Vor 80 Jahren: Erste Direktübertragung des Prager Rundfunks wird "halbiert"

Josef Bican (Foto: Slavia Praha)

Stellen Sie sich vor: Sie verfolgen die Live-Konferenz des ARD-Hörfunks zur Fußball-Bundesliga und jemand zieht den Stecker raus! "Einfach unerhört", würden viele fluchen - doch auch das, was uns heute lieb und teuer geworden ist, hat einmal ganz Klein angefangen. Auch die erste Fußball-Direktübertragung, die der damalige Tschechoslowakische Rundfunk vor 80 Jahren ausstrahlte, verlief nicht ohne Pannen. Dafür erwiesen sich gerade die tschechischen Hörfunk-Sportreporter als Vorreiter ihres Metiers.

Genau 64 Jahre vor der deutschen Wiedervereinigung, am 3. Oktober 1926, war das Fußballstadion auf dem Prager Letna-Plateau mit 20.000 Zuschauern zum Bersten voll - alle Besucher waren in froher Erwartung auf das internationale Spiel zwischen dem SK Slavia Prag und Hungaria Budapest. Und sie staunten nicht schlecht, als sich vor der Haupttribüne die sperrige Übertragungstechnik des Rundfunks auftürmte, um über diese Partie live berichten zu können. Josef Laufer, der Sekretär des SK Slavia Prag erinnert sich:

"Es war so, wie es sich für richtig neugierige Prager gehörte: Sie haben den Standort mit der Übertragungstechnik belagert, sie nahmen das Mikrofon und das komplizierte Zubehör unter die Lupe, und sie fragten den Mitarbeiter des Rundfunks nach allen möglichen und unmöglichen Kleinigkeiten aus."

Als Josef Laufer den Riesenandrang des Publikums auf die Reporterausrüstung wahrnahm, ahnte er noch nicht, dass er der erste Kommentator sein wird, der sie auch ausprobieren wird. Die seinem Debüt vorangegangene Situation schilderte er so:

Josef Bican  (Foto: Slavia Praha)
"Am Arbeitsplatz des Rundfunkreporters begann man unruhig und nervös zu werden. Der Grund? Kurz vor Spielbeginn war der Sprecher, der versprochen hatte, mindestens eine halbe Stunde vor dem Anpfiff da zu sein, immer noch nicht eingetroffen. Das Vorspiel war beendet, die Zuschauer schnauften nochmals durch, der Veranstalter bereitete das Auflaufen der Mannschaften zum Hauptspiel vor, doch der Platz vor dem Mikrofon blieb unbesetzt."

Der Rundfunkdirektor schaute sich in allen Büros des Prager Clubs nach einem Ersatzmann um. Doch überall erhielt er eine Absage, und auch die anwesenden Zeitungsjournalisten winkten ab. Daher wurde Josef Laufer, der auch nicht wollte, kurzerhand vor das Mikrofon gezerrt, obwohl das Spiel schon begonnen hatte:

"Achtung, jetzt! Ich habe tief durchgeatmet, vor mir auf das Spielfeld geschaut und dann losgelegt: ´Hallo, hier meldet sich Redakteur Laufer vom Slavia-Platz auf dem Letna-Hügel, wo vor einigen Augenblicken die internationale Begegnung zwischen Slavia und Hungaria Budapest begonnen hat´..."

Nach Bekanntgabe der Mannschaftsaufstellungen konnte Laufer kaum Luft holen, sondern musste andauernd sprechen. Die erste Verschnaufpause hatte er nach dem Abpfiff der ersten Halbzeit. Aber dann überraschte ihn der Rundfunkdirektor mit seiner Entscheidung:

"Der Herr Direktor schaltete das Mikrofon ab und eröffnete mir, was ich noch zu sagen habe: ´Beenden Sie das, verabschieden Sie sich von den Hörern, die Fußballübertragung ist beendet´. Ich habe ihn verzweifelt angesehen und wollte ihm erklären, dass ein Fußballspiel zwei Halbzeiten hat. Aber er blieb hart, und als ich ihm seinen Wunsch erfüllt und die Übertragung beendet hatte, sagte er mir: ´Wir danken Ihnen, Herr Redakteur. Es hätte auch noch schlimmer ausgehen können, aber jetzt werden wir lieber wieder etwas Musik spielen."

Nach dieser quasi Halb-Premiere der Rundfunkübertragung eines Fußballspiels dauerte es aber nur einige Monate, bis diese Direktübertragungen zum Standard wurden. Und schon im Jahr 1927 war es kein anderer als der Tschechoslowakische Rundfunk, der die erste Auslandsreportage überhaupt in den Äther schickte.