Tschechen kaufen immer mehr auf Kredit
Kaufen auf Kredit hat in Tschechien keine große Tradition. Denn zu Zeiten des kommunistischen Regimes schossen die damals staatlichen Banken Privatleuten kaum Geld vor. Das hat sich gründlich geändert. Seit der Privatisierung der Banken und der Reform des Finanzsektors herrscht Wettbewerb. Banken und andere Kreditinstitute locken die Kunden derzeit mit niedrigen Zinsen. Viele Tschechen erliegen der Versuchung und kaufen auf Pump: angefangen vom Kühlschrank über den DVD-Player und das Auto bis hin zur Wohnung oder zum Haus. Mehr dazu in unserem Wirtschaftsmagazin von Sybille Korte.
Allein bei den Banken wuchsen die Schulden der Privathaushalte binnen Jahresfrist um rund 32 Prozent auf fast 210 Milliarden Kronen Ende August. Und darin sind noch gar nicht die Kredite enthalten, die andere Geldinstitute oder Leasinggesellschaften den Verbrauchern gewährt haben. Schon seit geraumer Zeit verzeichnen die Statistiker zweistellige Zuwachsraten bei der Haushaltsverschuldung in Tschechien. Ist das ein Grund zur Beunruhigung? Die größte Tageszeitung des Landes "MF Dnes" jedenfalls sorgt sich bereits: "Das Leben mit Schulden können die Tschechen vielleicht nicht bewältigen."
Kredit ist nicht gleich Kredit, betont Miroslav Brabec, Analyst bei der Raiffeisen BANK in Prag:
"Die größte Gruppe sind die Hypothekenkredite, die steigen sehr dynamisch um etwa 50 Prozent im Jahresvergleich im Juli. Die zweitgrößte Gruppe sind die Konsumkredite, die sind im Juli im Jahresvergleich etwa 28 Prozent gestiegen, aber hier lässt die Dynamik nach."
Kredite werden den Tschechen in jeder Weise schmackhaft gemacht. Nicht nur die Banken, sondern auch andere Finanzierungsgesellschaften umwerben die Privatkunden. Autos können geleast werden, große Geschäfte bieten mit ihren Kundenkarten Ratenkäufe an. Der Konsument ist König. Denn den Haushalten Geld zu leihen ist weitaus weniger riskant als den Unternehmen, erläutert Brabec.
"Statistiken sagen, dass zur Zeit bei den Krediten an Unternehmen jeder 7. Kredit nicht zurückgezahlt wird und bei den Verbrauchern ist das jeder 17. Hier kann man sehen, dass die Verbraucher ziemlich zuverlässige Schuldner sind."
Kein Wunder, dass sich Banken und Kreditinstitute an die Privatkunden halten. Die tschechische Zentralbank sieht in der wachsenden Verschuldung der Haushalte zunächst kein grundsätzliches Problem. Vizegouverneur Ludek Niedermayer:
"Ich würde nicht sagen, dass es Grund zur Sorge gibt. Es gibt zwei Gründe, warum die Zahlen so hoch sind. Erstens die Basis: Es gab keine Tradition von Krediten an Privatpersonen. Und da der Bankensektor neu strukturiert wurde und mehr Wettbewerb herrscht, konzentrieren sich die Banken jetzt auf die Privatkunden. Der zweite makro-ökonomische Grund ist, dass unsere Zentralbank versucht hat, die Verlangsamung des Wirtschaftswachstums, die durch die Verlangsamung des europäischen Wirtschaftswachstums verursacht wurde, durch eine Lockerung ihrer Geldpolitik zu überwinden. So ist der Zinssatz sehr niedrig. Und aufgrund der Wirtschaftsstruktur wurde der größte Zuwachs bei den Krediten bei den Privatpersonen verzeichnet. Doch dieser Mechanismus, der uns geholfen hat, ein Wachstum von rund zwei Prozent zu halten, kann nicht ewig dauern."
Tatsächlich hat Tschechien die westeuropäische Wirtschaftsflaute und die Hochwasserschäden des vergangenen Jahres dank der Konsumfreudigkeit der einheimischen Verbraucher gut abgewettert. Die verfügen nicht nur wegen der Kredite und Darlehen über mehr Geld, sondern auch, weil ihre Einkommen kräftig gestiegen sind. Doch das muss nicht so bleiben. Die Arbeitslosigkeit hat ebenfalls zugenommen. Derzeit beträgt die Quote rund zehn Prozent. Die Zentralbank erwartet zwar, dass die Phase der Stagnation in Europa nicht sehr lange dauert und dass die wirtschaftliche Erholung auch der einheimischen Wirtschaft substanzielles Wachstum beschert. Doch die tschechischen Währungshüter sehen durchaus die Gefahr, dass sich mancher Haushalt übernehmen könnte. Zentralbank-Vizegouverneur Ludek Niedermayer:
"Die Banken managen die Risiken in angemessener Weise. Aber es kann passieren, dass die Haushalte nicht so geschickt sind. Man sollte im Kopf behalten, dass auch ein niedriger Zinssatz mit der Fähigkeit der Familie verglichen werden sollte, ihr Einkommen zu erhöhen. Manchmal könnte etwas, das sehr attraktiv erscheint, ziemlich gefährlich für die künftige Ausgeglichenheit des Familienbudgets sein. Man sollte sich deshalb nicht so von der Tatsache in Aufregung versetzen lassen, dass Kredite zur Verfügung stehen und billig sind. Man sollte vielmehr an die Fähigkeit der Familie denken, das Einkommen zu behalten und dann auch noch die Schulden abzubezahlen. Die Familien sollten beim Risikomangement vorsichtiger sein."
Dass zweistellige Zuwachsraten bei den Schulden der Haushalte gesamtwirtschaftlich betrachtet nicht alarmierend sein müssen, zeigt ein Vergleich Tschechiens mit anderen Länder Europas.
"Der Bestand an Krediten ist sehr niedrig, wir haben auf sehr niedrigem Niveau angefangen, fast bei null. Bei uns geht es ein bisschen besser als in den meisten anderen Kandidatenländern für den EU-Beitritt aber natürlich auf niedrigerem Niveau als in den großen westeuropäischen Ländern. Eine Dynamik mit zweistelligen Zuwachsraten bei den Krediten ist nicht ungewöhnlich. Es gibt Länder in Europa, in denen die Steigerung nahe null ist, Deutschland gehört möglicherweise dazu. Aber es gibt andere Länder in Südeuropa, wo das Kreditwachstum auch zweistellig ist. Das ist also keine sehr ungewöhnliche Situation. Die Banken sind sich des Risikos bewusst, sie können damit umgehen. Doch niemand sollte denken, dass es irgendeinen Markt ohne Risiko gibt. Es gibt ein Risiko für Haushalte, einige können gut zurechtkommen, andere nicht so gut."
Von Spekulationen darüber, dass nach dem EU-Beitritt Tschechiens im Mai Mieten und Immobilienpreise nach oben schnellen werden, hält Niedermayer nicht viel. Wer denkt, deshalb jetzt so schnell wie möglich kaufen zu müssen, könnte sich übel täuschen.
"Ich schätze, eine Menge Leute hat diese Idee in Aufregung versetzt. Ich wäre da aber vorsichtiger, so wie es ein Mitglied der Zentralbank immer sein sollte. Ich bin absolut sicher, dass der EU-Beitritt nicht automatisch bedeutet, dass alle Immobilienpreise steigen werden. Der Immobilienmarkt ist ein effizienter Markt. Deshalb gibt es eine Vorwegnahme der Steigerung. Es kann deshalb passieren, dass es dann gar keine Steigerung geben wird. Für die Haushalte ist es wichtig zu verstehen, dass es eine ziemlich ernste Entscheidung ist, eine Hypothek über 20 Jahre aufzunehmen. Das bedeutet erhebliche monatliche Belastungen. Es geht nicht darum, so eine Hypothek nur für zwei Jahre zu finanzieren. Es ist eine langfristige Entscheidung."
Jitka und ihr Mann Tomas jedenfalls machen derzeit die Erfahrung, dass für Hausbesitzer am Ende doch alles immer teurer wird als geplant. Die Renovierung verschlingt viel mehr als gedacht. Die Heizung funktioniert immer noch nicht, obwohl es schon kalt geworden ist. Und für eine richtige Küche wird das Geld in diesem Jahr sowieso nicht mehr reichen.