100. Geburtstag von Julius Fucik

Julius Fucik

Julius Fucik ­ vielleicht haben Sie diesen Namen schon einmal gehört. So heisst einer der bekanntesten tschechischen Komponisten für Blas- und Marschmusik. Bestimmt kennen Sie einige seiner Märsche, die Sie auch in der heutigen Sendung hören werden. Doch nicht über diesen Julius Fucik soll im heutigen Geschichtskapitel die Rede sein, sondern über seinen Neffen, der ebenfalls Julius Fucik hiess und eine der Ikonen des kommunistischen Regimes war. Warum, nun das erfahren Sie gleich.

Der am 23. Februar 1903 geborene Julius Fucik war in den 1920er und 1930er Jahren Journalist kommunistischer Tageszeitungen. Als überzeugter Kommunist organisierte Fucik Arbeiterunruhen und Streiks in den böhmischen Industriegebieten. 1934 und 1935 erfüllte sich ein Traum: anderthalb Jahre lang berichtete Fucik aus Moskau für das Parteiorgan Rude Pravo. Doch berühmt und unsterblich ist Fucik durch ein einziges Werk geworden, dessen Erscheinen er nicht mehr erlebt hat.

"Reportage unter dem Strang geschrieben" ­ so lautet der Titel seines bekanntesten Werkes. In der Tat verfasste Fucik diesen Text von April bis Juni 1943 unter dem Strang, denn er war im Gestapo-Gefängnis in Prag inhaftiert und wartete auf seine Hinrichtung. Ein Wärter versorgte ihn heimlich mit Papier und Stiften und schmuggelte die Texte aus dem Gefängnis. Nach dem Krieg erschienen die 167 Seiten als "Reportage unter dem Strang geschrieben" und wurden zum Beststeller.

"Das "Kino" im Petschek-Palast war wahrlich nichts Erfreuliches. Es war das Vorzimmer einer Folterkammer, aus der man das Stöhnen und die Schreckensschreie der anderen hörte, ohne zu wissen, was einem selbst bevorstand. Man sah von hier gesunde, starke und muntere Menschen weggehen und nach zwei, drei Stunden Verhör verkrüppelt und gebrochen zurückkehren. Man sah hier Menschen, die mit hellem und offenem Blick weggingen, einen aber nicht mehr in die Augen sehen konnten, wenn sie zurückkamen."

Nach der Okkupation der Böhmischen Länder im März 1939 beteiligte sich Fucik mit seiner Frau Gusta am Widerstand. Fucik wurde Mitglied der illegalen Leitung der verbotenen Kommunistischen Partei. In einer 1958 ausgestrahlten Rundfunksendung erinnerte sich Jozka Baxova an ihre erste Begegnung mit Julius Fucik. Im September 1940 hatte die Kommunistin dem verfolgten Fucik für ein halbes Jahr Unterschlupf in ihrer Wohnung gewährt:

"Am Abend klingelte es und Julius Fucik stand vor der Tür. Er sah anders aus, als ich erwartet hatte. Er war von kräftiger, fast athletischer Figur, hatte dicke Augenbrauen und einen drei Zentimeter langen Bart, auch seine Haare sahen etwas wild aus. Er erinnerte mich in seiner Erscheinung an Rasputin."

Fucik wurde gemeinsam mit weiteren führenden Mitgliedern des kommunistischen Widerstands im April 1942 verhaftet. Ihrer Inhaftierung folgte eine Verhaftungswelle, die den kommunistischen Widerstand für lange Zeit völlig lahm legte.

"Das Grausame und Fieberhafte war Wirklichkeit gewesen. Nämlich in der Nacht meiner Verhaftung und des ersten Verhörs. Vielleicht dreimal, vielleicht zehnmal hatten sie mich hierher gebracht, wenn sie sich ausruhen wollten oder einen anderen in die Mangel nahmen. Ich war barfuss gewesen, und die Bodenfliesen hatten angenehm die zerschundenen Fusssohlen gekühlt, daran erinnerte ich mich."

Im April 1943, ein knappes Jahr nach seiner Verhaftung, begann Fucik im Gefängnis zu schreiben. Am 9. Juni 1943 beendete er seine Arbeit. Am 8. September 1943 wurde Fucik in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Der Gefängniswärter, der ihm Papier und Stifte beschaffte, schmuggelte die beschriebenen Seiten aus dem Gefängnis und bewahrte sie bis Kriegsende auf. Fuciks Frau Gusta, die während des Kriegs im Konzentrationslager interniert war, erfuhr erst nach Kriegsende vom Tod ihres Gatten. In einer Rundfunksendung in den 50er Jahren schilderte sie, wie sie von der Reportage ihres Mannes erfahren hat.

"Fucik erzählte von einem gewissen Wärter Kolinsky, sagte mir Ingenieur Kazda, dem habe er seine Bemerkungen überreicht, die er heimlich geschrieben hatte. Dabei handelte es sich um Fuciks politische Ansichten und Anmerkungen, die die Zustände im Gefängnis betrafen, die aber auch so etwas wie ein Vermächtnis an die Partei waren. Kolinsky ­ ich begann diesen Mann zu suchen. Eines Tages stellte sich mir in der Redaktion des Rude Pravo ein mir unbekannter Mann vor ­ Kolinsky. Wie sehr ich diesen Mann doch gesucht hatte ­ und er mich. Er überreichte mir einige Blatt beschriebenen Papiers ­ ich erkannte die Schrift von Julius. Meine Hände zitterten, ich konnte nicht lesen. Zufällig entdeckte ich die Seitenzahl 136 ­ Wo sind die anderen Blätter, fragte ich. Die muss ich wieder auftreiben, einiges ist in Jihlava, einiges in Humpolec, erklärte Kolinsky."

Eine Woche später hielt Gusta Fucik alle 167 Blätter in der Hand. Kurz darauf erschien die erste Ausgabe der "Reportage unter dem Strang geschrieben". Das Buch sollte das meistgelesene ­ und übersetzte tschechische Buch des 20. Jahrhunderts werden ­ in der Tschechoslowakei erschienen zwischen 1945 und 1989 insgesamt 38 Auflagen, übersetzt wurde es in mehr als 80 Sprachen.

"In der "400" konnte man sich hinter keinem Wort verstecken. Hier wurde nicht gewogen, was man sagte, sondern was in einem stak. Und hier verblieb nur das Wesentliche. Alles Beiwerk, das, was die Grundzüge eines Charakters mässigte, abschwächte oder stilisierte, fiel ab, fortgerissen vom Wirbel vor dem Tode. Es blieben Satzgegenstand und Satzaussage: der Treue widersteht, der Verräter verrät, der Spiessbürger verzweifelt, der Held kämpft."

Bereits kurz nach Kriegsende begann die ideologische Ausbeutung von Fuciks Reportage. Im März 1946 erklärte der damalige Vorsitzende der Kommunistischen Partei, Rudolf Stransky das Buch zur Pflichtlektüre:

"Lest nur das Buch von Julius Fucik, seine Reportage. In der schildert Fucik, wie er gefoltert wird, wie er immer wieder geschlagen wird, wie er misshandelt wird, wie sein Leben an einem Faden hängt. Und in jenen Augenblicken denkt er an den Ersten Mai in Moskau und wird sich bewusst, dass er nicht allein ist, dass er mit Millionen anderen das letzte Gefecht austrägt. Und diese Erkenntnis hat ihm die Kraft gegeben, auszuhalten."

Der ideologische Held war geboren. Doch nicht alles, was Fucik im Gefängnis geschrieben hatte, passte in das Bild des neuen, perfekten Helden, der nichts verraten hatte und als Märtyrer für eine bessere, kommunistische Zukunft gestorben war. Bereits in der ersten Ausgabe im Herbst 1945 fehlten deshalb einige Sätze, waren Passagen abgeändert. Fuciks Hauptaufgabe war es im Grunde genommen, die Kommunisten als Haupt- und im Grunde genommen einzige Vertreter des Widerstands zu präsentieren. Nach Julius Fucik wurden Strassen, Schulen, Parkanlagen benannt. Seine Reportage wurde zur Pflichtlektüre aller Schüler. Die Rolle, die Fucik während des Krieges gespielt hatte, wurde verherrlicht und übertrieben. In einer 1958 ausgestrahlten Rundfunksendung beschrieb seine damalige Mitkämpferin Jozka Baxova die Wirkung Fuciks auf andere wie folgt:

"Alle taten ihre Arbeit, auch wenn diese gefährlich war und der Tod drohte. Sie taten sie auch deshalb, weil Jula Fucik hier war. Er zeigte ihnen, dass die Arbeit richtig war, dass es keinen anderen Weg gibt. Er war bei allen beliebt und wurde von allen bewundert."

Doch die Zwangslektüre der Reportage und die grenzenlose Verherrlichung des kommunistischen Helden führten auch zu Gegenreaktionen. Immer wieder kamen Gerüchte auf, dass Fucik die Reportage gar nicht selber verfasst habe, sondern führende Kommunisten nach dem Krieg, oder dass Fucik mit der Gestapo zusammen gearbeitet habe. Kritisiert wurde die Rolle, die Fucik bei seiner Verhaftung gespielt hatte. Einer Zeugenaussage zufolge war es gerade Fucik, der sich in dieser Situation falsch verhalten, nicht von seiner Schusswaffe Gebrauch gemacht, sondern sich brav ergeben hatte. Nach der Samtenen Revolution von 1989 konnte man diese Gerüchte endlich untersuchen. Bereits 1990 kam die Kriminal-Abteilung des Innenministeriums, die die Handschriften analysierte und chemisch überprüfte, zu dem Schluss, dass alle 167 Blätter wirklich von Julius Fucik allein verfasst worden sind. Die Rolle Fuciks bei der Verhaftung bleibt weiter unklar, doch es scheint, dass er sich in der Tat nicht sehr heldenhaft verhalten hat.

Erst 1995 erschien die erste kritische Gesamtausgabe von Fuciks Reportage. Erstmals konnten die tschechischen Leser erfahren, dass der Held aus kommunistischen Tagen, kein Held ohne Fehler war. Gegen Ende seiner Reportage gab Fucik zu, geredet zu haben:

"Ich habe verstanden, dass ich auch hier eine Gelegenheit zum kämpfen habe. Weiteres Schweigen hätte bedeutet, diese Gelegenheit nicht zu nutzen. Es war nötig, ein gefährliches Spiel zu beginnen. Nicht um mich, aber um anderer willen. Ich habe also "geredet". Was, das werdet ihr aus den Protokollen erfahren. Die Ergebnisse waren besser, als ich gehofft hatte. Ich habe ihre Aufmerksamkeit in eine völlig andere Richtung gelenkt. Dass ich dadurch meinen Tod herausgezögert habe, dass ich Zeit gewann, die mir vielleicht helfen konnte, war eine Belohnung, mit der ich nicht gerechnet hatte. Ein Jahr habe ich mit ihnen ein Theaterstück verfasst, in dem mir die Hauptrolle zukam. Manchmal war es unterhaltsam, manchmal erschöpfend, immer dramatisch."

Fucik hatte den Folterungen der Gestapo nicht standgehalten und geredet. Die letzten drei Seiten seiner Reportage, in denen er zugab, geredet zu haben, erschienen erstmals nach der Samtenen Revolution. Sie hatten nicht dem Bild des kommunistischen Märtyrers entsprochen. Die erwähnten Protokolle sind bisher noch nicht ausgearbeitet bzw. gefunden worden. Historiker gehen davon aus, dass Fucik weder mit der Gestapo zusammengearbeitet noch wichtige Informationen, die zur Verhaftung anderer geführt hätten, verraten hat.

Auch weitere Passagen waren jahrzehntelang zensiert worden, einige von ihnen betrafen Fuciks Verhältnis zu den Sudetendeutschen. In einer Passage, in der Fucik seine Verhaftung Anfang der 30er Jahre schildert, führte er als Grund an:

"Ich verbrachte einige Zeit im Gefängnis in Prag Pankraz, weil ich das Recht der Sudetendeutschen auf Selbstbestimmung zu eindringlich verteidigt hatte und die Folgen der Minderheiten-Politik der tschechischen bürgerlichen Politiker für das tschechische Volk zu klar erkannte."

In der Atmosphäre des Kriegsendes, während die Vertreibung der sudetendeutschen Minderheit aus der Tschechoslowakei vonstatten ging, konnte ein kommunistischer Held sich einfach nicht für die Rechte der Sudetendeutschen einsetzen. Diese und weitere die Deutschen betreffende Passagen waren in keiner zwischen 1945 und 1989 erschienenen Ausgaben zu lesen.

In seiner Heimat versinkt Julius Fucik langsam in Vergessenheit. Vielleicht zu unrecht, denn seine Reportage aus dem Gestapo-Gefängnis ist wirklich lesenswert. Doch zu lange war diese als propagandistisches Werk missbraucht und nicht als historische Zeugenaussage gelesen worden. In den über 40 Jahre lang zensierten Schlusspassagen, in denen Fucik zugibt, geredet zu haben, nimmt der glorifizierte Held nun menschliche Gestalt an. Der Ruf nach einer Neubewertung Fuciks wurde laut, junge Historiker wurden aufgerufen, den Mythos Fucik zu untersuchen.