Vilemina von Böhmen - geheimnisvolle Ketzerin aus dem Mittelalter

Vilemina von Böhmen

Im Stammbaum des böhmischen Königsgeschlechtes der Přemysliden gibt es einen Namen, der den meisten Tschechen unbekannt ist: Vilemina von Böhmen. Italienische und englische Quellen sprechen meistens von Guglielma, manchmal aber auch von Blažena oder Felix. War diese besondere Frau aus Mailand wirklich eine böhmische Königstochter? Wie bei anderen mittelalterlichen Persönlichkeiten stehen uns da mehr Legenden als Fakten zur Verfügung. Ein Versuch, Licht in ein historisches Rätsel zu bringen.

Vilemina von Böhmen mit Mayfreda Pirovano und Andreas Saramita
Mailand, im Juli des Jahres 1300. Es läuft der Inquisitionsprozess gegen Mitglieder der Sekte der Vileminiten, also der Anhänger von Vilemina. Im Prozess tritt Andrea Saramita als Kronzeuge auf. Sie behauptet, Vilemina sei Tochter des böhmischen Königs Přemysl Ottokar I. und dessen Ehefrau Konstanze von Ungarn gewesen. Nach ihrem Tod sei er nach Böhmen gereist, um dort die Heiligsprechung von Vilemina zu befürworten. Seine Aussage wird zu Protokoll genommen. Die Richter stellen aber keine weiteren Fragen dazu. Für die Herkunft der angeblichen Ketzerin interessieren sie sich offensichtlich nicht. Aus heutiger Sicht ist das schade. Denn die Dokumente aus dem Prozess sind die einzige Quelle, um mehr über das Leben von Vilemina zu erfahren. Aufbewahrt werden die Protokolle des Prozesses bis heute in der Ambrosianischen Bibliothek in Mailand. Lässt sich also überhaupt feststellen, ob Vilemina wirklich eine Königstochter war? Der Historiker Ladislav Žemlička:



Přemysl Ottokar I.  (Foto: Acoma,  Wikimedia Creative Commons 3.0)
„Es gab im Mittelalter natürlich kein Geburtsregister oder Ähnliches. Von der Existenz bestimmter Menschen wissen wir heute nur deswegen, weil ein Chronist es für wichtig hielt, über die Geburt eines Nachfolgers zu berichten. Insofern ist bekannt, dass Přemysl Ottokar I. aus zwei Ehen mindestens insgesamt 13 Kinder hatte. Es könnten aber auch mehr gewesen sein, weil die Kindersterblichkeit damals sehr groß war. Vilemina wird aber in den böhmischen Chroniken überhaupt nicht erwähnt, von ihr wissen wir nur aus den Akten der Inquisition in Mailand. Es ist deshalb umstritten, ob wir Vilemina in den Přemyslidischen Stammbaum einordnen sollen oder nicht. Einige Forscher halten sie für eine jüngere Schwester der heiligen Agnes von Böhmen, andere zweifeln gänzlich an ihrer Existenz.“

Dass es über die Existenz von Vilemina keine schriftliche Urkunde aus Böhmen gibt, muss noch nichts bedeuten. Die Chronisten interessierten sich vor allem für die männlichen Nachkommen wegen der Erbfolge. So kennen die Historiker zum Beispiel aus dem mährischen Zweig der Přemysliden zwar 13 männliche Mitglieder, aber nur 3 weibliche. Die Töchter waren hauptsächlich dann wichtig, wenn durch ihre Heirat Allianzen mit anderen Herrscherstämmen geschlossen wurden. Přemysl Ottokar I. war darin besonders erfolgreich: Seine Tochter Judita verheiratete er nach Kärnten an Herzog Bernhard, Tochter Anna schickte er in gleicher Weise zu einem Fürsten nach Breslau. Und Agnes sollte ursprünglich als die Ehefrau des Kaisers werden, doch sie entschied sich, ins Kloster zu gehen.

Mailand im Mittelalter  (Quelle: Wikimedia Commons Free Domain)
Was Vilemina betrifft: Sie kam mit ihrem Sohn, vom dem wir nichts Weiteres wissen, zu Anfang der 60er Jahre des 13. Jahrhunderts nach Mailand. Das kleine Haus, in dem sie wohnte, gehörte den Zisterziensern. Die Atmosphäre in der Stadt war damals sehr offen - und das bildete einen fruchtbaren Boden für viele religiöse Reformbewegungen. Vilemina wurde bald selbst Führerin eines informellen geistlichen Kreises. Die Zeugen im Inquisitionsprozess gaben später zu Protokoll, dass sie Heilpraktikerin gewesen sei und durch ihre Hilfstätigkeit bekannt wurde. Ihre Anhänger waren Mitglieder der bedeutendsten mailändischen Familien, Vertreter der Kirche, Zisterzienserbrüder und Brüder aus einem heute nicht mehr bestehenden Orden.

Agnes von Böhmen  (Foto: Archiv von Radio Prag)
„Damals entstand eine Bewegung namens Devotio Moderna, das heißt ‚Neue Frömmigkeit’. Die Frauen wollten sich in Bereichen engagieren, die bislang nur Männern vorbehalten waren. Nur Priester konnten Gottesdienste halten, die Beichte abnehmen oder predigen. Immer mehr Frauen interessierten sich aber für das geistliche Leben, es waren vor allem Frauen aus dem Adel. Sie gründeten zahlreiche Klöster, beeinflussten die Politik und waren wohltätig. In diesem Zusammenhang lassen sich Agnes von Böhmen nennen, Hedwig von Schlesien, Elisabeth von Thüringen oder einige Frauen aus dem ungarischen Adelsgeschlecht Arpad. Die Bewegung ergriff jedoch auch die Mittelschicht und führte zur Entstehung der so genannten Beginen. Dies waren Witwen und ledige Frauen, die zusammen in Kommunen nach klösterlicher Art lebten. Sie wurden von vielen Menschen bewundert und unterstützt, aber die kirchlichen Würdenträger sahen diesen Trend nicht gern. Er entzog sich nämlich ihrer Kontrolle“, so Ladislav Žemlička

Quelle: Wikimedia Commons Free Domain
Vilemina stirbt etwa 1281, danach setzt sich aber der Kult um ihre Person fort. Die Vilemiten glauben, sie sei die Verkörperung des Heiligen Geistes im weiblichen Leib gewesen. Sie halten Vilemina ähnlich wie Christus für einen „wahren Gott und wahren Menschen“, inklusive Aposteln. Sie fordern, dass der römische Papst seine Macht an Vileminas Mitarbeiterin und Nachfolgerin Mayfreda übergeben solle. Das aber empfindet die Kirche als Bedrohung. Im Jahre 1300 kommt es zum Inquisitionsprozess, der die Vilemitische Lehre zur Ketzerei erklärt und verbietet. Mayfreda und Andrea Saramita werden verbrannt, zusammen mit den exhumierten Überresten von Vilemina.

Doch zurück zur Herkunft der Kultgestalt. Wen wir annehmen, dass sie wirklich eine Königstochter aus Böhmen gewesen war, dann stellt sich die Frage: Wie und warum kam sie nach Mailand? Ladislav Žemlička kann sich zwei Versionen vorstellen:

Vilemina von Böhmen  (Foto: Herodias in Space,  Flickr.com)
„Es könnte sich um eine Königstochter gehandelt haben, die ins Kloster ging, dann aber sündigte und vom König vertrieben wurde. Dafür sprechen die Berichte über einen Sohn, den sie gehabt haben soll. Und dafür sprechen unsere Erkenntnisse, dass Přemysl Ottokar I. despotisch war und seine Familie wirklich grob behandelte. Dagegen spricht, dass solch eine Affäre sicher von den Chronisten niedergeschrieben worden wäre, wenn nicht von den böhmischen, dann sicher von den italienischen. Dies wäre schließlich interessanter Klatsch für die Herrscherhöfe gewesen. Die andere Möglichkeit ist, dass sich Vilemina nur als böhmische Königstochter ausgab, um sich interessant zu machen. Die notwendigen Informationen konnte sie einfach aus dem nahen Kärnten gehabt haben, wohin Přemysl Ottokar eine seiner Töchter verheiratet hatte. Am Hof des dortigen Herzogs entstand damals ein gewisser böhmischer Kreis, dem zum Beispiel auch der Notar angehörte. Ohnehin sind aus dem Mittelalter einige Fälle von Hochstaplerei bekannt.“

Stammbaum der Přemysliden  (Quelle: Jednorázovka,  Wikimedia Creative Commons 1.2)
Zudem bestehen noch zwei Indizien, die eher gegen die Herkunft vom böhmischen Königshof sprechen. Zum einen hätte Vilemina als Königstochter viele Brüder und Schwestern gehabt, es gibt aber keinerlei Erwähnung von Kontakten oder einer Korrespondenz mit ihnen. Zum Zweiten: der Name Vilemina. Die Přemysliden nutzten einen Kreis von Namen für ihre Kinder. Anežka (Agnes), Judita (Judit), Kunhuta, Markéta (Margarete) oder Anna - alle diesen Namen tauchen mehrmals Stammbaum auf. Aus Sicht der Historiker sticht der Name Vilemina hingegen als etwas Fremdes hervor.

Wenn man also zusammenfassen will: Beweise für oder gegen die königliche Abkunft von Vilemina gibt es keine, die Indizien dafür und dagegen sind ungefähr gleich stark zu gewichten. Das heißt: Jeder kann glauben, was er will.