Tschechisch-österreichische Beziehungen

Die nachbarschaftlichen Beziehungen zwischen Tschechen und Österreichern waren in der Vergangenheit nicht gerade frei von Spannungen. Da waren und sind u.a. die Benes-Dekrete, die Regierungsbeteiligung der FPÖ und damit verbundene Uneinigkeiten sowie - last but not least - das südböhmische Kernkraftwerk Temelin. Im folgenden Schauplatz werden uns zwei Experten ihre Einschätzungen zu den jüngsten Ereignissen in den tschechisch-österreichischen Beziehungen erläutern: Für die österreichische Seite ist das der Sprecher der österreichischen Botschaft in Prag, Gregor Schusterschitz. Die tschechischen Standpunkte analysiert der stellvertretende Chefredakteur der Zeitschrift "Mezinarodni politika" (Internationale Politik), Robert Schuster. Am Mikrophon ist Olaf Barth.

Das Verhältnis der beiden Länder musste auch in den vergangenen Wochen wieder einigen Belastungsproben standhalten. Da war zum Einen die FPÖ-Forderung nach einer Volksabstimmung über den EU-Beitritt Tschechiens.

Der tschechische Staatspräsident Vaclav Havel äußerte sich dazu eher diplomatisch: "Dies sei eine Sache des Systems im betreffenden Land." Wenngleich er warnte, eine mögliche österreichische Ablehnung des tschechischen EU-Beitritts, "käme einem Präzedenzfall für den Aufbau neuer Eiserner Vorhänge in Europa gleich", die letzten Endes zu Nationalismus, Chauvinismus und Krieg führen könnten.

Ein weiteres heikles Thema war die Äußerung des EU-Kommissars Günter Verheugen, die vom Europäischen Parlament vorgeschlagene internationale Temelin-Ausstiegskonferenz unterstütze er nicht, da die tschechische Seite eine solche Konferenz ablehne.

Der Politologe Robert Schuster schätzt Verheugens Aussage wie folgt ein:

Auf österreichischer Seite war man ziemlich empört über Verheugens Worte. Einige Temelingegner forderten von der Wiener Regierung, das Energiekapitel nun nicht abzuschließen und damit den EU-Beitritt der Nachbarrepublik zu blockieren. Doch Gregor Schusterschitz, der Sprecher der österreichischen Botschaft, erklärt den Standpunkt seiner Regierung:

Vor rund drei Wochen weilte der tschechische Präsident Vaclav Havel zu einem Treffen bei seinem österreichischen Amtskollegen Thomas Klestil in Wien. Diesen Besuch werten beide Experten als positives Signal, wenn auch mit nur geringer Bedeutung für die tagespolitischen Entscheidungen.

Der Diplomat Schusterschitz machte seiner Profession alle Ehre, als er sich wie folgt ausdrückte:

"Grundsätzlich ist zu sagen, dass die Aussagen von Präsident Havel was Temelin, aber auch die Benes-Dekreten anbelangt, begrüßenswert ist und auch nicht so weit von dem entfernt ist, was die Regierungen miteinander besprechen. Es wurden bereits im November 1999 zwischen den damaligen Außenministern Kavan und Schüssel Expertengespräche zu den Benes-Dekreten vereinbart und dort sind natürlich auch diese Fragen zu klären, von denen Präsident Havel gesprochen hat."

Havel hatte sich nämlich bezüglich der aus Sudetendeutschenkreisen häufig zu vernehmenden Forderungen nach Streichung jener Passagen der Benes-Dekrete, die die Enteignungen der Deutschen nach dem Krieg legalisierten, negativ geäußert. Eine Annullierung sei eine rein psychologische Maßnahme und (ZITAT): "Die umstrittenen Dekrete sind drei von tatsächlich existierenden 150, die als Grundlage für die Bildung unserer Nachkriegsverfassung gedient haben. Sobald man sagt, dass eines dieser Dekrete nicht mehr gilt, könnte das unsere gesamte Verfassung zusammenbrechen lassen."

Politologe Schuster zeigte sich darüber verwundert, schließlich sei das tschechische Staatsoberhaupt Anfang der neunziger Jahre einer der ersten Politiker gewesen, der sein Bedauern über die Vertreibung der Deutschen zum Ausdruck gebracht hätte. Er fügte hinzu:

Die nicht nur in Deutschland, sondern auch in der Alpenrepublik weit verbreitete Befürchtung, dass nach einem EU-Beitritt der Tschechischen Republik Billigarbeitskräfte die ohnehin schon belasteten Arbeitsmärkte der beiden Anrainerstaaten überschwemmen könnten, wischte Havel vom Tisch (ZITAT):

"Einen Exodus der Tschechen nach Deutschland und Österreich kann ich mir nicht vorstellen, die Tschechen kriechen nicht gern hinterm Ofen hervor."

Warum sollten seine Landsleute massenhaft ihr gewohntes Leben mit einem, nach westlichen Maßstäben, geringeren Lohn aufgeben, um im Westen zwar ein wenig mehr zu verdienen als in der Heimat, dafür aber wesentlich höhere Lebenshaltungskosten zu haben, so die mehr oder weniger rhetorische Frage des Präsidenten.

Ein Aspekt in den tschechisch-österreichischen Beziehungen, der von allen Seiten immer wieder lobend erwähnt wird, sind die gegenseitigen Wirtschaftsbeziehungen.

1,4 Milliarden Euro an Direktinvestitionen flossen, laut der österreichischen Nationalbank, im vergangenen Jahr von Österreich aus in die Tschechische Republik. D.h. jeder fünfte von ausländischen Investoren in Tschechien angelegte Euro stammt aus dem südlichen Nachbarland. In der tschechischen Handelsbilanz steht einem Exportwert von 1,87 Milliarden Euro nach Österreich ein Importwert von 2 Milliarden Euro gegenüber.

Bedeutet das, dass Österreich den EU-Beitritt seines Nachbarn nach Kräften unterstützen wird?

"Auf alle Fälle. Für uns ist natürlich die EU-Erweiterung eine Riesenchance und ein sehr wichtiger Aspekt. Wir wollen das natürlich auch nach Kräften unterstützen, unter Klärung der Sachfragen, die es natürlich immer gibt. Und das ist ja z.B. auch der Hintergrund der regionalen Partnerschaft, die am 6. Juni in Wien zwischen sechs zentraleuropäischen Staaten gegründet wurde."

Positive Aussichten also trotz aller nachbarschaftlichen Zwistigkeiten für die gemeinsame tschechisch-österreichische Zukunft als hoffentlich gleichberechtigte EU-Partner.

Autor: Olaf Barth
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