Václav Kliment Klicpera – der Wegbereiter des tschechischen Theaters
Nach einem künstlerischen Ebenbild zu, sagen wir, Shakespeare im England des 16. Jahrhunderts oder zum französischen Dramatikertrio Moliere, Racine und Corneille im nachfolgenden Jahrhundert sucht man in den Böhmischen Ländern vergeblich. Das tschechischsprachige Theater begann sich erst um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert zu entwickeln, allerdings nur Schritt für Schritt. Der Dramatiker und Schriftsteller Václav Kliment Klicpera hat sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts um seine Entwicklung besonders verdient gemacht. Geboren wurde Klicpera vor 220 Jahren.
In der Tat! „Der Hut, der Wunder tut“, „Jeder etwas für die Heimat“, „Die Komödie auf der Brücke“ - in diesen und Dutzenden anderen Werken, Trauerspielen, Komödien, Possen, historischen Stücken, Räubergeschichten, Märchen, Romanen und Erzählungen setzte Klicpera seine dichterische Berufung um. Im Unterschied zu seinen etwas älteren Vorgängern, die überwiegend fremdsprachige, vor allem deutsche Stücke übersetzten und ihre Handlung nur mehr oder weniger änderten, verlieh Klicpera seinem Werk viel Originalität. Angesichts seines Umfangs allerdings auch mit schwankender Qualität. Doch einige seiner Titel, vor allem Possen, gehören auch heute noch zum Repertoire professioneller Bühnen in Tschechien sowie zahlreicher Amateurensembles.
Theaterregisseur Vladimír Morávek ist bekannt durch seine unkonventionelle Interpretation von Texten klassischer dramatischer Literatur. Er war lange Jahre Chefregisseur im landesweit bekannten Klicpera-Theater im ostböhmischen Hradec Králové / Königgrätz. In dieser Stadt hatte der Bühnenautor lange Zeit seines Lebens verbracht:„Klicpera wollte in Prag zeigen, dass er das Talent hat, durch die Artikulierung der Schönheit die unerfreuliche tschechische Realität seiner Zeit zu ändern. Das ist ihm aber nicht gelungen. Er war ein großer Pechvogel. Nachdem ihn Prag im Grunde genommen verstoßen hatte, wurde er aber in Hradec Králové freundlich aufgenommen und war dort erfolgreich.“
„Im tschechischen Theater hat meiner Meinung nach die Commedia dell´arte´ gerade in Klicperas ‚Hadrian z Římsů’ ihre stärkste und eleganteste Resonanz gefunden. Der erheiternde Ablauf der Posse ist voller Wendungen, Irrungen, dramatischer Konflikte und natürlich grotesker Momente. Für die Commedia dell´arte, da bin ich mir sicher, gibt es kein besseres tschechisches Kompliment als Klicperas ‚Hadrian z Římsů’. Die Handlung ist verrückt, witzig, übertrieben, stürmisch, ausgefallen, und man staunt nur, was sich alles plötzlich in sein Gegenteil verwandeln kann.“
Klicpera ist kein Dramatiker großer Emotionen und hinreißender Leidenschaft, ebenso wenig wie ein kompromissloser Kritiker der Gesellschaft. Er versteht es aber sehr gut, einen breiten Publikumsgeschmack zu treffen, was auch immer die Zielscheibe seines Spotts ist. Morávek empfiehlt den Zuschauern, bei einer Begegnung mit Klicpera auf Folgendes gefasst zu sein:„Man lässt sich immer von Neuem in die Falle locken, dass man glaubt zu wissen, wie es weiter geht. Doch im nächsten Moment wird man feststellen, dass sich der Autor entschieden hat, den Zuschauer noch einmal durcheinanderzuwirbeln, damit dieser einen dreifachen Salto in seinen Gedanken macht.“
In seinen Stücken wusste es Klicpera sehr gut, durch komische Szenen die Eigenschaften mancher Menschen zu enttarnen. Einige seiner bis heute aktuellen Themen wurden im Laufe der Zeit von mehreren Branchenkollegen Klicperas zeitgemäß aufgegriffen. In den 1930er Jahren gelang dies sogar dem international anerkannten tschechischen Komponisten Bohuslav Martinů.
Auf den Text von Klicperas „Komödie auf der Brücke“ komponierte Martinů in Paris eine gleichnamige Oper. Die ursprünglich im Auftrag des Prager Rundfunks entstandene Oper wurde zum weltweit meistgespielten Werk des Komponisten - vor allem nach 1951. In diesem Jahr wurde ihm der „New Yorker Kritikerpreis“ für die beste Operninszenierung verliehen. Die Handlung dreht sich um einfache Dorfbewohner, die durch den Ausbruch eines Kriegs mitten auf einer Brücke praktisch gefangen sind. Die Menschen wollten die Brücke einfach nur überqueren, um ihrem Alltag nachzugehen. Sinnlose Anordnungen machen es ihnen unmöglich, zur einen oder anderen Seite weiter zu gehen. Auf der Brücke spielen sich eine Reihe komischer Szenen ab. Wie bereits Klicpera belächelt auch Martinů in seiner Opernfassung die menschliche Dummheit sowie das Bemühen, mittels bürokratischer Regeln das Leben in eine Zwangsjacke zu stecken. Der Humor und, im Einklang mit der Musik, auch das archaische Tschechisch aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts tragen maßgeblich zum Reiz des Opernwerks bei. Als die tschechische Theaterwelt vor drei Jahren anlässlich des 150. Todestages an Václav Kliment Klicpera erinnerte, haben mehrere Theaterhäuser im Land - einschließlich des Prager Nationaltheaters - seine Stücke aufgeführt. Anlässlich seines bevorstehenden 220. Geburtstags ist Ähnliches zu erwarten. In jeder guten Familie komme die Zeit, des Großvaters zu gedenken, sagt der Regisseur Vladimír Morávek.„Damit lassen wir den Mann zu Worte kommen, der mit so viel Energie, uneigennützig und mit seinem ganzen Leben das in Bewegung gebracht hat, woran wir bis heute anknüpfen können.“
Václav Kliment Klicpera starb am 15. September 1859 in Prag. Wenige Tage zuvor besuchte sein ehemaliger Schüler aus dem Prager Gymnasium, der zu dem Zeitpunkt bereits bekannte Dichter Jan Neruda, den kranken Dramatiker. Später gab er Klicperas Abschiedsworte wieder:
„Nur vorwärts, meine Jungs, Euer Weg ist abgesteckt. Dürfte ich doch noch einmal mit Euch beginnen! Wir hatten schwere Arbeit zu verrichten, die so manchen von uns gebrochen hat. Möge Gott Euch dieselbe Ausdauer geben, wie wir sie hatten.“