Tschechiens junge Eishockeygarde rückt in der NHL immer stärker auf
Das Sportjahr 2007 hält mit der Vierschanzentournee in Deutschland und Österreich, dem Hopman Cup in Australien und der U-20-Eishockey-WM in Schweden gleich zum Auftakt mehrere Höhepunkte bereit. Doch bei keinem dieser Events konnten sich die tschechischen Sportler bisher überzeugend in Szene setzen. Daher haben wir einmal über den Atlantik geschaut, um zu erfahren, was Tschechiens beste Eishockeyspieler derzeit in Nordamerika zu Wege bringen.
Die SPORT-Reportage
Die tschechischen Sportler, die im Zeitabschnitt um den Jahreswechsel stets am intensivsten ihrem Beruf nachgehen, sind die Eishockeycracks, die in der nordamerikanischen National Hockey League (NHL) ihr Geld verdienen. Denn diese Liga, die als die weltweit stärkste anerkannt wird, kennt auch zwischen den Feiertagen keine Spielpause. Im Gegenteil: Wegen der für viele Zuschauer, die ihren Resturlaub genießen, zumeist arbeitsfreien Zeit, werden auch Begegnungen am zweiten Weihnachtstag, am Silvester- und am Neujahrstag ausgetragen. Mit von der Partie sind dabei Jahr für Jahr auch rund 70 tschechische Topspieler, die mit dieser Anzahl in den zurückliegenden Saisons fast ausnahmslos die größte Gruppe unter den ausländischen Legionären gestellt haben. Welche Fähigkeiten sie dabei in die NHL einbringen und welche Rollen sie in ihren Clubs spielen, dazu habe ich am Rande des populären Spengler Cups in Davos mit einem Journalistenkollegen und NHL-Experten, dem Schweizer Medien-Guru Joel Wüthrich gesprochen. Die tschechischen NHL-Cracks teilte er zunächst in zwei Kategorien ein:
"Es gibt eigentlich zwei Kategorien von Tschechen, die derzeit in der NHL spielen. Da ist zunächst die neue junge Garde zu nennen, die relativ stark aufkommt. Hier habe ich besonders die Michalek-Brüder, die in Phoenix und San José spielen, sowie Petr Prucha von den New York Rangers im Visier. Prucha hat zwar diese Saison ein paar Probleme, aber die Experten in New York sagen, dass er eigentlich nur ein kleines Tief hat, das er wahrscheinlich bald überwinden wird. Die zweite Kategorie sind die erfahrenen Spieler, auf die man immer zählen kann, und die auch ein Team tragen können. Als deren Vertreter muss man natürlich zunächst Jagr, Tomas Kaberle und Kubina nennen, aber auch Marek Malik, der sich immer noch stark etablieren kann, sowie Patrik Elias, der zum Kapitän der New Jersey Devils aufgestiegen ist. Ich würde sagen, die Tschechen sind auch sehr ausgewogen positioniert, was die Anzahl und die Klasse ihrer Verteidiger und Stürmer betrifft."
Von den jungen, nachrückenden Talenten nannte Wüthrich neben den Brüdern Milan und Zbynek Michalek und dem Rangers-Torjäger Petr Prucha auch noch weitere Akteure wie den Detroiter Jiri Hudler oder Rostislav Olesz und Tomas Plekanec, die für Florida bzw. Montreal spielen. Aber trotz der neuen Hoffnungsträger, die als Jungstars in der einheimischen Extraliga fehlen, spricht man in Tschechien immer wieder und immer noch hauptsächlich von zwei Akteuren, wenn man aus eigener Sicht über die NHL philosophiert - über die hierzulande als "Eishockeyhelden" verehrten Jaromir Jagr und Dominik Hasek. Jaromir Jagr, der mit Pittsburgh zweimal den Stanley Cup gewann, gilt seit Beginn der 90er Jahre als einer der besten Eishockeyspieler der Welt, der sich dank seiner begnadeten Fähigkeiten dann auch nicht zu Unrecht bis zum derzeit am besten bezahlten Kufenprofi in der NHL emporgearbeitet hat. Joel Wüthrich beeindruckt vor allem das vielfältige Rollenspiel des Superstars der New York Rangers:"Seine Rolle in New York, die verändert sich von Jahr zu Jahr. Das ist ganz interessant zu beobachten, denn diese Rolle verändert sich auch mit dem Teamgefüge. Jagr ist schon sehr froh, dass jetzt nicht mehr alles nur auf ihn abgestimmt ist, denn die Rangers haben ein ausgewogenes Team. Und seit Brendan Shanahan dort spielt, der ein echter Leader ist, fühlt sich Jagr halt noch wohler, weil eben nicht alles auf ihn abgestimmt ist."
Jaromir Jagr und Brendan Shanahan haben erst im Herbst vergangenen Jahres ihren jeweils 600. Treffer in der NHL erzielt und damit eine Marke geschafft, die vor ihnen nur einem Dutzend anderer Spieler vergönnt war. Daher liegt es auf der Hand, dass beide Ausnahmekönner auch die Aushängeschilder der Blau-Roten aus dem Madison Square Garden sind, was mir auch mein Gesprächspartner bestätigte:
"Ja, das ist absolut so! Jagr spielt jetzt schon einige Jahre für die Rangers und er ist hier zu einem Selbstläufer geworden. Und Brendan Shanahan ist der neue Publikumsliebling, der wirklich noch einmal alles reißen kann - und er tut das auch. Man darf nicht vergessen, Jagrs Karriere ist noch nicht zu Ende: Er hat jetzt diese Toremarke geknackt und er wird mit größter Wahrscheinlichkeit nicht nur statistisch der erfolgreichste europäische Spieler aller Zeiten werden in der NHL."
Über Dominik Hasek, den fast 42-jährigen Goalie der Detroit Red Wings, hat Wüthrich auch seine ganz eigene Meinung:
"Hasek hat Charisma, er hat die größten Erfolge eingefahren, und er ist wahrscheinlich in der Geschichte der NHL einer der wichtigsten Torhüter. Mehr muss man dazu nicht sagen. Aber: Er ist nicht nur ein Eishockeyverrückter, sondern auch ein Verrückter."
Dominik Hasek, der im Februar 1998 mit seinen erstklassigen Paraden einen Riesenanteil am damals frenetisch gefeierten Olympiasieg der Tschechen in Nagano hatte, wird sowohl in Tschechien als auch in Übersee inzwischen differenziert gesehen - als großartiger Torwart auf der einen, aber auch als etwas widersprüchlicher Mensch auf der anderen Seite. Warum das aus amerikanisch-kanadischer Sicht so ist, dazu sagte Wüthrich:
"Er wird verschiedentlich gesehen. Viele verzeihen ihm die Sache in Buffalo mit Ted Nolan nicht, denn Nolan ist schon seit jeher sehr beliebt. Aber Erfolg heilt eigentlich im Grunde genommen immer alle Wunden, und in den USA oder in Kanada ist es so wie in Europa: Wer Erfolg hat, hat Recht! Und den hat Hasek schlussendlich, egal, ob er nun ein Stilist ist oder nicht. Er hält oft auch schwierigste Pucks, und das ist das Entscheidende."
Als ein kommender Superstar der NHL wird schon seit einiger Zeit Ales Hemsky, der 23-jährige Stürmer der Edmonton Oilers gehandelt. In der vergangenen Saison erzielte er in den Play offs des Stanley Cups mehrere entscheidende Tore, doch in dieser Spielzeit scheint er etwas zu stagnieren. Aber Joel Wüthrich sieht das ein wenig anders:
"Bei Ales Hemsky gibt es ein großes Fragezeichen, aber er stagniert meiner Meinung nach nicht. Die Edmonton Oilers haben ihren Stil von den vorjährigen Play offs perfektioniert. Sie spielen ähnlich wie Calgary ein Run-and-gun-Hockey, es geht immer vorwärts, und die Scheibe wird sehr oft ins gegnerische Drittel getragen. Und Ales Hemsky wird jetzt im Moment dahin geführt - ähnlich wie früher Steve Yzerman, dass er defensiv sehr stark wird. Ich denke nicht, dass er stagniert, er hat einfach andere Rollen."Ein weiterer Tscheche, der alle Voraussetzungen besitzt, ein ganz Großer des Welteishockeys zu sein, ist der 25-jährige Angreifer der Chicago Blackhawks Martin Havlat. In Ottawa, wo er zuvor spielte, war er ein Guter von vielen, trat aber zu selten als Matchwinner in Erscheinung. In Chicago, wo er seit dieser Saison unter Vertrag steht, will er sich weiter profilieren. Ein nicht ganz leichtes Unterfangen, wenn man auf die Tabelle schaut und feststellen muss, dass die Blackhawks wahrscheinlich die Play offs nicht erreichen werden. Aber Wüthrich sieht Havlats neue Chance vor allem perspektivisch:
"Ja, ich denke, wenn man nicht in den Play offs steht, ist das immer ein Rückschritt für jeden Spieler. Er wird wahrscheinlich nicht zufrieden sein, wenn er sich sagt: ´O. k., jetzt bin ich hier der Superstar und kann vieles bewirken, aber ich bin dann nicht in den Play offs.´ Man hat das gesehen bei Roberto Luongo, der in Florida als Superstar immer alles gerissen hat. Aber irgendwann hat er einmal gesagt: ´Ich will hier nicht mehr spielen. Ich fühle mich zwar wohl, aber ich will nicht mehr, denn ich bin nicht in den Play offs.´ Ich denke, Havlat gibt sich einfach etwas Zeit. Und Chicago ist ja nicht ganz weg vom Fenster. Ja, es kann sein, dass Chicago möglicherweise in ein bis zwei Jahren das Edmonton der Zukunft werden kann. Das kann durchaus sein. Und dann brauchen sie solch einen Spieler wie Havlat, der die Blackhawks auf die Erfolgsspur führen kann."
Wenn man jetzt, zum Jahresbeginn 2007, einen Blick auf die sechs Tabellen der NHL-Divisonen wirft, kann man feststellen, dass unter anderem die Nahsville Predators als Führende der Zentraldivision sehr gute Karten haben, um sich für den Stanley Cup zu qualifizieren. In Nashville spielen mit Martin Erat, Josef Vasicek, Tomas Vokoun und Marek Zidlicky gleich vier Tschechen, die mehr oder minder tragende Rollen im Predators-Team inne haben. Die gewichtigste sollte eigentlich Torhüter Vokoun zustehen, doch in diesem Fall tritt Wüthrich ein klein wenig auf die tschechische Euphoriebremse:
"Ich kann jetzt für die Zuhörer von Radio Prag mal etwas ganz blasphemisches sagen: Vokoun hat sich verletzt, und dann kam Chris Mason ins Tor der Predators. Mit dem Erfolg, dass Mason gleich vier Shut outs machte und großen Anteil daran hatte, dass Nashville sehr viele knappe Siege errungen hat. Das ist aber jetzt etwas blasphemisch daher gesagt, denn eigentlich ist Vokoun wirklich die Nummer eins, und Mason ist ein sehr, sehr guter Back up. Aber ich denke, dass Vokoun immer eine Rolle spielt in jedem Team. Das ist zwar in dieser Saison bisher noch nicht so deutlich geworden wie in der letzten, aber das wird sicher noch kommen."
Von B wie Radek Bonk bis Z wie Marek Zidlicky reichen die Namen der tschechischen Cracks, die in dieser Saison in der NHL ihre Visitenkarte abgeben. Angesichts ihrer Masse, vor allem aber auch ihrer Klasse darf man davon ausgehen, dass zumindest wieder einer unter ihnen dabei sein wird, der am Ende der Saison die Play-off-Finals bestreiten oder sogar den begehrten Stanley Cup in den Händen halten wird.