150 Jahre tschechischer Kunstverein Umělecká beseda
Wenn man hierzulande den Begriff Umělecká beseda nennt, haben viele Tschechen nur eine nebelhafte Vorstellung, worum es sich handelt. Das Wort Beseda bezeichnet im Tschechischen eigentlich eine Besprechung, doch das ist in diesem Fall nicht gemeint. Frühere Generationen haben auch im Tanzkurs eine Beseda gelernt, doch darum geht es hier auch nicht. Aber in der tschechischen Geschichte spielt der Begriff eine wichtige Rolle. Vor 150 Jahren wurde die Umělecká beseda gegründet.
„Das gilt vor allem für die ersten 20 Jahre des Kunstvereins, das heißt etwa bis zum Bau des Nationaltheaters in Prag. In dieser Zeit wurde auf heute übliche künstlerische Ansprüche verzichtet. Man legte eher Wert darauf, dass der jeweilige Künstler die rechte patriotische Gesinnung hatte. Obwohl der damals bekannte tschechische Dichter Vítězslav Hálek gesagt hat, Kunst sei keine Politik, war der künstlerische Verein durchaus ein Politikum. Es gab sogar das ungeschriebene Gesetz, einen einheitlichen Kunststil zu pflegen, damit sich der Effekt potenzieren ließ. Es sollte so eine Art Gesamtkunstwerk nach tschechischer Art entstehen. Viele Künstler verordneten sich daher eine Selbstzensur, um nicht vom Hauptstrom abzuweichen. Eine individuelle künstlerische Anschauung stand nicht im Vordergrund. Die nächste Generation, zu der beispielsweise der Komponist Antonín Dvořák und der Bildhauer Josef Václav Myslbek gehörten, sah sich aber solchen Begrenzungen nicht mehr verpflichtet. Diese Generation ließ ihrer Phantasie umso stärker freien Raum“, so Rudolf Matys.
Die Streitigkeiten um die Orientierung des Kunstvereins waren damals sehr heftig und aus heutiger Sicht beinahe komisch. So war bei der Aufführung von Franz Liszts Oratorium in Prag das Programm zweisprachig herausgegeben worden: tschechisch und deutsch. Dies hätte keine Folgen gehabt, wenn das Konzert nicht vom Kunstverein organisiert und von Bedřich Smetana dirigiert worden wäre. Der Dichter Jan Neruda war darüber so wütend, dass er zum Protest den Verein verließ. Einige Jahre später trat er jedoch wieder ein.
Die Bedeutung des Kunstvereins als nationaler Organisation nahm aber nach und nach ab. Es entstanden weitere Vereine, in denen das freie künstlerische Schaffen an erster Stelle stand. Und in der Zwischenkriegszeit wuchs die Avantgarde in der Tschechoslowakei, sie hatte in der Mehrheit nichts mehr mit dem alten Künstlerischen Verein zu tun.
Der Verein besteht aber bis heute. Seit der politischen Wende von 1989 ist die tschechische Gesellschaft stark individualistisch geprägt, und das trifft auch auf die Künstler zu. Der Künstlerische Verein böte daher eine interessante Plattform für Begegnungen, sagt ihr heutiger Obmann Lukáš Matoušek.„Was ich als Musiker sehr toll daran finde, ist die Möglichkeit, bildende Künstler, Literaten oder Schauspieler zu treffen. Jeden Dienstag organisieren wir Konzerte, an denen sich als Gäste regelmäßig auch Künstler dieser Gattungen beteiligen. Sie stellen etwas aus ihrem Werk vor und sagen ein paar Worte dazu. Danach kommt natürlich ein Plauderstündchen, bei dem wir unsere Ansichten zur Kunst austauschen. Ich halte das für eine große Bereicherung und hoffe, dass dies auch die Künstler aus anderen Bereichen so empfinden.“
Die Vertreter des tschechischen Kunstvereins bekennen aber auch, dass insgesamt nicht viele Künstler an solchen Kontakten quer durch die Gattungen interessiert seien. Man sei mehr mit sich selbst beschäftigt, die Tendenz zu gemeinsamen Aktivitäten sinke. Der Grund dafür könnte teilweise noch im kommunistischen Regime liegen, als alle Künstler organisiert sein mussten, glaubt Rudolf Matys. Aber auch weitere Dinge hätten sich über die Jahrzehnte gewandelt:
„Als ich noch ein junger Twen war, hatte ich die Ehre, den Dichter Vladimír Holan zu besuchen. Damals wusste ich nichts von dem Künstlerischen Verein. Holan sagte mir einmal: ‚Wissen Sie, der Verein zeichnete sich durch eine besondere Eigenschaft aus, und zwar durch Toleranz.’ Das heißt, es wurde Wert gelegt auf Sittlichkeit und zwischenmenschliche Beziehungen. Ob Jung oder Alt, ob Anhänger dieses oder jenes künstlerischen Trends, alle respektierten einander. Das hat mich damals beeindruckt: Es gab dort keine Schwächlinge, die andere zur Bestätigung ihrer Weltanschauung brauchten, sondern Persönlichkeiten, die auch eine andere als ihre eigene Sicht akzeptieren konnten. Der Verein war für alle Künstler offen, nur Fundamentalisten blieben von selbst fern.“
Dies traf auch noch auf die Zwischenkriegszeit zu, also die zweite „goldene Ära“ des Vereins. 1926 erwarb die Umělecká Beseda ihren ersten repräsentativen Sitz im Zentrum von Prag, dort fanden Konzerte und Ausstellungen mit internationaler Besetzung statt. Zudem wurden auch Streitgespräche über die Rolle der Kunst in der Gesellschaft organisiert, was in Künstlerkreisen guten Anklang fand. Der Künstlerische Verein war also zwar eine Minderheitsorganisation, zugleich aber prestigeträchtig. Gerade an diese Tradition möchte man heute anknüpfen. Dabei sind hauptsächlich persönliche Kontakte von Bedeutung, sagt Obmann Lukáš Matoušek.„Derzeit nimmt vor allem unsere musikalische Abteilung unter strengen Richtlinien neue Mitglieder auf. 75 Prozent der bestehenden Mitglieder müssen mit der Mitgliedschaft eines neuen Künstlers einverstanden sein. Neben der Professionalität sind für uns die persönlichen Beziehungen wichtig, damit wir dem Menschen vertrauen können. Es sind sogar schon einige relativ bekannte und gute Musiker abgelehnt worden. Wir haben uns einfach menschlich nicht verstanden.“Obwohl sie an Bedeutung verloren hat, ist die Umělecká Beseda immer noch der größte Kunstverein in Tschechien. Ihr 150. Gründungsjubiläum feierte sie mit einer Reihe von Veranstaltungen, unter der Schirmherrschaft der Stadt Prag.