Das Rekorddefizit, der neue Grünen-Chef und ein deutscher „Marktgraf“

Aufsehen erregt hat das am Mittwoch abgesegnete Rekorddefizit für 2010. Am Wochenende zuvor haben die Grünen einen neuen Vorsitzenden gewählt. Und ein deutscher „Marktgraf“ hat es auch noch in die tschechischen Kommentarspalten geschafft.

Moderator: Christian, das aktuelle Thema zuerst. Am Mittwoch wurde der Haushaltsentwurf von Sparminister Janota im Abgeordnetenhaus zuerst verwässert und dann abgesegnet. Statt umgerechnet 6,3 Milliarden Euro Defizit sind es jetzt 6,8 Milliarden. Aufstockungen vor allem für Gehälter verlangten die Sozialdemokraten, obwohl Premier und Finanzminister mit Rücktritt gedroht hatten.

C.R: Ja, die Abstimmung nach der dritten und letzten Lesung verlief ungewöhnlich. Ohne Einigung drohte ein Haushaltsprovisorium, so dass die Mitte-Rechts-Partei, die ODS, lieber Mäuschen spielte und an der Abstimmung nicht teilnahm. Es genügten im Wesentlichen die Stimmen der Sozialdemokraten.

Mirek Topolánek
Martin Weiss von der „Lidové Noviny“ kritisiert das Verhalten der Bürgerdemokraten und ihres Vorsitzenden Mirek Topolánek, der ja vor ein paar Monaten aus Protest gegen die Sozialdemokraten sein Abgeordnetenmandat niedergelegt hat. Weiss schreibt:

„Die Alternative war nicht das Haushaltsprovisorium. Eine Alternative wären aggressive Gegenvorschläge gewesen, welche die Plünderer in die Schranken gewiesen hätten. Aber dafür hätte diese Partei jemand führen müssen, der tatsächlich etwas erreichen kann und will und nicht nur darüber redet (…). Stattdessen hat die ODS an ihrer Spitze einen Vorsitzenden, der sein Mandat abgegeben hat - und nicht nur das im Abgeordnetenhaus. Warum sollte sie jemand wählen?“

Auch über dem Kommentar von Jiří Leschtina in der „Hospodářské Noviny“ steht der Titel: „Das Haushalts-Waterloo der ODS“. Aber Leschtina teilt auch in Richtung Sozialdemokraten aus. Zwar könne man der CSSD nicht vorwerfen, dass sie sich gegen Gehaltskürzungen stark mache – insbesondere im Falle der Lehrer. Aber diese Einwände seien zu spät gekommen, meint Leschtina und schreibt:

„Diese Diskussion hätte die CSSD entfachen müssen, als Janotas Sparpaket in der Regierung gebilligt wurde. Damals hätte der Finanzminister ihre Forderungen noch in den Kontext der Kürzungen und Mehrwertsteuererhöhungen einarbeiten können. Jetzt konnte er nur noch mit ansehen, wie sein Sparpaket zerpflückt wird und mit Rücktritt drohen.“

Moderator: Die Kommentatoren teilen also nach allen Seiten aus.

C.R.: Fast, denn bei der Übergangsregierung sieht eigentlich niemand die Schuld. Alexandr Mitrofanov schreibt in der „Právo“ und kurz und knapp:

Premier Jan Fischer  (Foto: ČTK)
„Wenn Premier Fischer nach diesem Bad in der Haushaltspfütze nicht seinen Rücktritt einreicht, dann liegt das wohl nur an seinem Pflichtgefühl gegenüber dem Staat (…)“.

Moderator: Nimmt denn eigentlich keiner der Kommentatoren in den Blick, was das Rekorddefizit denn ganz real bedeuten wird?

C.R.: Doch, sicher, darum kümmert sich Jiří Štický, Chef der Wirtschaftsredaktion bei der „Mladá Fronta Dnes“. Er meint, für einen Blick in die Zukunft Tschechiens sei Irland inspirierend und schreibt:

„Der keltische Tiger, der 20 Jahre lang nur wuchs, ist (…) hart gelandet. Die Steuern hat man schon im letzten Jahr wegen der nicht mehr haltbaren Verschuldung erhöht; im Frühling dieses Jahres erneut. Die Gehälter der Staatsbediensteten werden schrittweise gesenkt um 5 bis 15 Prozent, bei den Abgeordneten um ein Fünftel. Die Sozialhilfe sinkt im Schnitt um 4,1 Prozent, das Kindergeld wird gekürzt ebenso wie das Arbeitslosengeld. Und in den nächsten zwei Jahren wird weiter gestrichen. - Und jetzt nehme ich mal die Kristallkugel in die Hände. Was ist der Unterschied zwischen Tschechien und Irland? Maximal drei Jahre, nach dem Haushaltsdebakel eher weniger“, so Jiří Štický in der Mladá fronta.

Moderator: Themenwechsel. Die Grünen haben am vergangenen Wochenende Parteitag gehalten und Ondřej Liška zum neuen Chef gewählt.

C.R.: Liška hatte die Grünen ja schon einige Zeit lang kommissarisch geführt, nachdem Martin Bursík den Spalt, der durch die Partei ging, nicht mal durch Parteiausschlüsse kitten konnte. Petr Honzejk von der „Hospodářské Noviny“ sieht bei den Grünen immer noch zwei nicht miteinander vereinbare Flügel, links und rechts. Zitat:

„Rotgrüne und Blaugrüne, die sich praktisch auf nichts einigen können. Eine andere ähnlich und so grundsätzlich entzweite Partei gibt es in unserer Politik nicht und der Parteitag hat das bestätigt.“

Zbyněk Petráček von der „Lidové Noviny“ geht mehr auf die neue Parteispitze ein. Er schreibt über Liška als neuen Chef:

„Wissen Sie, wie der Chef der deutschen Grünen heißt? Wissen Sie nicht? Als dsie an der Regierung waren, da kannte Joschka Fischer jeder. Er war ein Führungstyp, den man nicht sucht, sondern der einfach da ist. Und das ist das Problem der tschechischen Grünen. Aus der Regierung - aus dem Sinn, kann man sagen, wenn der Chef – Joschka Fischer oder Martin Bursík – einpackt. Ondřej Liška – in allen Ehren – aber er wirkt nicht wie die Führungspersönlichkeit einer Partei, die Regierungsambitionen hat“, soweit Petráček.

Moderator: Linke und rechte Politiker haben den Parteitag der Grünen eigentlich eher positiv kommentiert und die Grünen als potenzielle Koalitionspartner bezeichnet. Die Kommentatoren scheinen da pessimistischer zu ein.

C.R.: Stimmt. Aber Martin Komárek von der „Mladá Fronta Dnes“ meint immerhin:

„Eine unkonventionelle ökologische Partei, die auf eine junge Wählerschaft ausgerichtet ist, müssen wir im Museum unserer politischen Dinosaurier willkommen heißen solange sie nicht fanatisch oder miesepeterig ist.“

Foto: ČTK
Moderator: Sind die tschechischen Kommentatoren eigentlich schon auf den Klimagipfel in Kopenhagen eingegangen?

C.R.: Sind sie. Aber die UN-Klimakonferenz dauert ja noch eine Woche. Das heben wir uns mal für den kommenden Freitag auf. Stattdessen habe ich einen Kommentar gefunden zu Otto Graf Lambsdorff, der ja vergangene Woche verstorben ist.

Moderator: Ich hätte nicht gedacht, dass man den alten Marktgrafen hier kennt!

C.R.: Ich auch nicht. Aber Zbyněk Petráček von der „Lidové Noviny“ hat sich an ihn erinnert. Aber nicht an den gnadenlosen Liberalen. Petráček schreibt:

„Für uns symbolisiert Lambsdorff eher, wie gut das konstruktive Misstrauensvotum funktionieren kann. Dieses konstruktive Misstrauensvotum ist in Deutschland nur ein Mal erfolgreich angewandt worden und zwar am 1. Oktober 1982. Die Schlüsselfigur war Otto Graf Lambsdorff, der mit seinen Liberalen umgesattelt hat von den Sozialdemokraten Helmut Schmidts auf die Konservativen Helmut Kohls. Also, sagen Sie selbst, ist das nicht eine bessere und fairere Art die Regierung zu wechseln (…)?“

Petráček erinnert hier an den Sturz der Regierung Topolánek im Frühjahr, angestrengt durch die Sozialdemokraten. Die hatten aber danach keine Lust mitten in der Wirtschaftskrise und EU-Ratspräsidentschaft die Regierungsverantwortung zu übernehmen. Deswegen gibt es ja jetzt das Übergangskabinett von Premier Fischer. So, mit Fischer haben wir begonnen und mit Fischer hören wir jetzt auch auf.

Moderator: Christian Rühmkorf war das mit dem Medienspiegel. Vielen Dank!