Schaufenster des Jugendstils: Das Prager Gemeindehaus

Prager Gemeindehaus

Im Fokus der letzten Folge unserer Serie „Entdeckungskreise durch Tschechiens Kreise“ steht Prag. Wir laden Sie in eines der beliebtesten Gebäude der Moldaustadt – ins Gemeindehaus – ein.

Das monumentale Gebäude neben dem Pulverturm heißt auf Tschechisch „Obecní dům“ – auf Deutsch wörtlich „Gemeindehaus“. Viele Prager nennen es umgangssprachlich auch „Repre“, was von der Bezeichnung „Repräsentationshaus“ abgeleitet ist. Das „Repre“ steht an einem besonderen Ort. Es sei Anfang des 20. Jahrhunderts an der Stelle des ehemaligen Königshofs erbaut worden, erzählt Jana. Sie führt Touristen durch das historische Gebäude.

Prager Gemeindehaus  | Foto: Filip Jandourek,  Tschechischer Rundfunk

„König Wenzel IV. entschied sich, die Prager Burg aus politischen Gründen zu verlassen und ließ am Rande der Prager Altstadt den Königshof erbauen. Im damaligen Gebäudekomplex gab es nicht nur Räumlichkeiten für den König und die Höflinge, sondern auch ein Bad und einen Löwenzwinger. Die Gebäude dienten rund 100 Jahre lang den böhmischen Königen. Erst die Jagiellonen kehrten wieder auf die Prager Burg zurück und ließen sie in Stand setzen und modernisieren.“

Entwurf für den Bau des Gemeindehauses Prag von Rudolf Němec  (1903) | Foto: public domain

Den früheren Königshof nutzte anschließend die Kirche. Sie gründete dort ein Priesterseminar. Nach einem Brand wurden die Räumlichkeiten saniert. Der Kirche dienten sie bis 1777. Später wurden dort Kasernen errichtet. In den Jahren 1902 bis 1903 wurden die Häuser abgerissen. Der Verein Měšťanská beseda (Bürgerverein) wandte sich damals an die Prager Kommunalpolitiker mit dem Vorschlag, auf dem freien Grundstück im Prager Stadtzentrum ein repräsentatives Gebäude zu bauen, in dem die Vereinsmitglieder zusammentreffen könnten. Paradoxerweise habe der Verein aber schließlich gar nicht seinen Sitz im Repräsentationshaus gehabt, erzählt die Expertin und merkt an:

„Ein weiterer Grund für den Bau eines derart monumentalen Gebäudes war die Bemühung, im tschechisch-deutschen Prag ein tschechisches Kulturzentrum zu errichten. Die deutsche Kultur wurde damals nicht nur durch die deutsche Presse, sondern auch durch deutsche Theater und das Deutsche Kasino repräsentiert. Mit dem Entwurf für das Gemeindehaus wurden zwei tschechische Architekten, Osvald Polívka und Antonín Balšánek, beauftragt. Interessant ist, dass das Haus schon in der Zeit seiner Entstehung für Kontroversen sorgte. Viele Menschen hielten den Stil, in dem das Gebäude erbaut wurde, für veraltet. Es handelte sich um den Jugendstil mit vielen historisierenden Elementen.“

Foto: Barbora Němcová,  Radio Prague International

Trotzdem sei das Gemeindehaus eine der wichtigsten Sehenswürdigkeiten in Prag und werde jedes Jahr von Tausenden ausländischen Touristen besucht, so Jana.

Mit dem Bau des Gemeindehauses wurde 1905 begonnen. 1912 wurde es als ein Mehrzweck-Kulturzentrum für die Öffentlichkeit geöffnet.

„In den einzelnen Sälen ist zu sehen, dass das Haus eine Art Schaufenster der tschechischen Kunst sowie der tschechischen Technik darstellte. Im Gebäude spielte sich einige Jahre nach seiner Eröffnung ein historischer Akt ab. Am 28. Oktober 1918 wurde hier nämlich feierlich die Tschechoslowakische Republik ausgerufen.“

Das Gemeindehaus spielte auch später noch einmal eine wichtige Rolle in der tschechischen Geschichte. In seinen Räumlichkeiten wurden nämlich im Herbst 1989 die ersten Verhandlungen zwischen dem von Václav Havel geleiteten Bürgerforum und der kommunistischen Regierung geführt.

Smetana-Saal | Foto: Hana Slavická,  Radio Prague International

„Die Demokratie hat in diesem Haus wirklich starke Spuren hinterlassen. Es ist Bestandteil des nationalen Kulturerbes der Tschechischen Republik. Weiterhin dient es als ein Mehrzweck-Kulturzentrum, so wie es bei seiner Entstehung vorgesehen war. Es finden hier jedes Jahr Hunderte von Veranstaltungen statt, viele davon im Smetana-Saal.“

Der Smetana-Saal mit einer Kapazität von 1200 Plätzen befindet sich im mittleren Flügel des Gebäudes. Zu beiden Seiten der Bühne stehen Statuen von Bildhauer Ladislav Šaloun. Die Plastik auf der rechten Seite stellt die sinfonische Dichtung Vyšehrad von Bedřich Smetana dar. Links steht eine Statue, die die Slawischen Tänze von Antonín Dvořák verkörpert. Zwei Logen neben dem Podium sind für den Staatspräsidenten und den Prager Oberbürgermeister bestimmt.

Smetana-Saal | Foto: Barbora Němcová,  Radio Prague International

Bei der Führung durch das Gemeindehaus geht es weiter in die kleineren Säle. Die Damensalons seien kleiner, erzählt Jana. Die Atmosphäre dort ist der Touristenführerin zufolge freundlicher und verspielter, die Verkleidung besteht aus hellem Holz. Die Herrensalons hingegen sind größer und wirken mit ihrer dunklen Holzvertäfelung ernsthafter. Die Säle werden von Firmen für Konferenzen, Präsentationen sowie Weihnachtsfeiern angemietet.

„Die Tür in der Mehrheit der Säle führt in den Flur, sodass die Räumlichkeiten unabhängig voneinander genutzt werden können. Sie sind größtenteils mit Originalmöbeln ausgestattet. Das Gemeindehaus wurde zum Glück weder während des Zweiten Weltkriegs, noch während des kommunistischen Regimes beschädigt. In den Jahren 1994 bis 1997 wurde das Gebäude aufwändig restauriert. Wir können uns hier deshalb heute wie im Jahre 1912 fühlen. Damals galt der Bau als das modernste Haus in den Böhmischen Ländern. Es war vollständig elektrifiziert, verfügte über eine Zentralheizung und ein Lüftungssystem. Im Gebäude gab es eine Rohrpost, hydraulische Fahrstühle und auch beispielsweise einen Raum für das Flaschenspülen.“

Konditorei | Foto: Ivan Král,  Gemeindehaus Prag

Jeder der Räume sieht der Expertin zufolge anders aus. Sie lädt in den Saal ein, der „Konditorei“ genannt wird.

„Hier befand sich wirklich eine Zeitlang eine Konditorei für die Öffentlichkeit. Später wurde der Raum für private Veranstaltungen genutzt. Womöglich kommt dieser Raum jemandem bekannt vor. Hier wurden nämlich mehrere TV-Serien sowie Filme gedreht – beispielsweise der tschechische Film über Jan Masaryk.“

Nach der Konditorei folgt der Mährisch-Slowakische Salon. Als Inspirationsquelle dienten laut der Expertin andere historische Salons. Die bequeme Atmosphäre sei durch kleine Kissen aus Wolle unterstrichen worden, sagt sie:

„Auch der kleine Brunnen spielte eine wichtige Rolle bei der Gestaltung des Saals. Die Wasserspeier in der Form kleiner Schnecken spuckten früher dünne Wasserströme, das Plätschern von Wasser führte zu einer entspannten Atmosphäre.“

Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

Weiter geht es in den kleinsten Salon, der jedoch, wie die Expertin betont, einen bekannten Namen trägt. Der Saal wurde nach der Schriftstellerin Božena Němcová benannt. Auch in diesem Raum gibt es einen Brunnen. Er wird in Betrieb gesetzt, wenn jemand den Salon mietet.

Der nächste Raum ist der Orientalische Salon. Früher hieß er Serbischer Salon, nach dem Attentat von Sarajewo im Jahr 1914 wurde er allerdings umbenannt.

„Damals galt der Salon als modern. Die Anspielungen an den Fernen und den Nahen Osten entsprachen dem Trend. Die Wände sind mit Tapisserien, Teppichen oder Stofftapeten bedeckt. Die höheren Teile der Wände sind mit bemalten Glasstücken verziert. Sie sollen den Eindruck erwecken, dass die Wände mit Edel- oder Halbedelsteinen geschmückt wurden.“

Der nächste Saal trägt den Namen des Politikers und Journalisten Julius Grégr. Von Maler František Ženíšek, der sich an der künstlerischen Gestaltung des Prager Nationaltheaters beteiligte, stammt die Deckenmalerei, die das Leben, die Poesie und den Tod symbolisiert. Für die Wand kreierte der Maler ein Triptychon. Die Gemälde heißen Liebeslied, Kriegslied und Trauerlied. Im Grégr-Saal finden oft Konzerte und Auktionen von Kunstwerken statt.

Grégr-Saal | Foto: Ivan Král,  Gemeindehaus Prag

Nach dem Historiker František Palacký ist ein weiterer Saal benannt. Den Raum dominiert eine Palacký-Büste von Josef Václav Myslbek. An der Ausschmückung des Saals beteiligte sich der Maler Jan Preissler. Im folgenden Bürgermeistersaal finden sich Malereien von Alfons Mucha. Der Raum wurde vorwiegend mit zwei Farben gestaltet: Blau steht der Expertin zufolge für Prag und Lila für das Mittelalter. Im Rieger-Saal, der nach dem Politiker und Publizisten František Ladislav Rieger (1818–1903) benannt wurde, macht Jana auf eine der Wände aufmerksam.

Max Švabinský: České jaro | Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

„An der Wand findet sich eine Tafel mit einer von Riegers Reden von 1868. Während der NS-Besatzung, im Jahre 1940, wurde die Tafel zugedeckt. Paradox ist, dass sie bis 1990 zugedeckt blieb. Über der Tafel mit Riegers Rede finden sich die letzten zwei Malereien, auf die ich während der Führung aufmerksam mache. Sie heißen ,Der tschechische Frühling‘. Auf dem Bild auf der linken Seite ist eine Gruppe tschechischer Schriftsteller und Dichter zu sehen: Svatopluk Čech, Jan Neruda, Julius Zeyer, Božena Němcová und Jaroslav Vrchlický. Auf der rechten Seite sind die Komponisten Bedřich Smetana und Antonín Dvořák, die Maler Mikoláš Aleš und Josef Mánes und der Bildhauer Josef Václav Myslbek abgebildet.“

Die Führung durch das Repräsentationshaus geht im Sladkovský-Saal zu Ende. In dem geräumigen Saal werden vor allem Konferenzen veranstaltet.

Prager Gemeindehaus | Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International
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