Der böhmische Verteidiger Wiens: Kaplíř ze Sulevic

Zdeněk Kašpar Kaplíř ze Sulevic

In seiner Heimat ist er fast in Vergessenheit geraten. Aber auch am Ort seines größten Erfolges sind die Erinnerungen verblasst. Dabei trug der Adelige Zdeněk Kašpar Kaplíř ze Sulevic aus Nordböhmen in wichtiger Funktion dazu bei, dass Wien, ja vielleicht sogar Europa, in der frühen Neuzeit nicht unter osmanische Herrschaft kam. Denn Kaplíř ze Sulevic hatte bei der zweiten Belagerung Wiens im Jahr 1683 die zivile Leitung der Stadt an der Donau inne. Und das als Nachkomme einer Familie, die Anfang des 17. Jahrhunderts am Ständeaufstand gegen die Habsburger mitgewirkt hatte. Eine bemerkenswerte Karriere also für den Edelmann, der vor 400 Jahren geboren wurde.

Zdeněk Kašpar Kaplíř ze Sulevic
Man schreibt das Jahr 1611, als Zdeněk Kašpar Kaplíř ze Sulevic das Licht der Welt erblickt. Der Habsburger Rudolf II. sitzt auf dem Thron in Prag. Bald darauf wird die Familie Kaplíř ze Sulevic aus Nordböhmen aber in die Rebellion gegen die Habsburger hineingezogen. Zdeněk Kašpars Großvater nimmt an dem Ständeaufstand von 1618 teil und wird deswegen zusammen mit 26 weiteren Adligen und Bürgern auf dem Altstädter Ring in Prag hingerichtet. Das beeinflusst auch das Leben des Neffen, wie Jiří Mikulec vom historischen Institut der tschechischen Akademie der Wissenschaften erzählt:

„Zdeněk Kašpar Kaplíř ze Sulevic lebte danach mit seiner Familie im Exil, er war während des Dreißigjährigen Krieges als Offizier in den protestantischen Armeen tätig. Doch in den 40er Jahren des 17. Jahrhunderts konvertierte er zum Katholizismus und trat in den Dienst des Kaisers ein. In Wien schlug er eine große Karriere beim Militär ein, die ihn bis auf den Posten des Vizepräsidenten des Hofkriegsrates führte. In heutiger Terminologie war er damit stellvertretender Verteidigungsminister.“

Hinrichtung von 27 führenden Männern des böhmischen Aufstandes auf dem Altstädter Ring in Prag
Dieser Aufstieg war durchaus bemerkenswert. Denn nach dem Ständeaufstand galten die Adligen aus den böhmischen Ländern in den Augen der Habsburger in Wien zunächst als unzuverlässig. Das änderte sich allerdings später.

„In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts beteiligte sich eine ganze Reihe Politiker, Diplomaten und Militärangehörige, die ursprünglich aus den böhmischen Ländern kamen, an den Geschicken in der Monarchie. Kaplíř ze Sulevic war bei Weitem nicht der Einzige. Ein anderes Beispiel ist Václav Eusebio von Lobkowicz, also ein Angehöriger eines weiteren alten Adelsgeschlechtes. Er wurde erster Minister von Kaiser Leopold I. in den 70er Jahren des 17. Jahrhunderts“, so Mikulec.



Belagerung Wiens
Doch die größte Herausforderung seiner gesamten Karriere erwartete Kaplíř ze Sulevic erst im hohen Alter: die zweite Belagerung Wiens durch die Türken im Sommer 1683. Der böhmische Adlige war damals bereits 72 Jahre alt.

Während die Wiener gerade einmal 16.000 Männer zu den Waffen rufen können, sind es fast 200.000 Soldaten, die vor den Festungsmauern lagern. Den Oberbefehl über das osmanische Riesenheer hat Großwesir Kara Mustafa Pascha. Und seine Soldaten nehmen die eingekesselte Stadt unter Dauerbeschuss – für die Bürger wird das Leben zur Hölle. Historiker Jiří Mikulec:

Johann III. Sobieski steht vor Wien
„Die Bedingungen bei der Belagerung einer solch großen Stadt wie Wien waren katastrophal, weil schon sehr bald die lebenswichtigen Güter ausgingen - Lebensmittel, aber auch Munition. Gleichzeitig gab es ständig Angriffe, einige Teile der Festung standen praktisch unter täglichem Beschuss. Die Türken drohten in die Stadt einzudringen, bevor die Hilfe ankam, die Leopold I. bestellt hatte – von den deutschen Fürsten und vom polnischen König Johann III. Sobieski.“

Die Belagerung durch die Türken hatte am 14. Juli begonnen. Graf Ernst Rüdiger Starhemberg leitete als Oberbefehlshaber die militärische Verteidigung von Wien. Doch nicht an allen 62 Tagen während der Belagerung. Dazu Florian Haug, Leiter des Österreichischen Kulturforums in Prag:

„Zdeněk Kašpar Kaplíř ze Sulevic war eine gweisse Zeit auch Kommandant bei der Verteidigung Wiens, als Starhemberg krank war. Ansonsten war er für das ganze Logistische zuständig. Die Logistik war für Wien als belagerte Stadt natürlich besonders wichtig.“

Jiří Mikulec  (Foto: Kristýna Fořtová,  Tschechischer Rundfunk)
Und Historiker Jiří Mikulec ergänzt:

„Kašpar Kaplíř ze Sulevic war Leiter der Deputiertenkammer, das war ein Rat, den Kaiser Leopold vor seiner Abreise aus Wien geschaffen hatte. Und er war Leiter der Zivilverwaltung der Stadt. Das heißt, seine Aufgabe während der Belagerung war, an der Spitze der Stadtverwaltung zu stehen und den Kontakt mit dem Kaiserhof über chiffrierte Post aufrechtzuerhalten. Kaplíř ze Sulevic kümmerte sich um die Lebensmittelversorgung, die Pflege von Kranken und Verwundeten sowie auch um freiwillige Soldaten aus den Reihen der Bürger. Er half also, die Verteidigung im nicht-militärischen Bereich zu organisieren. Und als Starhemberg zweimal wegen einer Erkrankung an der Ruhr nicht die Truppen befehligen konnte, übernahm er jeweils für einige Tage die Leitung.“



Belagertes Wien
Die zivilen Aufgaben waren dabei mindestens genauso schwer wie die militärischen. Denn der Dauerbeschuss der Türken führte zu großen Verlusten und vielen Verletzten - unter den Bürgern genauso wie unter den Soldaten in Wien. Gegen Ende waren nur noch 4000 bis 5000 Soldaten einsatzfähig, wie österreichische Historiker herausgefunden haben. Die Wiener Bürger rissen sich zudem nicht gerade um den Dienst im Verteidigungsheer. Außerdem brachen Seuchen aus. Zuletzt zählte man in der Stadt sogar die Stunden, bis das so genannte Entsatzheer aus Deutschland und Polen endlich kam. In der Nacht des 12. September 1683 schien Wien kurz vor dem Fall. Georg Michaelowitz hieß der Kundschafter, der die Verstärkung informieren sollte. Sein Bericht ist erhalten geblieben:

Laufgräben der Osmanen
„Wien war nicht länger zu halten. Des Nachts machte ich mich auf den gefährlichen Ritt durch das feindliche Lager. Es war die einzige Möglichkeit, das Hilfegesuch Starhembergs an den Oberkommandanten des Entsatzheeres zu überbringen. Die Streiter des Islam hielten Wache. Niemand von ihnen ahnte, dass ich auf der Seite der Ungläubigen stand, wie sie uns nannten, und geheime Nachrichten übermittelte. Es war ein riskantes Unternehmen, denn vor mir hatten sie schon zwei Kundschafter entdeckt und geköpft.“

Kara Mustafa Pascha
Doch das Unternehmen gelang, und das Entsatzheer stand schon vor den Toren Wiens - kampfesbereit unter der Führung von Johann Sobieski. Der Angriff der verbündeten deutsch-polnischen Fußtruppen erfolgte im Morgengrauen im Rücken des osmanischen Heeres. Sobieski nutzte die Wiener Höhen, die Kara Mustafa Pascha nicht abgesichert hatte. Die so genannte Schlacht vom Kahlenberg dauerte zwölf Stunden, und am Ende flohen die Türken in einem wilden Durcheinander, wie es in Berichten hieß. Dem Großwesir kostete die Niederlage den Kopf, der Sultan ließ ihn in Belgrad hinrichten.

Und die Verteidiger Wiens? Sie wurden von Kaiser Leopold I. geehrt. Trotzdem war Zdeněk Kašpar Kaplíř ze Sulevic unzufrieden. Jiří Mikulec vom historischen Institut der tschechischen Akademie der Wissenschaften:

„Das ist die bekannte Geschichte darüber, wie Kaiser Leopold nach seinem Einzug in Wien den erkrankten Ernst Rüdiger von Starhemberg besucht und ihn unmittelbar zum Feldmarschall befördert. Das hat Kaplíř ze Sulevic schwer getroffen, da er nur einen Rang unter dem Feldmarschall gestanden hatte, Starhemberg aber zwei Ränge. Und jener erhielt diese Funktion früher, Kaplíř ze Sulevic wurde erst drei Monate später in diesen Rang befördert.“

Die genauen Gründe Leopolds I. für diese Reihenfolge sind indes nicht eindeutig geklärt.

„Es gab wohl eine Reihe von Gründen. So wird berichtet, dass gegen Kaplíř ze Sulevic zu der Zeit gerade wegen des Verdachts eines Verrats am Kaiser ermittelt wurde. Das war paradox, aber vielleicht auch einfach nur Verleumdung. Jedenfalls hat Kaplíř mit diesem Problem das ganze Leben lang zu kämpfen gehabt. Einmal wurde er sogar beschuldigt, den Mord eines österreichischen Adligen beauftragt zu haben. Er hatte versuchte, seine Treue zu den Habsburgern zu beweisen und nun beschlich ihn das Gefühl, dafür nicht angemessen entlohnt worden zu sein. Er war danach ziemlich verbittert“, so Mikulec.

Florian Haug
In dieser Stimmung starb Kaplíř ze Sulevic nur wenige Jahre nach der Verteidigung Wiens am 6. Oktober 1686.

Die Reihenfolge der Auszeichnungen hat sich später auch auf das Gedenken übertragen. Die Leistung des böhmischen Adligen ist heutzutage in Wien in Vergessenheit geraten, und in Tschechien wurde an ihn jahrzehntelang nicht erinnert. Früher war das zumindest in seinem Heimatort Milešov / Milleschau in Nordböhmen anders. Florian Haug vom Österreichischen Kulturforum:

Milešov  (Foto: Björn Ehrlich,  Creative Commons 3.0)
„Ich glaube, immer am 12. September, also am Tag des Entsatzes Wiens, wurde an ihn gedacht. Dabei wurden den Kindern des Ortes, und das ist verbürgt, 62 Goldtaler überreicht - in Anspielung an die 62 Tage der Belagerung durch die Türken.“

Florian Haug ist im Übrigen einer der Initiatoren für ein neues Gedenken an Zdeněk Kašpar Kaplíř ze Sulevic. Da dieses Jahr der 400. Geburtstag des Adligen begangen wird, gab es gleich mehrere Veranstaltungen. So fanden in der vergangenen Woche Feiern sowohl in Prag, als auch im heutigen Ortsteil Milešov der Gemeinde Velemín statt. Und das sogar mit offizieller Beteiligung: In den Heimatort von Kaplíř ze Sulevic kamen unter anderem Außenminister Schwarzenberg und Verteidigungsminister Vondra sowie diplomatische Vertreter aus Österreich, Polen und Deutschland.

Autor: Till Janzer
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