Tripolis Prag - die Prager Moderne
Von der politischen gehen wir nun zur kulturellen Warte der Zeit T.G. Masaryks über. Allerdings gehen wir zunächst noch ein Stück weiter zurück, zum Beginn des vergangenen Jahrhunderts, als Prag das erste Aufblühen seiner Moderne erlebte. Mit der Gründung der Ersten Tschechoslowakischen Republik kam es kurzzeitig zu einer Unterbrechung, zu einem kurzzeitigen Stillstand im Schaffen innerhalb dieser Richtung, doch bereits kurze Zeit später trat die Prager Moderne erneut mit herausragenden Werken in Erscheinung:
Franz Kafka, Ernst Deutsch, Egon Erwin Kisch, Alfons Mucha, Antonin Dvorak, Peter Demetz, Vojtech Preissig, Willy Haas: Die Verbindungslinie, die sich zwischen diesen Persönlichkeiten aus Literatur, Kunst und Musik ziehen lässt, heißt Prager Moderne und umfasst noch weitaus mehr Literaten, Musiker, Künstler in Prag zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Vertreter der Prager Moderne waren Tschechen, Deutsche und Juden, die in mehr oder minder friedlicher Koexistenz neben- und durchaus auch miteinader lebten. Diese Dreieinheit zwischen den Kulturen bildet den Kerngedanken einer Wanderausstellung, die in der vergangenen Woche in Berlin eröffnet wurde. Ihr Titel: "Tripolis Praga", die Prager Moderne. Federführend bei der Vorbereitung der Ausstellung war das Mitteleuropa-Zentrum der TU Dresden, vertreten durch Prof. Walter Schmitz. Er erläutert, was genau den Besucher der Ausstellung erwartet:
Welche Idee hinter dieser Ausstellung steckt, schildert Prof. Walter Schmitz wie folgt:
Neben Faksimiles von Texten erfährt der Austellungsbesucher etwas über die Biografien der einzelnen Künstler. Die Herder-Blätter, das Organ der so genannten Herder-Vereinigung, die der Kritiker und Essayist Willy Haas 1912 ins Leben rief, werden vorgestellt. Hier druckte er beispielsweise frühe Texte Kafkas und Max Brods ab. Beispielsweise diesen hier: der Titel: Grosser Lärm. Autor: Franz Kafka."Ich sitze in meinem Zimmer im Hauptquartier des Lärms der ganzen Wohnung. Alle Türen höre ich schlagen, durch ihren Lärm bleiben mir nur die Schritte der zwischen ihnen Laufenden erspart, noch das Zuklappen der Herdtüre in der Küche höre ich. Der Vater durchbricht die Türen meines Zimmers und zieht im nachschleppenden Schlafrock durch, aus dem Ofen im Nebenzimmer wird die Asche gekrazt, Valli fragt, durch das Vorzimmer Wort für Wort rufend, ob des Vaters Hut schon geputzt ist, ein Zischen, das mir befreundet sein will, erhebt noch das Geschrei einer antwortenden Stimme. Die Wohnungstüre wird aufgeklinkt und lärmt, wie aus katarrhalischem Hals, öffnet sich dann weiterhin mit dem Singen einer Frauenstimme und schließt sich endlich mit einem dumpfen, männlichen Ruck, der sich am rücksichtslosesten anhört. Der Vater ist weg, jetzt beginnt der zartere, zerstreutere, hoffnungslosere Lärm, von den Stimmen der zwei Kanarienvögel angeführt. Schon früher dachte ich daran, bei den Kanarienvögeln fällt es mir von neuem ein, ob ich nicht die Türe bis zu einer kleinen Spalte öffnen, schlangengleich ins Nebenzimmer kriechen und so auf dem Boden meine Schwestern und ihr Fräulein um Ruhe bitten sollte."
Über das kulturelle Miteinander im Prag jener Zeit schreibt Peter Demetz, Literaturwissenschaftler und erimitierter Professor an der Yale-Universität, ebenfalls in Prag geboren, in seinem 1997 erschienen Buch "Prag in Schwarz und Gold":
"Ottokar war der erste Prager König, der die arbeitende Bevölkerung und die Kaufleute (gleich welcher Nation) gegen den raubgierigen Adel (gleich welcher Gesellschaft) beschützte und den urbanen Raum schuf, in dem sich ein Gemeinwesen von Tschechen, Deutschen, Juden und Italienern bildeten, Menschen, die jahrhundertelang friedlich zusammen - oder zumindest nebeneinander - leben, arbeiten und schöpferisch tätig sein sollten."
Die Austellung "Tripolis Praga" ist unterteilt in ein knappes Dutzend Abschnitte, oder Kapitel, mit so vielversprechenden Überschriften wie "Wie das Bürgertum die Moderne fand", "Kultur des jungen Staates", "Das deutsche Prag" oder die "Tschechische Avantgarde". Die Vorbereitung der Ausstellung hat vier Jahre gedauert. Warum, erklärt Prof. Walter Schmitz, einer der Ausstellungsmacher:
Auf die Frage, wie er das Interesse an der Ausstellung einschätzt - man könnte ja annehmen, über Kafka und Co bereits genug gelesen zu haben -, reagierte Prof. Walter Schmitz folgendermaßen:
Einer der musikalischen Vertreter jener Zeit war der Komponist Antonin Dvorak, aus dessen Symphonie Nr. 9, "Aus der neuen Welt", Sie nun einen Ausschnitt hören:
Finanzielle Unterstützung bei der Vorbereitung der Ausstellung "Tripolis Prag" gab es u.a. vom Sächsichen Stattsministerium, vom Kulturministerium der Tschechischen Republik, dem Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds und dem Auswärtigen Amt, in dessen Räumlichkeiten die Ausstellung noch bis zum 9. November in Berlin zu sehen sein wird.