OECD-Bericht zu Tschechien
Herzlich willkommen bei einer weiteren Ausgabe unserer Magazinsendung mit Themen aus Wirtschaft und Wissenschaft, am Mikrofon begrüßt Sie Rudi Hermann. Die Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit, kurz OECD, veröffentlicht periodisch zu einzelnen Ländern umfassende Berichte, in denen sie die Wirtschaft des entsprechenden Landes beleuchtet und kommentiert. Mitte Juli ist ein solcher Bericht auch für Tschechien publiziert worden, und interessant daran ist insbesondere, dass die Empfehlungen der OECD, was in Tschechien für eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung angezeigt wäre, weitgehend in Konflikt stehen mit den Absichten der Regierung. Doch ist der Bericht nicht nur negativ, sondern er attestiert dem sozialdemokratischen Minderheitskabinett in Prag auch bedeutende Erfolge bei seiner bisherigen Wirschaftspolitik. Ein Blick in den Bericht ist Thema der folgenden Minuten.
Die Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit hat in ihrem jüngsten Länderbericht zu Tschechien der Prager Regierung nahegelegt, das Defizit der öffentlichen Finanzen besser unter Kontrolle zu halten. Die OECD ist der Meinung, auf diesem Wege könne die Annäherung der tschechischen Wirtschaft an das Niveau der EU besser erreicht werden als mit einer expansiven Ausgabenpolitik, die die Regierung namentlich mit dem als Big Bang, Urknall oder Velky tresk bekannten Programm, das wir vergangene Woche an dieser Stelle vorgestellt haben, verfolgt. Die Experten der OECD sind der Meinung, dass die tschechischen Wirtschaftspolitiker mit ausgeglichenen Staatsfinanzen und einem Rückgang der staatlichen Ausgaben, der dem Privatsektor dafür breiteren Raum zur Entfaltung erschliessen könnte, die Wirtschaftsentwicklung des Landes zwar langsamer, aber nachhaltiger und damit besser fördern könnten als mit einer auf kurzfristiges Wachstum angelegten Strategie mit staatlichen Unterstützungsmassnahmen. Laut der Strategie der Regierung könnte das Wirtschaftswachstum bis zum Ende des nächsten Jahres dank gezielten Investitionen in einem Gesamtumfang von 165 Milliarden Kronen und einer besseren Koordination der Förderprogramme bis zu 6 % erreichen. Unabhängige Analytiker und auch die OECD-Experten halten dies allerdings für unrealistisch. Die OECD ist vielmehr der Meinung, dass mit Massnahmen wie einer Abmagerungskur für die Staatsverwaltung, einem Subventionsabbau für den Unternehmenssektor und einer Verschärfung der Bedingungen etwa für vorzeitige Pensionierungen, die die Staatskasse belasten, die Grundlagen für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum in der Grössenordnung von etwa 5 % gelegt werden könnten.
Sollte im Gegenteil die Ausgabenlust der Regierung anhalten, so befürchtet die OECD in ihrer Studie hohe Defizite der Staatsfinanzen und der Leistungsbilanz und ein Anwachsen der Inflation - alles Elemente, die die Währungsstabilität gefährden könnten. Im Falle des Defizits der öffentlichen Finanzen weist die OECD darauf hin, dass dieses 1997 gemessen am Brutto-Inlandprodukt noch 2 % betragen habe - und damit, dies als Anmerkung, noch unter der 3%-Grenze lag, die für den Beitritt zur Währungsunion der EU massgeblich ist -, dass es 2001 aber auf die Höhe von 9.4 % zu klettern drohe, beziehungsweise noch höher, je nach dem, was die Regierung von ihren Big-Bang-Plänen verwirkliche. Unter solchen Voraussetzungen, so die Studie, sei eine entscheidende nachhaltige Beschleunigung des Wirtschaftswachstums nicht zu erwarten. Denn sollte sich zum Defizit der öffentlichen Finanzen auch noch ein allzu hohes Leistungsbilanzdefizit gesellen, und vieles deutet darauf hin, dass dem so sein wird, könnte die Währung entscheidend unter Druck geraten. Ein solches Szenario ist im Übrigen in Tschechien nicht unbekannt, denn genau das löste 1997 die Währungskrise aus, die letztlich in die eben erst überwundene Rezession führte. Die OECD räumt zwar ein, dass hohe Haushalts- und Leistungsbilanzdefizite gegenwärtig mit dem hohen Zufluss ausländischer Direktinvestitionen und den zu erwartenden Erträgen aus der Privatisierung noch finanzierbar sind. Solche Quellen, so meinen allerdings die Experten aus Paris, könnten schnell einmal versiegen. Bei einer Destabilisierung der Währung nehme das Vertrauen der Investoren schnell ab, und auch Privatisierungseinnahmen könnten nicht ewig eingefahren werden.
Dies ist zweifellos richtig, denn die Zeit der grossen Privatisierungen ist in Tschechien demnächst vorbei. Die Bankenprivatisierung, die die OECD als grosses Plus der sozialdemokratischen Regierung anerkennt, ist mit dem Verkauf der Komercni banka abgeschlossen worden. Noch stehen grosse Verkäufe im Energie- und Telekombereich an, doch dann dürften die Quellen weit bescheidener fliessen. Und auch die Grossprivatisierungen scheinen nicht so viel Geld zu bringen, wie sich die Regierung erhoffte und zum Teil auch schon mit den Mitteln kalkulierte.
Eine weitere Empfehlung der OECD betrifft die Transparenz der Staatsfinanzen. So heisst es im Bericht, man würde die Reintegration der verschiedenen ausserbudgetären Fonds in den Staatshaushalt begrüssen, ebenso wie die Ausarbeitung einer mittelfristig angelegten Ausgabenstruktur. Und ein weiterer Vorbehalt betrifft die Geschwindigkeit der Justizreform. Eine Beschleunigung sowohl der Gerichtsprozesse an sich wie auch der Exekution von Gerichtsbeschlüssen sei unbedingt anzustreben. Zwar sei es gegenüber früher schon zu Verbesserungen gekommen, doch reiche dies noch nicht dazu aus, um das für das reibungslose Funktionieren einer Wirtschaft notwendige Recht innert nützlicher Frist durchzusetzen und damit zu garantieren. In ihrer Schlussfolgerung schreibt die OECD im jüngsten Länderbericht zu Tschechien, die monetäre Politik sei in der Bekämpfung der Inflation recht erfolgreich gewesen, doch die Fiskalpolitik sei übermässig locker und ein auftauchendes Zwillingsdefizit von Haushalt und Leistungsbilanzen könne die zukünftige Stabilität gefährden. Die makroökonomische Planung und mit ihr die Unterstützung eines nachhaltigen Wachstums werde durch einen mittelfristigen Budgetplan erleichtert, vor allem, wenn dieser auch die bisher ausserbudgetären Fonds umfasse. Die schon erreichten Fortschritte in der Wirtschaftsentwicklung könnten ferner durch eine Verbesserung des juristischen Umfelds weiter konsolidiert werden. Einen Vorbehalt machte die OECD hinsichtlich des von der Regierung angestrebten Privatisierungsmodells für die Energiegesellschaften, weil die Pariser Experten hier die Entstehung von Unternehmen mit dominanter Stellung befürchten, was nicht im Interesse der Konsumenten sei.
Mit solchen Empfehlungen ist die OECD nicht allein. Auch der Internationale Währungsfonds IMF und die Weltbank haben dieses Jahr schon Studien entsprechenden Inhalts verfasst, und die Europäische Kommission zeigte sich letztes Jahr besorgt über den Anstieg der Staatsverschuldung in Tschechien und ein immer bedrohlicheres Ungleichgewicht der öffentlichen Finanzen. Eine restriktive Finanzpolitik des Staates wäre laut diesen internationalen Institutionen dazu geeignet, dank tiefer Inflation ein stabiles Wirtschaftsklima zu schaffen, das den Privatsektor zu Investitionen und damit zur Schaffung von Arbeitsplätzen motiviere. Dies wären, so heisst es, bessere Rahmenbedingungen für die Förderung der Wirtschaft als ein kurzfristig durch Staatsausgaben angeheiztes Wachstum.
Der tschechische Finanzminister Jiri Rusnok bezeichnete den OECD-Bericht als qualifizierte Beurteilung der tschechischen Wirtschaftslage. Er hielt allerdings auch fest, dass die Regierung nicht alle Schlussfolgerungen des Berichts vorbehaltlos teile und zu gewissen Problemen eine andere Position einnehme.