Wird das Handelsdefizit wieder zum Problem?
Die Statistiker haben der Wirtschaftsöffentlichekeit Ende Januar eine unliebsame Überraschung bereitet. Denn die Zahlen des Aussenhandelssaldos fielen unerwartet negativ aus, in anderen Worten - das Aussenhandelsdefizit ist deutlich höher als erwartet. Man erinnert sich: 1996 und 97 hatte Tschechien schon einmal Probleme mit dem Handelsdefizit, und diese mündeten letztlich in eine Währungskrise, die zwei schmerzhafte Sparpakete nötig machte und eine dreijährige Rezession nach sich zogen. Ob Tschechien auch jetzt wieder ein solches Szenario droht, ist Gegenstand der folgenden Minuten, zu denen wir guten Empfang wünschen.
Die Tschechische Republik hat im Jahr 2000 laut den Angaben der Handelsstatistik Waren im Wert von 1120.4 Milliarden Kronen exportiert, hingegen Güter für 1247.2 Milliarden Kronen eingeführt, was einen Negativsaldo von knapp 127 Milliarden Kronen ergibt. Das ist fast doppelt so viel wie noch 1999, als das Defizit 64.4 Milliarden ausmachte, und nach Fehlbeträgen von 158 Milliarden im Jahr 1996 sowie 140 Milliarden 1997 der dritthöchste Minusbetrag seit der Wende.
Bei den Ausfuhren machten mit 44.4 % Maschinen und Verkehrsmittel den grössten Teil aus, gefolgt von Rohstoffen, Halbfertigprodukten und chemischen Erzeugnissen mit 39.2%, industriellen Konsumgütern mit 12.6% sowie Produkten der Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie mit 3.8%. Bei den Einfuhren stellte die Gruppe der Rohstoffe, Halbfertigprodukte und chemischen Erzeugnissen mit 44.7% den bedeutendsten Sektor, Erzeugnisse der Maschinenindustrie machten 40.2% aus, industrielle Konsumgüter 10.3% sowie Produkte der Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie 4.8%.
Der Sprecher des Finanzministeriums, Libor Vacek, kommentierte die statistischen Angaben zur Aussenhandelsbilanz mit den Worten, zu Beunruhigung bestehe kein Anlass. Das Defizit habe das erträgliche Mass noch nicht überschritten, und die Einfuhren würden von Maschinenerzeugnissen gezogen, was mit dem Zufluss ausländischer Investitionen in die Tschechische Republik zusammenhänge. Deshalb sei es nicht nötig, besondere Massnahmen wie Importzuschläge oder Zinserhöhungen in Betracht zu ziehen.
Im Zusammenhang mit Vaceks Bewertung ist ein kleiner Rückblick angebracht. 1996 und 1997 hatten die hohen Handelsdefizite dazu beigetragen, dass die tschechische Wirtschaft auf die schiefe Bahn geriet. Wie bekannt mussten im Frühling 1997 mit zwei einschneidenden Sparpaketen schmerzhafte Korrekturen vorgenommen werden, um die entstandene Währungskrise nicht ausufern zu lassen. Droht ein solches Szenario auch jetzt wieder? Nein, meinen neben Vacek auch andere Fachleute, wenigstens nicht in den nächsten Monaten. Sie argumentieren, dass nicht nur die Höhe des Defizits wichtig sei, sondern auch die Art und Weise, wie es zustande gekommen ist.
Und hier gibt es markante Unterschiede zur Krise von 1997 Das letztjährige Handelsdefizit erreichte seine Höhe vor allem deshalb, weil sich der Ölpreis wesentlich erhöhte und Tschechien bei diesem Energieträger praktisch ausschliesslich von Importen abhängig ist. Ferner machten Investitionsgüter, also Maschinen und Technologie, einen bedeutenden Teil der Einfuhren aus, und nur zu einem kleineren Teil Konsumgüter. Deshalb meinte beispielsweise ein Analytiker gegenüber dem Fernsehen, es sei nicht so, dass das Defizit gewissermassen verkonsumiert worden sei. Vielmehr würden die importierten technologischen Einrichtungen dazu beitragen, die Konkurrenzfähigkeit der tschechischen Exportindustrie zu verbessern, was sich mittelfristig in einer Exportsteigerung niederschlagen könne.
Der Nationalbank-Vizegouverneur Ludek Niedermayer fügte hinzu, dass das Defizit vollumfänglich durch ausländischen Kapitalzufluss gedeckt und der Kurs der Krone damit stabil sei. l Ob Grund zur Beunruhigung besteht, wird sich laut der Fachwelt in ein paar Monaten zeigen. Gewisse Anzeichen sind dabei vorhanden. Die Wirtschaftszeitung Hospodarske noviny zitierte den Analytiker David Marek von Finanzhaus Patria Finance, der darauf hinwies, dass das Defizit für den Dezember 2000 24 Milliarden Kronen betragen habe und damit der höchste Monatswert überhaupt registriert worden sei. Josef Kovalovsky von der Grossbank CSOB meinte, wenn dieser Trend anhalten sollte, könne die Handelsbilanz bald wieder zum Hauptproblem der tschechischen Wirtschaft werden. Vorläufig rechnet die Fachwelt aber damit, dass der Minusbetrag heuer nicht höher ausfallen sollte als im vergangenen Jahr.
Pavel Sobisek, Finanzanalytiker bei der Bank Austria Creditanstalt, schrieb in einem Zeitungsartikel, eine Prognose für 2001 sei schwer zu stellen. Er wies darauf hin, dass allein die Preiserhöhungen von Erdöl und Erdgas, wiewohl teilweise kompensiert durch Ausfuhren raffinierter Produkte der petrochemischen Industrie, das Jahresdefizit des Aussenhandels um 51 Milliarden, also 82 % des Zuwachses, vergrössert hätten. Eine Rolle habe ferner das Anziehen des Dollars gegenüber der Krone gespielt. In diesem Jahr könne nach einem optimistischen Szenario das Nachlassen der Energiepreise zusammen mit der Verbesserung der tschechischen Exportleistung das Aussenhandelsdefizit wieder in die Gegend von 105 Milliarden Kronen drücken.
Negative Szenarien würden hingegen von einem weiteren Ansteigen auf rund 14 Milliarden sprechen. Seiner Ansicht nach sei aber zu erwarten, dass sich positive und negative Faktoren etwa aufwiegen würden und demnach ein Defizit in ähnlicher Höhe wie 2000 zu erwarten sei. Nur ein deutlicher Rückgang der Öl- und Gaspreise könne eine Veränderung nach unten bewirken.
Alarmstimmung herrschte auch beim wirtschaftlichen Fachblatt Hospodarske noviny nicht. Dort schrieb die Kommentatorin Zdena Balcerova, dass die deutlich unterschiedliche Struktur der Importe gegenüber 1997 eine Wiederholung der damaligen Krise nicht wahrscheinlich erscheinen lasse. Denn der Druck auf die Importe sei nicht wie damals vom Konsum ausgegangen, sondern von den Investitionen. Dies sei nicht zuletzt auch eine Folge dessen, dass die tschechische Exportindustrie in hohem Masse von Zulileferungen aus dem Import angewiesen sei. Ferner verwies auch Balcerova auf die Rolle, die die Erhöhung von Öl- und Gaspreisen gespielt hatte, und schrieb dazu, Zitat:
"Wenn wir also vom Umstand ausgehen müssen, dass wir von Rohstoffimporten, namentlich Öl, weiterhin abhängig sein werden, weil wir sie für den Verkehr, aber auch die chemische Industrie benötigen, dann führt der einzige Weg zu einer Verbesserung der Handelsbilanz über höheres Interesse für unsere Exporterzeugnisse. Neben der Qualität, die eine Grundvoraussetzung dafür ist, gehört dazu auch gutes Marketing, das darin besteht, das anzubieten, was in der Welt nachgefragt wird. Was für einen Weg eine Wirtschaft gehen soll, die nicht auf ausreichende eigene Rohstoffe abstellen kann, zeigten der Welt die Japaner in den siebziger und achtziger Jahren. Sie konzentrierten sich auf die entstehenden neuen Technologien, und zwar nicht nur in der Elektronik, sondern auch etwa im Automobilbau. Damit überraschten sie die ganze Welt, und vor allem auch die USA. Auch wenn ihr Ruhm heute wieder etwas am abnehmen ist, so zeigten sie doch den Weg auf, den Länder gehen können, um die es mit Rohstoffen ähnlich bestellt ist. Nämlich den Weg der maximalen Wertsteigrung, höchster Qualität und Progressivität der Produkte."