Wie „Tausendundeine Nacht“ nach Tschechien kam – eine Editionsgeschichte

„Tausend und eine Nacht“

Sie sind indischen Ursprungs, wurden später persisch und arabisch übertragen und liegen heute aber in textgetreuen Übersetzungen in vielen Sprachen der Welt vor: die Geschichten von Tausendundeiner Nacht. Bis heute haben sie nichts von ihrer Attraktivität eingebüßt. Seit Beginn dieses Jahres erscheint die orientalische Geschichtensammlung im Prager Academia-Verlag in einer exklusiven tschechischen Edition. Im Januar wurden begonnen, die acht Bände der Edition in die Regale der Buchläden zu bringen, noch vor Weihnachten soll auch der letzte dort stehen.

„Tausend und eine Nacht“
Zwei aktuelle Anlässe haben den Academia-Verlag zur Herausgabe der Erzählungen von Tausendundeiner Nacht motiviert. Zum einen ist es rund 300 Jahre her, dass die Erzählungen erstmals in Europa auftauchten. Zum anderen jährt sich am 17. März dieses Jahres der 30. Todestag des tschechischen Orientalisten Felix Tauer, der die Geschichtensammlung als erster aus dem Arabischen ins Tschechische übersetzt hat. Als Felix Tauer, Professor an der Prager Karlsuniversität, im Alter von 87 Jahren starb, schrieb Bert G. Fragner, der spätere Direktor des Instituts für Iranistik der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, in einem Nachruf:

Felix Tauer
„Er war einer der letzten großen tschechoslowakischen Orientalisten, die durch Bildung und Studium noch in vieler Hinsicht der Kulturwelt des alten Österreichs verbunden waren, aber seit den frühern 1920er Jahren den Ruf der Orientforschung ihres neu erstandenen Heimatlandes, der jungen Tschechoslowakei, in alle Welt trugen.“

Felix Tauer studierte in Prag Arabisch, Persisch und Türkisch, doch neben der orientalischen Philologie absolvierte er auch ein Studium der Geschichte. Beides bildete für ihn ein gutes Fundament, um in persischer Sprache verfasste Quellen studieren zu können. Anhand der dadurch erworbenen Kenntnisse hat sich Tauer unter anderem um eine grundlegende Gesamtdarstellung des persischen gelehrten Schrifttums verdient gemacht.

„Tausend und eine Nacht“
Tauers wohl wichtigste Arbeit war allerdings die Übersetzung von Tausendundeiner Nacht. Den Erzählungen mit diesem Namen liegt kein geschlossener Urtext mit einem definierten Autor oder Sammler zugrunde.

Im Lauf der Zeit wurden nämlich in die ursprüngliche Rahmenerzählung weitere Geschichten verschiedener Herkunft integriert, die allesamt die Gestalt der schönen und klugen Prinzessin Scheherazade als Erzählerin gemeinsam hatten. Durch Überlieferung verbreiteten sich die Erzählungen aus Indien über Persien, den Irak auch nach Ägypten, Tunesien und andere arabische Länder. Wann und wie trafen sie aber in Europa ein, wo sie eine völlig unerwartete Wirkung hatten? Eine Frage an Jaroslav Oliverius (1933), Professor für Arabistik und Hebraistik an der Philosophischen Fakultät in Prag:

Antoine Galland
„Zur ersten Begegnung kam es vor ungefähr 300 Jahren dank des französischen Orientalisten Antoine Galland, der lange Zeit im Orient lebte. Dort geriet ihm die um 1450 entstandene arabische Handschrift mit Geschichten von Tausendundeiner Nacht in die Hände. Er nahm sie mit nach Paris und begann mit ihrer Übersetzung.“

Es handelte sich nur um einen Torso, der mitten in der 282. Nacht abbricht. Gallands Übersetzung erschien nach und nach seit 1704 in insgesamt 12 Bänden. Nach Meinung des tschechischen Orientforschers Felix Tauer war es allerdings keine Übersetzung im unmittelbaren Sinn des Wortes. Im Nachwort zu seiner eigenen Übersetzung schrieb Tauer, dass Gallands Werk aus der Umschrift eines Originaltextes bestünde, der sich dem damaligen Geschmack der Franzosen anzupassen versuchte. Allenfalls gab sie die Initialzündung für die Übertragung der Geschichten auch in andere europäische Sprachen. Wann erschienen sie zum ersten Mal auch auf Tschechisch? Jaroslav Oliverius.

„Tausend und eine Nacht“
„Nach Böhmen gelangten die Texte zunächst als deutsche Übersetzungen. 1796 gab der bekannte Prager Zeitungsverleger und Schriftsteller Václav Matěj Kramerius sie dann als tschechisches Buch mit dem Titel ´Arabische Märchen´ heraus. Das Buch fußte eben auf einer deutschen Übersetzung, die aller Wahrscheinlichkeit nach wiederum eine Übersetzung von Gallands Texten war.“

Im Lauf des 19. Jahrhunderts erschien in Europa eine Reihe vollständiger Übersetzungen aus arabischen Originaltexten - insbesondere in englischer und deutscher Sprache. Die Tschechen mussten aber immer noch auf eine Ausgabe in ihrer Muttersprache warten. In den 1920er Jahren arbeiteten in der Tschechoslowakei und in Deutschland praktisch parallel zwei Forscher an der Übersetzung von Tausendundeiner Nacht. Der deutschen Übersetzung legte der Tübinger Orientalist Enno Littmann eine redigierte, in Indien gedruckte arabische Ausgabe zugrunde. Es handelte sich um die so genannte Calcutta-II-Ausgabe aus den Jahren 1839 bis 1842. Die tschechische Übersetzung, die allerdings auf einer anderen Originalquelle beruhte, stammte von Felix Tauer. Seine Tochter Hana Tauerová erinnerte sich im Tschechischen Rundfunk an die Arbeit ihres Vaters:

Hana Tauerová  (Foto: Odeon)
„Soviel ich weiß, hat mein Vater der Arbeit an Tausendundeiner Nacht sein ganzes Berufsleben gewidmet. Er begann damit in den 1920er Jahren. Damals besuchte er zweimal auch Istanbul, um dort alte arabische Handschriften zu studieren und die vorhandenen Quellen und Unterlagen aus verschiedenen Moscheenbibliotheken zusammenzutragen. Seine große Übersetzung war praktisch schon vor dem Zweiten Weltkrieg für die Herausgabe vorbereitet, konnte aber erst zwischen den Jahren 1945 und 1950 in sechs Bänden erscheinen.“

Tauer übersetzte Tausendundeine Nacht als erster aus dem arabischen Text der so genannten Wortley-Montague-Handschrift, die 1764 in Ägypten entstand und wenig später in die „Bodleian Library“ nach Oxford gebracht wurde. Durch englische Freunde gelang es ihm, diese Handschrift für seine Übersetzung auszuleihen. Tauers Übersetzung wird als Ergänzungsband zur Littmannschen Übertragung betrachtet.

„Tausend und eine Nacht“
Für die Erzählungen von Tausendundeiner Nacht hat sich nicht nur in Tschechien fälschlich die Bezeichnung „Märchen“ eingebürgert. In Wirklichkeit besteht die Sammlung aus einer breiten Palette von Genres. Außer den humorvollen, phantastischen oder rührenden Geschichten waren in den arabischen Texten auch Schilderungen erotischer Abenteuer enthalten. Letztere hat Felix Tauer auch übersetzt. Seine Tochter Hana Tauerová erinnert sich:

„Mein Vater beherrschte perfekt auch die deutsche Sprache in Wort und Schrift. Einen Teil der Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht hat er aus dem Arabischen direkt ins Deutsche übertragen. Erschienen sind sie 1966 im Frankfurter Insel Verlag und 1995 als Insel Taschenbuch mit 1007 Seiten in der Leipziger Filiale des Verlags. Ebenso erschien dort ein Band mit dem Titel ´Erotische Märchen´, die mein Vater ebenso direkt ins Deutsche übersetze. Beide Übersetzungen haben bis heute auf dem tschechischen Buchmarkt kein Pendant.“

Die Gründe, warum nun gerade Tauers Übersetzung der orientalischen Geschichten im Prager Verlag Academia erscheint, sind nicht nur die zwei anfangs erwähnten runden Jubiläen: der 30. Todestag von Felix Tauer und der 300. Jahrestag der Ausgabe von Gallands Werk. Petra Dienstlerová, die mit der Redaktion der tschechischen Ausgabe beauftragt wurde, ergänzt:

„Weil die Geschichten faszinierend sind. Auch die Sprache von Professor Tauer bietet eine sehr angenehme Lektüre. Er schuf eine bis in die Klanggestalt und Metrik textgetreue Übersetzung der arabischen Vorlage. Die Texte enthalten nämlich auch Reimprosa sowie wirkliche Poesie, die einst zu der Erzählkunst im Orient gehörte. Um den Leser oder Zuhörer nicht zu ermüden, hat der Erzähler die Prosa eben auch mit Versen kombiniert. Insbesondere in den Schilderungen von Liebes- und Trauergeschichten findet man im Text längere in Versen verfasste Passagen.“

Außerdem will der Academia-Verlag mit diesem Titel an die Tradition bibliophiler Ausgaben anknüpfen. Die Herstellung ist sehr aufwendig, wie Dienstlerová beschreibt:

„Die Buchdeckel sind mit Seidenstoff bezogen, der speziell für diese Ausgabe in einer Weberei in Bamberg hergestellt wird. Von dort wird er nach Banská Bystrica in der Slowakei geliefert, wo der Seidenbezug der Buchdeckel gefertigt und die Buchblöcke gedruckt werden. Diese werden anschließend in eine Buchbinderei nach Deutschland geschickt, nämlich in die Familienfirma Mayer in Esslingen, die sich auf beinahe vergessene handwerkliche Techniken der Buchbindung spezialisiert. Hier bekommen die Bücher auch den Goldschnitt, der mit demselben Ornamentmotiv wie der obere Buchdeckel versehen ist. Die Buchdeckel von jedem der insgesamt acht Bände werden sich farblich voneinander unterscheiden. Jeder Band wurde auch von einem anderen Künstler illustriert. Die Gesamtzahl der Illustrationen beläuft sich auf über 600.“

Das Ergebnis soll ein außergewöhnliches Buchwerk sein. Außergewöhnlich ist allerdings auch der Preis. Im November sollen die letzten drei Bände der Buchreihe in den tschechischen Buchhandlungen vorliegen. Als Weihnachtsgeschenk könnten sie vielleicht die eine oder andere Privatbibliothek bereichern – sofern man bereit ist umgerechnet rund 240 Euro auf den Tisch zu legen.


Dieser Beitrag wurde am 5. Februar 2011 gesendet. Heute konnten Sie seine Wiederholung hören.