Wie lebt man in einem gottvergessenen tschechischen Ort?

Laut Statistikangaben gibt es in Tschechien insgesamt etwa 6 300 "Menschensiedlungen", sprich Städte und Dörfer. Davon weisen nur 22 mehr als 50 Tausend Einwohner aus, wohingegen in 3 700 Orten die Bevölkerungszahl nicht 500 übersteigt. Nur wenige Länder in Europa haben eine dermaßen zergliederte Besiedlungsstruktur wie es in Tschechien der Fall ist. Eben diesen Teil der sogenannten Provinz nimmt jetzt Jitka Mladkova unter die Lupe, um am Beispiel eines kleinen Ortes ihr Verhältnis zum eigenen Ambiente bzw. zur Stadt als solcher zu beleuchten:

"Sozialistisch arbeiten, sozialistisch leben" war eine der notorisch bekannten Losungen der kommunistischen Machthaber in der Ex-Tschechoslowakei. Diese Worte hatte man jahrzehntelang nicht nur in großen Lettern landesweit ausgeschildert, sondern auch hartnäckig in die Praxis umgesetzt. Die Folgen ließen auf dem Lande nicht lange auf sich warten und manifestieren sich mehr als deutlich bis heute. Vor allem durch Zerstörung der traditionellen Dorfstrukturen, durch schwindende Beziehung zu Grund und Boden, ja durch Verlust der Identität und Landzugehörigkeit, und - last but not least - durch die Landflucht Das Fazit: durch den Bevölkerungsschwund verändert sich das traditionelle Bild der ländlichen Provinz, besonders in den abseits des städtischen Angebots gelegenen Gemeinden. Kostelni Myslova ist so ein quasi gottvergessener Ort am Rande der Böhmisch-Mährischen Höhe. Derzeit leben hier etwa 60 Einwohner. Die Zahl der bewohnten Häuser nähert sich einem Drittel - der Rest steht leer, weiter eine kleine Kirche, seit mehreren Jahren keine Schule mehr, kein Geschäft, von einer Apotheke oder einem Kino ganz zu schweigen. Zdenka Noskova, 28 Jahre alt, Mutter zweier Kinder kam nach Kostelni Myslova aus einer Stadt:

"Ich habe mit 20 geheiratet, als ich noch keine tief verwurzelten Vorstellungen über das Leben hatte. Mein Mann wurde hier geboren und ist mit dem Dorf innigst verbunden. Obwohl ich so jung war, wusste ich, dass ich ihn nicht verändern kann. Und so sagte ich mir: Wenn ich ihn geheiratet habe, so bleibe ich auch hier mit ihm und will nicht das ganze Leben lang sauer sein. So habe auch ich das Dorf lieb gewonnen."

Dass es mit den Arbeitsmöglichkeiten schlecht bestellt ist, bestreitet Zdenka Noskova nicht, behauptet aber, dass man Arbeit finden kann, wenn man tatsächlich will, und fügt hinzu:

"Es geht aber eher um mehr kleinere Arbeitsgelegenheiten als, wie üblich, um einen ständigen Job. So ist es z.B. in meiner Familie: Mein Mann arbeitet in einer meteorologischen Station, verdient aber etwas dazu auch als Imker. Ich arbeite in einer Bürgerinitiative. Wir haben verschiedene Aktivitäten, was für die Organisation des Familienlebens etwas anspruchsvoll ist. Es macht uns aber Spaß hier auf dem Dorf."

Die Stadt als Lebensraum findet Zdenka Noskova heute als stressig. Für alte Menschen mit erschwerter Mobilität sei das Leben in dieser Weltabgeschiedenheit nicht leicht, gesteht sie. Den ausgedehnten ländlichen Raum sieht sie aber als großen Vorteil für die Freizeitgestaltung der Kinder. Dank der gut funktionierenden nachbarschaftlichen Kooperation müssen die Kinder auch auf das Ausbildungs- und Kulturangebot der nahe gelegenen Stadt Telc nicht verzichten. Sie und ihr Mann hingegen wollen in dieser Hinsicht die begrenzten Möglichkeiten in Kauf nehmen:

"Wir versuchen, wenn es geht, der Kultur wenigstens in unserer Reichweite nachzukommen. Aber der Zustand meines Herzens ist nicht so, dass ich danach trauern müsste, was wir hier nicht haben."