Premier Spidla tritt zurück

Tschechiens Premier Vladimir Spidla hat am Samstag seinen Rücktritt erklärt. Das Vertrauen in die sozial-liberale Regierung sei bei den verlorenen Europa-Wahlen erschüttert worden, sagte er. Als möglicher Nachfolger gilt Innenminister Stanislav Gross. Der Rücktritt Spidlas bedeutet das Aus für die Koalitionsregierung. Gross wurde vom sozialdemokratischen Exekutivausschuss mit der Regierungsneubildung beauftragt. Der scheidende Premier Spidla will am Mittwoch seinen Rücktritt offiziell bei Präsident Klaus einreichen und zuvor sein Land noch beim NATO-Gipfel in Istanbul vertreten. Unter Berufung auf inoffizielle Quellen berichtet die Nachrichtenagentur CTK, dass Gross eine Minderheitenregierung seiner Sozialdemokraten mit den Christdemokraten anstrebt. Gross sagte, er rechne damit, dass Präsident Václav Klaus ihn mit der Regierungsbildung beauftragen werde. Er will spätestens am Dienstag mit den bisherigen Koalitionspartnern der CSSD, den Christdemokraten (KDU-CSL) und der liberalen Freiheitsunion (US-DEU), über eine mögliche weitere Zusammenarbeit sprechen, so Gross am Samstagabend. Auf einer Pressekonferenz am Samstagabend begründete Spidla seine Entscheidung zum Rücktritt:

"Die Sozialdemokratische Partei hat darüber nachgedacht, dass die Regierung tatsächlich zu brüchig ist und sie es nicht schaffen wird, die Legislaturperiode zu überstehen. Das Vertrauen in die Regierung wurde durch das Ergebnis der Europawahlen erschüttert. Und die Sozialdemokratische Partei hat nun auf diese Weise reagiert."

Spidla hatte als Vorsitzender der Sozialdemokraten (CSSD) am Samstagmittag eine parteiinterne Vertrauensabstimmung zur Abwahl als Parteichef nur mit sechs Stimmen Mehrheit überstanden. Er gebe auch das Amt als Parteichef auf, hieß es. Spidla, der vor zwei Jahren Regierungschef wurde, stand seit den verlorenen Europa-Wahlen in der Kritik. 103 Delegierte hatten nach Angaben der Nachrichtenagentur CTK bei der Krisensitzung gegen Spidla gestimmt, 109 wären für seine Abwahl erforderlich gewesen. Spidla hatte sein Amt als Regierungschef vor der Vertrauensabstimmung an seinen Posten als Parteichef geknüpft. Auch Innenminister Stanislav Gross hatten die Delegierten im Amt bestätigt. Vor der Abstimmung hatte Spidla einen Rücktritt als Parteivorsitzender abgelehnt. Er stand in der Kritik, weil die Sozialdemokarten bei der Europa-Wahl nur 2 der 24 tschechischen Mandate gewinnen konnte. Zahlreiche CSSD-Funktionäre übten am Samstag heftige Kritik an Spidla und plädierten für die sofortige Übergabe des Parteivorsitzes an Gross. Der frühere CSSD-Vorsitzende und Ex-Regierungschef Milos Zeman forderte am Samstag seinen Nachfolger Spidla auf, von beiden Ämtern zurückzutreten, da er "versagt" habe. Spidla hatte sich noch am Samstagmittag in einer Rede für die Fortführung der Regierungskoalition ausgesprochen. Die CSSD regierte als stärkste Koalitionspartei gemeinsam mit Christdemokraten (KDU-CSL) und Freiheitsunion (US-DEU). Spidla hat den CSSD-Vorsitz 2001 übernommen und war seit 2002 Ministerpräsident.

Autor: Daniel Satra