Tauziehen um die Nachfolge von Vaclav Havel
Nach der Hochwasserkatastrophe vom August, vor dem Prager NATO-Gipfel im November und zeitgleich mit den verschiedensten Debatten rund um die angestrebte EU-Erweiterung hat sich in der Tschechischen Republik jüngst ein viertes Thema etabliert, das für einen politisch heißen Herbst sorgen dürfte: Das Land sucht nach einem Nachfolger für Langzeitpräsident Vaclav Havel, dessen Amtszeit Ende Januar 2003 ausläuft. Je näher aber dieser Zeitpunkt rückt, desto komplizierter scheint die Kür eines neuen Staatsoberhauptes zu werden. Die Parteien sind sich nämlich nicht nur - wie ohnedies zu erwarten war - über die Person des nächsten Staatspräsidenten uneinig. Es ist auch der Wahlmodus selbst, der nun vermehrt thematisiert wird und die Strategen in allen politischen Lagern beschäftigt. Hören Sie mehr in der neuen Ausgabe unserer Sendereihe "Schauplatz", die Gerald Schubert für Sie vorbereitet hat:
"Havel na hrad" - "Havel auf die Burg" konnte man in den turbulenten Novembertagen des Jahres 1989 an vielen Prager Hauswänden lesen, als die sogenannte Samtene Revolution das kommunistische Regime aus den Angeln hob. Und tatsächlich wurde damals im Zuge der sich überschlagenden Ereignisse das unmögliche möglich: Vaclav Havel, der mehrmals inhaftierte Dissident, der Schriftsteller und Dramatiker, dessen Werke noch kurz zuvor verboten gewesen waren, fand sich mit einem Mal auf der Prager Burg als Staatsoberhaupt wieder. Und dort sollte er auch ganze dreizehn Jahre lang bleiben. Denn zunächst war Havel tschechoslowakischer, und dann, nach der Trennung von der Slowakei im Jahr 1993, zweimal tschechischer Präsident. Eine dritte Kandidatur ist laut Verfassung nun nicht mehr möglich, und so soll das längst dienende Staatsoberhaupt Europas Ende Januar 2003 die Amtsgeschäfte an seinen Nachfolger übergeben.
Auch wenn Havel im Laufe seiner Amtszeit nicht unumstritten war und nicht nur in den Reihen der nach wie vor im Parlament vertretenen Kommunisten seine Gegner hatte: Als Symbol der Wende und als lebende Erinnerung an den breiten demokratischen Grundkonsens, der die Ereignisse des Jahres 1989 prägte, gilt er allemal. Eine vergleichbare Persönlichkeit ist aber nun, drei Monate vor seiner Pensionierung, freilich weit und breit nicht in Sicht.
Dies heißt aber nicht, dass von den diversen Parteien noch keine Namen für die Havel-Nachfolge ins Spiel gebracht wurden. Und auch was die verschiedenen Strategien im Rennen um das höchste Amt im Staat betrifft, war man bereits einigermaßen erfinderisch.
Wie sieht also die Vorgehensweise der verschiedenen politischen Lager im Einzelnen aus? Wenden wir uns zunächst den regierenden Sozialdemokraten zu: Ein Name aus ihren Reihen war im Zusammenhang mit einer Präsidentschaftskandidatur schon seit längerer Zeit gehandelt worden: Nämlich der von Expremier Milos Zeman. Zeman ist allerdings auch in seiner eigenen Partei nicht unumstritten. Überdies gilt er kaum als Konsenspolitiker, sondern als einer, der mit seinen verbalen Rundumschlägen in der Vergangenheit eher polarisiert hat. Nicht die besten Voraussetzungen also für das doch als integrativ angesehene Amt des Staatspräsidenten. Nun hat die Sozialdemokratie beschlossen, die interne Entscheidungsfindung auf eine breitere Basis zu stellen, und eine Art Referendum über ihren Kandidaten angekündigt. Vier Kandidaten hat der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei ausgewählt, die bei jener Abstimmung, an der sich auch die Öffentlichkeit beteiligen kann, ins Rennen gehen werden. Es sind dies Expremier Milos Zeman, Ombudsmann Otakar Motejl, der ehemalige Justizminister Jaroslav Bures, und der Soziologe Martin Potucek.
Die Vizeparteivorsitzende und Gesundheitsministerin Marie Souckova präzisierte:
"Die Abstimmung beginnt am 22. Oktober und endet am 25. November. Dann erfolgt die Auswertung des gesamten Referendums, und wir gehen davon aus, dass der Öffentlichkeit spätestens bis zur zweiten Dezemberhälfte bekannt sein wird, welcher Kandidat von der Sozialdemokratischen Partei für das Amt des Präsidenten der Tschechischen Republik vorgeschlagen wird."
Soweit also die Strategie der Sozialdemokraten. Und wie sieht es bei deren politischem Hauptkonkurrenten, der oppositionellen Demokratischen Bürgerpartei ODS aus? Deren Parteichef Vaclav Klaus, auch er war früher bereits Premierminister, hat Mitte vorletzter Woche angekündigt, aus dem Amt des Parteivorsitzenden scheiden zu wollen. Allerdings nicht, um sich ins Privatleben zurückzuziehen, wie er verlautbarte:
"Weil es nicht vorstellbar ist, dass der amtierende Vorsitzende irgendeiner politischen Partei für das Amt des Präsidenten der Republik kandidiert, beabsichtige ich nicht, mich im Dezember am Parteikongress der ODS für die Funktion des Parteivorsitzenden zu bewerben - eine Funktion, die ich elfeinhalb lange Jahre ausgeübt habe."
Die Auslegungen dieser Entscheidung waren erwartungsgemäß unterschiedlich. Für seine Parteikollegen ist der Schritt von Klaus eindeutig einer in Richtung Prager Burg. Für die Regierungsparteien aber, und allen voran für die Sozialdemokraten, handelt es sich dabei eher um den Anfang vom Ende seiner politischen Laufbahn. Denn der tschechische Staatspräsident wird laut Verfassung nicht direkt vom Volk, sondern von beiden Kammern des Parlaments gewählt, und dort verfügt die ODS zurzeit nicht über die nötigen Mehrheiten. In diesem Sinn kommentierte auch der sozialdemokratische Innenminister Stanislav Gross den Schritt des Expremiers:
"Ich glaube, dass das nun am ehesten eine Geste der Verabschiedung ist. Denn ich meine, die ODS und auch Vaclav Klaus wissen, dass dieser mit dem gegenwärtigen System der Präsidentenwahl nur wenig Chancen haben dürfte, tatsächlich gewählt zu werden."
Genau hier aber hakt nun die ODS selbst sein. Diese hat nämlich in der Frage einer möglichen Direktwahl des Präsidenten einen radikalen Schwenk vollzogen. Früher hatte sie, übrigens als einzige Parlamentspartei, eine solche stets kategorisch abgelehnt, heute ist die ODS ihre glühendste Befürworterin. Und man versucht erst gar nicht, diesen Meinungsumschwung als eine Neugewichtung politischer Prinzipien auszugeben. Ganz im Gegenteil: Der Vizevorsitzende der Partei, Jan Zahradil, bezeichnete es gar als einzigen Zweck dieser Strategie, Vaclav Klaus eine Chance auf das höchste Amt im Staat zu geben.
Die Reaktionen auf diesen Schachzug aus den anderen Parteien sind ambivalent. Denn einerseits waren, wie gesagt, bisher alle Parlamentsparteien außer der ODS ohnehin für die Direktwahl des Präsidenten, und dies muss im Prinzip natürlich aufrecht bleiben. So etwa meinte Hana Marvanova, die ehemalige Vorsitzende der in der Regierungskoalition vertretenen liberalen Freiheitsunion, welche nun selbst im Parlament einen Antrag auf eine entsprechende Verfassungsänderung eingebracht hat:
"Wir streben schon lange die Einführung direkter Präsidentenwahlen an, eigentlich schon seit zwei Jahren. Und jetzt erfüllen das Versprechen, das wir vor den Wahlen gegeben haben, nämlich dass wir dem Parlament den Vorschlag für ein Gesetz zur direkten Wahl des Präsidenten vorlegen. Nur weil dieser Vorschlag nun zeitlich mit jenem Augenblick zusammenfällt, in dem die ODS ihre Meinung zu einer solchen Direktwahl grundlegend ändert, was reiner Zufall ist, kann das für uns kein Grund sein, nun ebenfalls unsere Meinung zu ändern und das Ziel einer Direktwahl des Präsidenten nicht weiter zu verfolgen."
Allerdings gibt es natürlich auch Spott für den plötzlichen Meinungsumschwung in der ODS. Außenminister Svoboda etwa hielt sich bei einer Pressekonferenz seiner Partei, der christdemokratischen KDU-CSL am vergangenen Dienstag nicht mit langen Einführungsworten auf, sondern kam gleich zum Thema Nummer eins:
"Guten Tag, meine Damen und Herren, die KDU-CSL war, ist und bleibt für die Direktwahl des Präsidenten der Republik. Mit unseren Partnern werden wir nach einer Lösung suchen, die technisch und organisatorisch möglich ist. Und wir sind natürlich auf die weitere Entwicklung der Meinungen in der ODS neugierig, denn es zeigt sich, dass es auch in dieser Sache keine eindeutige Unterstützung aller ihrer Parteimitglieder geben dürfte."
Bei anderer Gelegenheit wurde Svoboda noch konkreter:
"Mich hat zunächst diese radikale Wende überrascht. Die ODS stellt seit zwölf Jahren jedes Element der direkten Demokratie in Frage, und auf einmal passt ihr dieses Instrument gut in den Kram. Das ist doch bemerkenswert."
Tatsächlich gibt es konkrete Belege dafür, dass die ODS bisher von der Direktwahl des Staatsoberhaupts nicht nur nicht begeistert war, sondern diese stets mit flammender Rhetorik ablehnte. So verkündete etwa Parteichef und Präsidentschaftsanwärter Vaclav Klaus noch im März dieses Jahres gegenüber der Tageszeitung Lidove Noviny:
"Die Direktwahl des Präsidenten ist ein sichtbarer Ausdruck für mangelndes Vertrauen in den Parlamentarismus, und ein Versuch, Entscheidungen auf der Straße, in den Garagen des Tschechischen Fernsehens und durch Petitionen von Künstlern und Intellektuellen herbeizuführen."
Zur Zeit jenes Ausspruchs aber war freilich noch der sogenannte Oppositionsvertrag in Kraft, welcher der ODS auch von der Oppositionsbank aus einen nicht unwesentlichen Einfluss auf das Zustandekommen von parlamentarischen Mehrheiten garantierte. Nach den für die ODS verlorenen Wahlen im vergangenen Sommer aber haben sich die Verhältnisse hierzulande geändert. Der Partei von Vaclav Klaus gelang der Sprung in die Regierung nicht, und seit der Bildung der Mitte-Links-Koalition von Premier Vladimir Spidla gehört auch die oftmals nicht ganz durchsichtige Zusammenarbeit im Rahmen des Oppositionsvertrages der Vergangenheit an.
Derzeit ist jedenfalls nur sehr schwer abzuschätzen, wie sich die Parteien letztlich einigen werden. Aber auch, wenn nun prinzipiell alle für eine Direktwahl des Präsidenten sprechen, so scheint es einstweilen doch eher unwahrscheinlich, dass man das Grundgesetz schon für die im Januar bevorstehende Präsidentschaftswahl ändert und sich, wie es ein Politiker der Freiheitsunion ausdrückte, auf "verfassungsmäßige Purzelbäume" einlässt.
Und in diesem Sinne, also gegen eine allzu rasante Anlassgesetzgebung, äußerte sich schließlich auch der immer noch amtierende Staatspräsident Vaclav Havel:
"Erstens würde das einen Eingriff in die Verfassung bedeuten. Und zweitens müsste ein entsprechendes Durchführungsgesetz beschlossen werden, es müsste irgendeine Frist für die Kampagnen geben, und so weiter, und so weiter. Wovor ich aber Angst hätte, oder was ich nicht für gut halten würde, das wäre eine Pause, während der es für ein halbes oder sogar ganzes Jahr keinen Präsidenten geben würde. Rein technisch würde nichts passieren, die Vollmachten des Präsidenten würden auf andere Verfassungsorgane übergehen. Aber ich glaube, politisch, moralisch und auch vom Standpunkt der internationalen Politik aus betrachtet wäre das überhaupt nicht gut."