15 Jahre Demokratie - der Feiertag in den Medien

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Am vergangenen Mittwoch wurde in Tschechien der fünfzehnte Jahrestag des Beginns des friedlichen Umsturzes begangen. Da an offiziellen Feierlichkeiten gewöhnlich nur eine Auswahl von Menschen teilnehmen kann, spielen die Medien hier eine besondere Rolle. Unsere heutige Ausgabe der Sendereihe "Im Spiegel der Medien" hat Oliver Engelhardt vorbereitet und dem Nationalfeiertag gewidmet.

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Nicht nur die Berichterstattung von den Feierlichkeiten, sondern auch das Gedenken selbst nahm in den tschechischen Medien einen großen Raum ein. Dem Beginn der samtenen Revolution vor 15 Jahren widmeten beide Kammern des Parlaments eigene Feierstunden. Der Skandal dabei: bei den Feiern im Abgeordnetenhaus sprach auch der Chef der kommunistischen Partei Böhmens und Mährens KSCM, Miroslav Grebenicek. Die auflagenstarke Tageszeitung Mladá fronta DNES kommentiert dies am Tag danach unter anderem so:

"Im Gegensatz zur Zeit des Totalitarismus genießt Freiheit und Demokratie jetzt auch der Poststalinist Grebenicek. Niemand verfolgt ihn wegen seiner unsinnigen Ansichten. Aber er hat einst die Verfolgung befürwortet. Heute ergibt es wirklich keinen Sinn mehr die kommunistische Partei zu verbieten (das hätte man gleich nach dem November 1989 machen sollen). Aber der Auftritt von Grebenicek bei den Feierlichkeiten zum 15. Jahrestag der Revolution war einer der peinlichsten Momente der letzten Jahre. Er ist eine Lehre für das nächste Mal: Feiern ja, aber ohne die Kommunisten."

Miroslav Grebenicek im Parlament  (Foto: CTK)
Auch für die Wochenzeitung RESPEKT war die gesellschaftliche Position der Kommunisten in der heutigen Tschechischen Republik ein Thema. Der Kommentator Erik Tabery zieht Bilanz:

"Es gilt immer noch, dass wir in einem glücklichen Moment der Geschichte leben. Wir sind nicht direkt von Krieg bedroht, wie es die Erste Tschechoslowakische Republik nach 15 Jahren ihrer Existenz war. Tschechien ist in beiden lebenswichtigen Organisationen, dem Nordatlantischen Bündnis und der Europäischen Union. Der Durchschnittshaushalt lebt im Vergleich mit der Welt und mit der eigenen Geschichte auf einem sehr ordentlichen Niveau. In die angenehme Feierstimmung mischt sich jedoch alljährlich, und dieses Jahr besonders, ein grundsätzlich störender Ton. Der Kommunismus ist vorbei, aber die Kommunisten sind nicht verschwunden und es scheint, dass ihre Kraft ständig stärker wird. Sie sind nicht ausgestorben und auch die Isolation hat sie nicht zur Selbstreflexion und Änderung gezwungen, wie manche gehofft hatten. [...] Die Gruppe der Wähler der kommunistischen Partei KSCM werden gewöhnlich als Proteststimmen bezeichnet. Eine tiefere soziologische Meinungs- und Gefühlsforschung wurde zwar nicht durchgeführt, wir werden aber kaum falsch liegen, wenn wir annehmen, dass diese Wähler mit den 20 Prozent der Bürger identisch sind, die nach der Untersuchung der Agentur Median meinen, dass das Leben im Totalitarismus besser war als die gegenwärtige Freiheit. Immer öfter erklingen also Stimmen, dass 15 Jahre luxuriöse Isolation genug war und dass man den Umgang mit der KSCM dringend ändern muss."

Natürlich melden sich anlässlich eines Feiertages von derartiger Bedeutung für die Identität der heutigen tschechischen Gesellschaft viele Persönlichkeiten über die Medien selbst zu Wort. In der linksgerichteten Tageszeitung Právo erschien ein Meinungsartikel des Kommunisten Miroslav Grebenícek selbst, aber auch ein Kommentar von Senatspräsident Petr Pithart. Dieser befasst sich u.a. mit dem Rechtssystem am Übergang zur Demokratie:

"Der Vorwurf, dass wir uns für eine Rechtskontinuität entschieden haben, wo wir uns für 'Diskontinuität' hätten einsetzen sollen, ist Unsinn. Wir haben nie über so etwas verhandelt, auch deswegen, weil es gegenwärtig eine solche Alternative in der Welt nicht gibt. Niemand konnte mir bislang erklären, wie eine Diskontinuitätserklärung aussehen sollte und welche Folgen sie hätte. Es ist eine ähnlich unsinnige Frage, wie die der enttäuschten Menschen, die um jeden Preis suchen, wer und wie das alles verdorben und verschuldet hat. Und außerdem hat man in den östlichen Ländern der Bundesrepublik Deutschland über Nacht ein komplettes Rechtssystem übernommen und ich habe nicht das Gefühl, dass es dort besser geklappt hat."

Im zweiten Programm des Tschechischen Rundfunks war am Montag in der Sendung "Gast im Haus" ein langes Interview mit Staatspräsident Václav Klaus zu hören. Inhalt des Gesprächs war hier in erster Linie ein Rückblick auf die bisherige 15-jährige Entwicklung in der Tschechischen Republik.

Vaclav Klaus  (Foto: CTK)
"Ich glaube, es ist ein unglaublicher, enormer Wandel, etwas wovon wir Jahrzehnte lang geträumt haben. Das hat sich erfüllt. [...] Wenn ich mir diese fünfzehn Jahre anschaue, waren sie natürlich nicht gleich. Natürlich waren die Anfangsmomente die radikal revolutionären. Das heißt, in dieser ersten Phase wurde am meisten erreicht, am meisten entschieden oder mitentschieden. Dinge, die weitgehende Konsequenzen für das Leben von Millionen Menschen um uns hatten. Das waren die radikalen Veränderungen. Seit dieser Zeit leben wir doch in einer normalen Welt und wenn sich etwas verändert, verbessert oder verschlechtert, dann sind das Kleinigkeiten. Das sind die Prozentverschiebungen nach links oder rechts, aber die radikalen Änderungen ereigneten sich in den ersten zwei, drei Jahren."

Am Vortag des Jahrestages trat einer der wichtigsten Akteure der friedlichen Revolution, der erste Präsident der neuen demokratischen Republik, Václav Havel mit einem Artikel in der Wirtschaftszeitung Hospodarske noviny an die Öffentlichkeit. Auch er widmet sich beim Rückblick vor allem den heutigen Verhältnissen und er soll das Schlusswort in unserem Medienüberblick haben:

"Wir leben in einer demokratischen Gesellschaft, aber viele Menschen glauben wieder, dass über ihre Belange anderswo entschieden wird. Nicht nur in Tschechien haben die Menschen den Glauben verloren, dass sie den Gang der Politik tatsächlich beeinflussen können oder sogar Einfluss auf den Lauf der menschlichen Zivilisation haben können. [...] Als wir in der Dissidentengemeinschaft von einer demokratischen Zukunft träumten, unterlagen wir häufig utopischen Illusionen. Aber wir haben uns nicht geirrt, wenn wir behaupteten, dass der Kommunismus nicht nur eine Sackgasse des westlichen Rationalismus ist. Bürokratisierung, anonyme Manipulationen und Konformität der Massen waren hier zwar zur 'Vollkommenheit' ausgereift, aber eben diese Phänomene bedrohen uns auch heute. Schon damals war uns klar, dass wenn Demokratie auf den bloßen Wettstreit politischer Parteien, die auf alles vorbereitete Antworten haben, reduziert wird, dann kann auch die Demokratie ziemlich undemokratisch sein. Deswegen haben wir Wert gelegt auf eine moralische Dimension der Politik und auf die Bürgergesellschaft als Gegengewicht zu den politischen Parteien und Institutionen der Staatsgewalt. Wir haben auch von einer gerechteren internationalen Ordnung geträumt. [...] Versuchen wir eine globale Bürgergesellschaft aufzubauen und beharren wir darauf, dass Politik nicht nur Machttechnologie ist, sondern eine moralische Dimension hat!"