Rekordhaushaltsdefizit, der Erweiterungskommissar und die Schweizer Minarette

Die Themen des aktuellen Medienspiegels: die desolate Haushaltslage, Reaktionen darauf, dass der tschechische EU-Kommissar Štefan Füle für die Erweiterung der Europäischen Union zuständig sein wird – und etwas aus dem Ausland.

Moderator: 170 Milliarden Kronen, umgerechnet rund 6,5 Milliarden Euro. So hoch ist das gegenwärtige Haushaltsdefizit der Tschechischen Republik. Der bisherige Rekord. Einige Experten sprechen schon vom Schreckgespenst des Staatsbankrotts. Das wird die Kommentatoren nicht kalt gelassen haben, oder?

K. Materna: Wohl war. In den Zeitungen wimmelt es geradezu vor „Rezepten“ zur Verbesserung der Haushaltslage. Martin Zvěřina von der Tageszeitung „Lidové Noviny“ schlägt beispielsweise vor, Tschechien solle sich Griechenland zum Vorbild nehmen. Das will sein Haushaltsdefizit jährlich um 3,6 Prozent senken. Mit drastischen Sparmaßnahmen. Der Rotstift soll dort beispielsweise die Regierungskosten um ein Viertel senken und die Zahl der Staatsbediensteten deutlich reduzieren: Langfristig sollen dort erst fünf Beamte pensioniert werden, bis ein neuer beschäftigt wird.

„Der [tschechische] Haushaltsexperte und derzeitige Finanzminister Janota ist aber schon skeptisch, wenn es um das Senken des Haushaltsdefizits um einen Prozentpunkt geht – aus politischen Gründen natürlich, die Parteien wollen nicht sparen.“

Dem stimmt Julie Hrstková in der Wirtschaftszeitung „Hospodářské Noviny“ zu. Wörtlich schreibt sie:

„Die Debatten zum Thema Haushalt sind langsam ermüdend. Keine Partei ist bereit zu großen Einsparungen, gleichzeitig wollen sie aber alle ihren guten Willen beweisen. Das will einerseits die Europäische Kommission und andererseits macht sich das gut auf Wahlplakaten.“

Sie sieht drei Bereiche, in denen Einschnitte vorgenommen werden sollten. Allen voran nennt sie die Familienförderung. Vor allem beim Elterngeld, das, so Hrstková wörtlich, „ein unsinniger, jahrelang ausgezahlter, fixer Betrag ist, der den Staat jährlich rund 30 Milliarden Kronen kostet. Eine Unterstützung in dieser Höhe gibt es nirgendwo in Europa“.

Moderator: Da hat aber Hrstková ihre Mathehausaufgaben nicht gemacht. In der Regel wird das Elterngeld hier doch bis zum dritten Lebensjahr des Kindes ausgezahlt, und zwar in Höhe von 7600 Kronen, umgerechnet also knapp 300 Euro – und zwar unabhängig davon, was die Eltern vorher verdient haben. Wer will, kann es zwar bis zum 4. Geburtstag seines Sprößlings beziehen, der Gesamtbetrag ist dann aber insgesamt niedriger. Da sind viele deutsche Eltern doch deutlich besser dran.

K. Materna: Das sollte man meinen, ja. Aber wie dem auch sei, der Autorin sind auch andere Sozialleistungen ein Dorn im Auge. Sie erinnert daran, dass die Sozialdemokraten 2006 eine Gesetzesänderung durchgesetzt haben, die ermöglicht, das Rentner, die in Altersheimen leben oder Menschen in Sanatorien für chronisch Kranke, eine direkte finanzielle Leistungen bekommen, anstatt dass das Geld an die jeweilige Institution ausgezahlt wird. Das Resultat, so Julie Hrstková:

„In der Praxis sieht das so aus, dass die Rentner jetzt ihre Gelder direkt beziehen, die Einrichtungen aber ihre finanziellen Zuschüsse nicht eingebüßt haben. Die Ausgaben haben sich also verdoppelt. Die Kosten: 25 Milliarden jährlich.“

Ein deutliches Einsparpotenzial sieht die Autorin außerdem bei den Staatsbediensteten, denen sie das Gehalt kürzen würde. Eine genaue Analyse der einzelnen Haushaltsposten könnte einige Dutzend Milliarden einsparen. „Das hat aber keiner vor“, glaubt sie.

Štefan Füle  (Foto: Europäische Kommission)
Moderator: Katrin, wir haben es vorhin kurz erwähnt, der tschechische EU-Kommissar Štefan Füle, der bisher Europaminister in Jan Fischers Übergangskabinett war, weiß inzwischen, womit er sich in Brüssel beschäftigen wird.

K. Materna: Mit der Erweiterung der EU, nämlich, genau. Eine Nachricht, die insgesamt recht positiv bewertet wird. Luboš Palata hat dazu aber einen Kommentar in der Zeitung „Lidové Noviny“ veröffentlicht, der mit dem Satz beginnt:

„Tschechien hätte den Posten des EU-Kommissars für Erweiterungsfragen nicht bekommen sollen.“

Moderator: Oh, wie kommt das? Ist er ein Kritiker des neuen Kommissars?

K. Materna: Nein und das betont er auch ausdrücklich. Er findet. die Tschechische Republik habe diesen Posten schlicht nicht verdient:

Foto: Europäische Kommission
„Denn es war gerade die Tschechische Republik, die gemeinsam mit anderen neuen Mitgliedsstaaten alles dafür getan hat, um eine weitere Erweiterung der EU zu verhindern, und zwar nach Möglichkeit für immer.“

Palata erläutert seine Haltung folgendermaßen:

„Die neuen Mitglieder sollten ´frisches Blut´ in die EU bringen, stattdessen sind sie ein Klotz an ihrem Bein.“

Moderator: Wohl eine Anspielung auf Lissabon…

K. Materna: Etwas Gutes findet Palata dann aber doch an der Entscheidung für das Erweiterungsressort. Mit Schadenfreude konstatiert er, dass er sich schon auf den Moment freut, wenn EU-Kommissar Füle durch Österreich und Ungarn touren wird, um dort um Unterstützung für den Beitritt Kroatiens zu werben – zusammen mit der tschechischen Ausnahme aus dem Lissabon-Vertrag:

„Aus diesem Blickwinkel ist die Entscheidung Barrosos nachvollziehbar. Nach dem Motto: Was ihr euch eingebrockt habt, löffelt ihr auch wieder aus.“

Moderator: Das war aber noch nicht das Thema aus dem Ausland, das du uns versprochen hast, Katrin?

K. Materna: Nein, keine Sorge. Das ausländische Thema, das ich ausgewählt habe, ist das Minarett-Verbot in der Schweiz. Denn das hat auch hierzulande für recht viel Aufsehen gesorgt.

Jiří Franěk, „Právo“, dazu:

Foto: ČTK
„Unsere Welt ist kurzum zu komplex, als dass sie sich einfach in Schubladen pressen ließe, ob es nun um xenophobe Primitivlinge geht oder um die erhabene multikulturelle Pose intellektueller Schöngeister. Das Referendum zu den Minaretten war sicherlich nicht besonders glücklich, aber wer daraus folgern will, dass die Schweizer Rassisten sind, bewegt sich mit dieser Behauptung selbst am Rande der Fremdenfeindlichkeit.“

Silvie Lauder von der Wochenzeitschrift „Respekt“ führt die Argumente, die überhaupt zu dem Referendum geführt haben an: eine angeblich zunehmende Islamisierung. Sie kommt zu dem Schluss, dass die Hamburger folgerichtig „ihre Technische Universität schließen müssten, weil dort einer der Terroristenführer studierte, der für die Anschläge auf das World Trade Center 2001 mitverantwortlich war.“ Die Hochschule sei deshalb eindeutig eine Keimzelle des Radikalismus:

„Ungeachtet der schwachen Argumente haben ihnen die Schweizer aber Recht gegeben. Die Stimmung in der Schweiz wird sich nicht allzu sehr von der im übrigen Europa unterscheiden. Darauf sollten wir ein besonderes Augenmerk werfen. Wenn nämlich etwas die Brutstätte des Radikalismus ist, dann der Moment, in dem wir uns anstatt mit den ernstzunehmenden Rechtsverletzungen einiger Muslime mit den Symbolen ihres Glaubens beschäftigen. Die wahren Radikalen werden dadurch einen Grund mehr haben anzugreifen und die Gemäßigten werden zu recht sauer.“

Moderator: Das war der Medienspiegel in dieser Woche.