Repräsentationshaus zeigt Jugendstil als vitale Kunst

Foto: Archiv des Kunstgewerbemuseums Prag

Der Jugendstil wird oft als Kunst vom Ende einer Epoche charakterisiert. Seine ausgeprägte Ornamentik wurde als Flucht vor den wachsenden sozialen Spannungen der Zeit interpretiert. Eine neue Ausstellung im Prager Repräsentationshaus zeigt den Jugendstil aber unter einem anderen Aspekt - als eine Kunstströmung, die sich um eine enge Verbindung zum Alltag bemühte. Zu sehen sind rund 500 Exponate: Glas, Keramik, Schmuck, Möbeln, Gemälde, Graphiken, Werbeplakate sowie Kleider und Modezubehör. Alle Exponate stammen aus den Sammlungen des Prager Museums für angewandte Kunst. Ein Gespräch mit Museumsleiterin Helena Königsmarková über die Entstehung der Ausstellung.

Foto: Martina Schneibergová
Frau Königsmarková, wie entstand die Idee, eine Jugendstilausstellung aus den Sammlung Ihres Museums für das Repräsentationshaus zusammenzustellen?

„Das Hauptgebäude unseres Museums wird geschlossen, weil es instandgesetzt wird. Einige Jahre lang haben wir nach Räumlichkeiten gesucht, um unsere Sammlungen auch weiterhin zeigen zu können. Wir haben auch mit den Vertretern der Stadt sowie dem Direktor des Repräsentationshauses darüber beraten. Ich bin sehr glücklich, dass wir hier nun zwei Jahre lang Exponate aus unserem Museum vorstellen können. Im Januar haben wir den entsprechenden Vertrag unterzeichnet. Als wir die Ausstellung im vergangenen Jahr vereinbarten, haben wir gedacht, dass wir unser Hauptgebäude schon in diesem Jahr schließen müssen. Der Beginn der Bauarbeiten hat sich jedoch verzögert, sodass unser Museum noch geöffnet ist, zudem aber diese große Jugendstilausstellung im Repräsentationshaus eröffnet wurde.“

Die Ausstellung ist thematisch gegliedert. Aus welchen Bereichen sind Exponate zu sehen?

„Die Ausstellung ist inhaltlich in einige Kapitel gegliedert. Zudem ist sie, was die Gestaltung betrifft, in einige Bereiche geteilt. Dies entspricht auch der Vielfalt unserer Sammlungen. Denn bei uns gibt es nicht nur angewandte Kunst, sondern auch Graphiken, Buchkunst sowie Werke von namhaften Malern – beispielsweise von Alfons Mucha oder von Jan Preisler. Was hier auch zu sehen ist, sind einige Wohnungsinterieurs, die für die berühmte Weltausstellung 1900 in Paris gestaltet wurden. Dort wurden Interieurs gezeigt, die damals renommierte tschechische Künstler beispielsweise von der Prager Akademie der angewandten Künste entworfen haben. Die Möbel und weiteren Ausstattungsgegenstände von der Weltausstellung sind dann Bestandteil der Sammlungen unseres Museums geworden. Das Museum entstand 1885. Zu der Zeit wurden die Bilder, Fotografien und Kunstgegenstände aber nicht genau sortiert und voneinander getrennt. Alles gehörte zu dem, was man heute Lebensstil nennt. Und diesen Lebensstil wollten wir auch zeigen.“

Foto: Martina Schneibergová
Der Jugendstil hat sich auch unter dem Einfluss verschiedener geistlicher, oft esoterischer Strömungen entwickelt. Er war zudem mit den Bemühungen um einen Wandel des Lebensstils verbunden. Wie kommt dieser Aspekt in der Ausstellung zum Ausdruck?

„Die Bemühungen um einen Wandel des Lebensstils - die verschiedenen Strömungen, die einen Rückkehr zur Natur propagierten - haben auch den Jugendstil geformt. Dies kann man an den Motiven vieler ausgestellter Werke sowie an den Dekorationsmustern sehen. Man erkennt auf den ersten Blick den Einfluss der sozusagen ‚vitalen’ Strömung, die eine Rückkehr zur Natur vertrat. Es gibt hier aber auch Exponate mit geometrischen Ornamenten und Formen, die von der strengeren geometrischen Kunstströmung beeinflusst sind. Die beiden Stile existierten parallel, zur selben Zeit entstanden Werke des klassischen Jugendstils mit reichen Ornamenten und vielen Verzierungen, aber auch Gegenstände, die rein geometrische Formen hatten. In der Ausstellung sieht man das an mehreren Beispielen.“

Welche sind interessante Beispiele für die geometrische Kunstströmung in der Ausstellung?

Zu sehen sind hier Interieurs, die Schüler des Wiener Architekten Otto Wagner entworfen haben. Wagner hat auch die Moderne in Böhmen beeinflusst, wie zum Beispiel die Architekten Jan Kotěra und Leopold Bauer. Es gibt hier ein von Bauer entworfenes Interieur. Bauers Möbel hat das Museum vor einigen Jahren erworben.“

Nicht zu vergessen ist die Mode des Jugendstils. Welcher Art sind die Modelle, die hier zu sehen sind?

Foto: Martina Schneibergová
„Die Mode gehörte damals genauso wie heute zu den wichtigsten Merkmalen des Lebensstils. Fast jeder kennt die Damen mit großen Hüten und prächtigen Kleidern von den Plakaten, die nicht nur Alfons Mucha gemalt hat. Viele Firmen benutzten schon damals das Bild einer Frau als Reklame für verschiedene Alltagsgegenstände. In den Museumssammlungen befinden sich viele solcher Werbeplakate. Einige davon stellen wir hier aus. Zudem sind hier mehrere Kleider zu sehen. Es ist übrigens nicht einfach, Textilien in gutem Zustand aufzubewahren. In unserem Museum schenken wir aber der Mode viel Aufmerksamkeit. In den letzten Jahren haben wir einige Ausstellungsprojekte zum Thema Mode vorbereitet. Da in dieser Ausstellung nicht nur die Mode aus den Böhmischen Ländern im Fokus steht, sondern auch aus anderen Ländern Europas, sind hier Modelle aus Paris und aus Wien zu sehen. Es sind wirklich sehr beachtenswerte Kleidungsstücke. Die Reaktionen der Besucherinnen sind unterschiedlich. Eine bedauert, nicht in dieser Zeit gelebt zu haben. Und andere sind froh, dass sie damals nicht gelebt haben und so etwas tragen mussten. Aber es ist trotzdem zu merken, dass einige der Modelle aus der Zeit um das Jahr 1900 den Frauen bereits mehr Bewegungsfreiheit ermöglichten als die Kleider zuvor.“


Die Ausstellung „Jugendstil / Eine vitale Kunst von 1900“ ist im Prager Repräsentationshaus zu sehen. Die Ausstellung ist täglich von 10 bis 19 Uhr geöffnet und läuft bis Ende Dezember 2015.