der tschechischen Minderheit. Mein Vater hat sich immer als einen ,Böhmen deutscher Zunge‘ bezeichnet. Das ist ein Begriff, den im 19. Jahrhundert der Philosoph Bernard Bolzano geprägt hat. Das war die Zeit, in der man ein Patriot war. Man hat sich dem Land verpflichtet gefühlt, egal ob die Muttersprache Deutsch oder Tschechisch war. In dem Moment, in dem die Deutschen einmarschiert sind, wurde das natürlich anders. Da wurden dann alle Deutschsprachigen automatisch Bürger des Deutschen Reichs. Als Angehöriger der deutschen Minderheit konnte man da nicht mehr Böhme sein, sondern musste entweder Tscheche oder Deutscher sein. Nach 1945 ist die deutsche Minderheit aus der Tschechoslowakei, aus Böhmen, dann völlig verschwunden.“
Sie sind damals mit Ihren Eltern und Ihrem kleinen Bruder nach Salzburg geflohen. Haben Sie sich dort zunächst als Fremde gefühlt?„Ja, da habe ich mich völlig als Fremde gefühlt. Wir waren da in einem entlegenen Bergort und ich war ein Stadtkind. Ich hatte also große Sehnsucht nach meinem heißgeliebten Prag. Ich bin dann nach Wien gegangen, das war dann schon wieder etwas anderes – das war die Großstadt. Später bin ich immer wieder als Journalistin in Osteuropa unterwegs gewesen. 1989 habe ich die Wende in vielen osteuropäischen Gegenden erlebt. Am schönsten war natürlich die Samtene Revolution in Prag. Danach hat der ORF (Österreichischer Rundfunk, Anm. d. Red.) ein Büro in Prag eingerichtet. Da war ich wieder eine Zeit lang in meiner Heimatstadt, aber eben in einer anderen Funktion.“
Gibt es etwas, was Sie als Kind besonders an Tschechien vermisst haben, also etwas, was es in Österreich nicht gab?„Prag ist natürlich für alle, die dort gelebt haben, etwas ganz Besonderes – eine wunderbare Stadt. Viele sagen es ist die schönste Stadt nördlich der Alpen und für mich ist es überhaupt eine der schönsten Städte, die ich kenne. Ich habe mich eigentlich als Kind – wir haben damals in einem Vorort gewohnt – immer darauf gefreut, dass ich als Erwachsene wirklich jeden Winkel und jedes Haus und jedes Palais und jede Kirche genau kennen werde. Mein Vater hat viele Geschichten, Sagen und Legenden gewusst, von denen es in Prag ja viele gibt. Das wollte ich also alles ganz genau kennen lernen und das war dann eben erst später unter ganz anderen Umständen wieder möglich.“
Sie wissen wie es sich anfühlt, aus der Heimat vertrieben zu werden und woanders neu anzufangen. Sie haben gerade erzählt, wie Sie damals nach Salzburg gekommen sind. Ist das der Grund, weshalb Sie sich heute für Asylbewerber in Österreich engagieren?„Ja, das hat schon mit meiner eigenen Erfahrung zu tun. Wir sind damals völlig mittellos zu Fuß von Prag nach Österreich gewandert. Wir hatten wirklich nur das, was wir am Leibe hatten. Ich habe mir dann später gedacht: Wir sind damals vom Staat nicht besonders unterstützt worden, aber wir sind auch nicht daran gehindert worden, uns selbst zu helfen. Und heute haben es diejenigen, die aus anderen Ländern und Kontinenten zu uns kommen sehr viel schwerer. Und weil ich diese Situation aus eigener Erfahrung kenne, bin ich jetzt Deutschlehrerin für Asylbewerber.“
Um noch einmal zu Prag zurückzukommen: Sie sind als Journalistin ja immer wieder nach Prag gefahren. War Ihre erste Reise 1968 während des Prager Frühlings?
„Ich war schon früher ein, zwei Mal in Prag und auch in Březnice in Südböhmen. Dort kommen meine Großeltern her und wir waren dort als Kinder immer in den Ferien. Ich habe irgendwann zum ersten Mal ein eigenes Auto gehabt und da habe ich mir immer vorgenommen: Die erste Fahrt geht nach Böhmen. Wir sind also nach Březnice gefahren und sind dort sehr lieb und freundlich aufgenommen worden. Der Prager Frühling 1968 – das war diese kurze Zeit, in der Prag auch intellektuell und künstlerisch eine Blüte erlebt hat. Wir hatten damals auch ein paar Freunde in Prag, die meinen Mann und mich viel herumgeführt haben. Wir haben also die wunderbaren Filme gesehen, die damals in Prag entstanden sind. Ich kann mich noch erinnern, wie wir beim Frühstück gesessen sind und einer unserer tschechischen Freunde plötzlich hereingestürmt ist und uns das „Manifest der 2000 Worte“ gezeigt hat. Also dieses berühmte Manifest einer Gruppe von Intellektuellen, die sozusagen die Demokratie unter den Verhältnissen des Sozialismus eingefordert hat. Wir haben uns damals vorgestellt, wie wunderbar das sein wird, wenn im Westen mehr soziale Gerechtigkeit und im Osten mehr Demokratie entsteht. Das war eine Hoffnung, die damals viele hatten und die dann natürlich mit dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts zerstört wurde. Aber das war so etwas wie Generalprobe für 1989 und da hatte ich dann das Glück, als Journalistin dabei zu sein.“
Damals waren Sie als Journalistin für den ORF sogar auf der Pressekonferenz, in der Václav Havel erfahren hat, dass das Zentralkomitee der KP zurückgetreten ist. Wie war das?„Das war ein wirklich ganz großer Moment. Es hatte ja schon vorher tagelang und wochenlang die großen Versammlungen auf dem Wenzelsplatz und später auf dem Letná-Hügel gegeben. Ich war auf dem Weg zur Pressekonferenz und habe im Radio gehört, dass das Zentralkomitee der kommunistischen Partei zurückgetreten ist. Ich habe meinen Ohren nicht getraut! Als wir dann in der Laterna Magika zu dieser Pressekonferenz gekommen sind – es waren ja damals Journalisten aus aller Welt in Prag, für die es jeden Tag im Keller der Laterna Magika eine Pressekonferenz gab – da haben Havel und die anderen überhaupt noch nichts gewusst. Plötzlich kam ein Mädchen auf die Bühne gestürzt und hat gesagt: Das Zentralkomitee ist zurückgetreten! Das war etwas, was am Anfang wirklich kaum jemand glauben konnte. Denn die kommunistische Partei war ja noch bis vor kurzem die gefürchtete allmächtige einzige Macht im Staate. Und dass die plötzlich einfach weg waren und dass dieses kleine Häufchen ziemlich unbekannter Intellektueller auf dieser Kellerbühne plötzlich die Herren des Landes waren – das war etwas, was sich damals weder wir Ausländer, noch die Beteiligten selbst vorstellen konnten. Ich kann mich erinnern, dass dann plötzlich jemand Champagner gebracht hat und sich alle in die Arme gefallen sind. Václav Havel hat dann gerufen ,Es lebe die freie Tschechoslowakei‘ und alle anderen haben das dann auch gerufen. Ich habe mir gedacht, das ist wirklich eine Sternstunde, die man nicht oft im Leben erlebt.“
Vor kurzem haben Sie das Schloss in Poběžovice besucht, in Ronsberg, das früher das Familienschloss der Coudenhove-Kalergis war. Wie kam es dazu?„Ich war mit meinem Buch ,Zuhause ist Überall‘ auf einer Lesereise in Bayern. Wir waren da auf der bayrischen Seite nahe an der Grenze zu Poběžovice, das frühere Ronsperg. Wir sind dort hinüber gefahren und haben dort eine Gruppe von jungen Leuten gefunden, die das vollkommen verfallene Schloss, aus dem mein Vater stammte, wieder herrichteten. Das war jahrzehntelang so etwas wie eine Müllhalde – die Leute haben den ganzen Schutt und Dreck dort abgeladen. Das war ja das Grenzgebiet, das Sudentenland war jahrelang eine ziemlich verwahrloste Gegend. Die Deutschen waren vertrieben, die Dörfer sind verfallen. Ich war ja auch während meiner Zeit als Korrespondentin in Prag oft mit Kamerateams dort unterwegs. Es war wirklich traurig zu sehen wie verkommen und verfallen die Dörfer und Städte dort waren. Ronsperg war keine Ausnahme. Aber inzwischen ist eine neue Generation da. Diese jungen Leute haben sich vorgenommen, dieses Schloss wieder herzurichten. Sie haben dort auch ein kleines Tourismusbüro eingerichtet. Ich weiß nicht, ob dort viele Touristen hinkommen. Aber jedenfalls haben sie versucht, die Schicksale und die Geschichte unserer Familie wieder auszugraben. Sie haben dort alle möglichen Fotos aufgestellt und sich natürlich gefreut, dass ich dort aufgetaucht bin und sie haben mir alles gezeigt. Was ich besonders nett und lustig fand, war: Die Fensterrahmen in dem Gebäude sind natürlich leer. Da haben sie im Ort eine Art Wettbewerb veranstaltet und Holzplatten in diese Fensterrahmen eingehängt, damit es nicht hineinregnet. Die Leute aus dem Ort haben diese Holzplatten bemalt. Da hat man also plötzlich aus den Fenstern meinen Großvater und meine Großmutter herausschauen sehen, das war ihren Fotos nachgemalt. Die Kinder haben auch andere Sachen gemalt: Katzen und Tiere und Apfelbäume. Das sah sehr lustig aus. Sie haben sich vorgenommen, dieses Schloss wieder herzurichten. Und ich habe mir gedacht, wenn diese verlassenen Gegenden wieder mit Leben erfüllt werden, wenn sie eine neue Generation wieder mit Leben und auch mit einer Seele ausstattet, dann ist das eigentlich sehr schön.“
Barbara Coudenhove-Kalergis Autobiographie „Zuhause ist Überall“ ist vergangenes Jahr im Zsolnay-Verlag erschienen. Coudenhove-Kalergi erzählt darin unter anderem von ihrer Kindheit in Prag, von der Flucht nach Österreich und von ihren Erlebnissen als Journalistin in Tschechien, Polen und beim Fall der Berliner Mauer. Wer Barbara Coudenhove-Kalergi kennen lernen möchte, hat dazu die Gelegenheit bei einer Lesung am Samstag, dem 27. September, um 18 Uhr im Schloss Gobelsburg in Niederösterreich.