Von der gesellschaftlichen Relevanz des rohlík
Wer schon einmal in einem tschechischen Supermarkt war und sich etwas zum Frühstücken kaufen wollte, dem sind vermutlich die landestypischen so genannten rohlíky aufgefallen. Die Spezialität aus Brötchenteig hat die Form einer dicken Zigarre, und sie erinnert in ihrer Vollkornvariante auch farblich an eine solche. Dass die rohlíky einen Nährwert haben, der gegen Null tendiert, ändert nichts an der Beliebtheit in Tschechien. Dafür ist ihr Preis von umgerechnet meist weniger als 10 Cent pro Stück kaum zu unterbieten.
Und die wird noch nicht einmal getrübt von der Art, wie dieses typisch tschechische Gebäck in den Supermärkten des Landes dargeboten wird: in offenen, großen Holzkisten oder Körben, in denen jeder nach Herzenslust wühlen darf. Und wenn man husten oder niesen muss… dann muss man eben husten oder niesen.
Da stehen dann Seite an Seite der Bankangestellte mit Schlips und Kragen, eingehüllt in eine Rasierwasserwolke, und der Arbeiter von der Baustelle an der Ecke, eingehüllt in eine Schweißwolke. Sie begutachten die Ware, und ziehen ihre Objekte der Begierde dann aus der großen rohlíky-Tombola. Mit Kennergeste werden die Backwaren durch Befühlen und Drücken beurteilt. Die Nieten wandern dann wieder zurück in die Lostrommel – alles ohne notarielle Aufsicht versteht sich.
Das war schon immer so, und nicht einmal die Zeiten, in denen die Gesundheitsbehörden vor Grippe-Pandemien warnen, an Hysterie grenzende Verhaltensregeln ausgeben, wie den Handschlag zur Begrüßung zu vermeiden oder einen Zweimeterabstand auf seine Mitmenschen einzuhalten, können daran etwas ändern.
Regierungen und Präsidenten, Revolutionen und Pandemien kommen und gehen. Die eigenartige rohlík-Kultur in Tschechien hat in Jahrzehnten nichts von ihrer gesellschaftlichen Relevanz eingebüßt.