50. Berlinale: Preis für den Regisseur Jan Svankmajer, sonst aber eine klägliche Teilnahme Tschechiens

Die Bären wurden verteilt, die Stars sind verschwunden, die Kinosäle sind wieder leer. Schauen wir aber noch einmal auf die 51. Berlinale zurück. Versuchen wir die Frage zu beantworten, warum die tschechische Teilnahme am Filmfestival seit mehreren Jahren als kläglich bezeichnet werden muss. Bitten wir aber doch auch einen tschechischen Preisträger ans Mikrophon, den Regisseur Jan Svankmajer. Beim Kulturspiegel begrüßt Sie Markéta Maurová.

Ich habe mich über die Berlinale mit der Filmjournalistin Martina Vackova unterhalten, die über das aktuelle Geschehen am Potsdamer Platz während des Festivals regelmäßig für Zeitungsleser in Tschechien berichtete. Zunächst fragte ich Martina Vackova, wie ihr Eindruck war und ob sie sich der häufig vertretenen Ansicht anschließen kann, dass das Festival qualitativer Filme zunehmend einer Starshow, den Parties, einem Übermaß an Kommerzfilmen weicht?

"In den ersten Festivaltagen schien es wirklich so, als ob dort Hollywood oder die amerikanische Produktion vorherrschen würden, aber später, nach dem Wochenende hat es sich ein bisschen zu Gunsten europäischer und asiatischer Filmkünste geändert. Meiner Meinung nach konnte man trotzdem auch im Wettbewerb interessante Filme finden - und nicht nur im Wettbewerb, auch in anderen Sektionen der Berlinale. Wie etwa im Panorama oder im Forum des jungen Films, in dem man wirklich interessante Dokumente und Spielfilme sehen konnte, wie z.B. das Dokument eines ungarischen Regisseurs über verwaiste Kinder im Kosovo, oder den deutschen Film Der schöne Tag. Dies war ein ganz einfacher Film über ganz einfache Leute, die man auf der Straße treffen kann."

Die höchste Auszeichnung ging am letzen Sonntag an den Regisseur Patrice Chéreau, der in seinem Streifen mit einer ungewöhnlichen Offenheit eine Liebesgeschichte schildert:

"Der englische Film des französischen Regisseurs "Intimität" war meiner Meinung nach einer der Festivalfilme, die das Publikum in zwei Lager teilten. Die einen nahmen ihn an und die anderen lehnten ihn scharf ab. Schon aus diesem Grunde konnte man erwarten, dass er die internationale Jury fesselt und einen Preis bekommt. Einige Journalisten waren der Meinung, dass der Film zu grob, zu offen sei. Man fand ihn ein bisschen pornographisch, die erotischen Szenen zu drastisch, und es wurde die Frage gestellt, ob der Zuschauer überhaupt bereit ist, so etwas aufzunehmen. Ich persönlich muss zugeben, dass ich den Film ganz anders verstanden habe, und zwar als einen Film darüber, dass die Leute Liebe brauchen, einen Film über die Einsamkeit der Leute, die Liebe suchen. Ich konnte mich mit der Entscheidung der Jury völlig identifizieren."

Ein in Tschechien diskutiertes Thema ist die Absenz tschechischer Filme im Wettbewerb und auf dem Festival überhaupt. Eigentlich handelt es sich dabei aber um keine Neuigkeit.

"Ein tschechischer Film kam im Wettbewerb zum letzten Mal im Jahre 1990 vor. Die "Lerchen am Faden" von Jiri Menzel brachten damals einen der Hauptpreise mit nach Hause. Seitdem erschienen im Wettbewerb nur Kurzfilme, im letzten Jahr erhielt Pavel Koutecky den silbernen Bären in dieser Kategorie. Sonst wird die tschechische Kinematografie in den Berliner Wettbewerben zu einem Outsider. Im letzten Jahr konnten wir zwar nach einer langen Pause einen tschechischen Beitrag in der Sektion Panorama finden. Dort wurden die Filme "Hanele" von Karel Kachyna und "Der Lebensborn" von Milan Cieslar gezeigt. Man hätte vielleicht meinen können, dass dies ein Wetterleuchten bedeutet, aber in diesem Jahr kam im offiziellen Programm der Berlinale leider wieder kein tschechischer Film vor. Bis auf eine Ausnahme - der fünfminütige Kurzfilm eins Studenten der Prager Filmhochschule, David Dupontel, der allerdings ein Franzose ist."

Und warum ist die Lage so unerfreulich?

"Es gibt wohl mehrere Ursachen. Mittel- und Osteuropa waren ein gutes Territorium für die Berlinale vor dem Fall der Mauer. Damals war das Berliner Filmfestival wirklich eine Brücke zwischen Ost und West. Aber nach dem Fall der Mauer scheinen auch versteckte Metaphern oder Allegorien aus tschechischen und anderen osteuropäischen Filmen verschwunden zu sein und ebenso scheinbar das Interesse für diese Kinematografie.

Eine andere Ursache liegt darin, dass tschechische Filme oft in Koproduktion mit dem Tschechischen Fernsehen gedreht werden. Diesen Filmen wird ein zu starker Fernsehcharakter nachgesagt, sowohl in der Dramaturgie, Kameraführung usw. Diesem Vorwurf bin ich in diesem Jahr auch bei dem einzigen osteuropäischen Film im Wettbewerb, dem polnischen Film "Weiser" begegnet."

Die Berlinale besteht aber nicht nur aus dem Wettbewerb und dem offiziellen Programm, kann man sich beruhigen. Allerdings fehlten die Tschechen auch bei einem weiteren wichtigen Teil des Festivals, der Filmmesse. Im Unterschied zu anderen vergleichbaren Ländern hatte Tschechien keinen Stand auf dem großen Filmmarkt. Wer oder was ist daran schuld? Ist es das erwähnte geringe Interesse der Welt oder die Unfähigkeit der tschechischen Seite, sich in der Welt zu präsentieren?

"Ich glaube beides. Aber mehr die Unfähigkeit sich auf dem Markt durchzusetzen. Eine wichtige Rolle spielt dabei, dass bei uns keine Dachorganisation existiert, die den tschechischen Film als Ganzes unterstützte und propagierte. Ein solches Zentrum gibt es in Polen, in Ungarn, in der Slowakei, in Slowenien. Die ausländischen Festivalmitarbeiter können sich daran wenden und es bietet ihnen eine vollständige Liste aller nationalen Filme. Bei uns fehlt nicht nur dieses Zentrum, sondern es gibt z.B. auch keine Kataloge neuer Filme usw."

Soweit die Filmjournalistin Martina Vackova. Und nun wenden wir uns einem erfreulichen Moment der tschechischen Teilnahme an der Berlinale zu.

Ein Eisen im Feuer hat Tschechien doch gehabt, und zwar im Rahmen des Festivals "Freedom Film Showcase". Dieses wurde vor zwei Jahren in Berlin ins Leben gerufen, um Filme aus Mittel- und Osteuropa zu präsentieren. Der tschechische Regisseur Jan Svankmajer führte dort in diesem Jahr seinen neuesten Streifen "Otesanek" auf und erhielt einen Preis, der den Namen des polnischen Regisseurs Andrej Wajda trägt. Wajda sagte uns zu diesem Preis:


"Er ist eine Initiative der Philip Morris Stiftung, die sich an mich mit der Frage gewandt hat, ob ich der Namensgeber für den Freedom Award sein könnte. Da dieser Preis vor allem an Filmemacher aus Osteuropa adressiert ist, dachte ich, dass es nicht nur meine Aufgabe, sondern auch meine Verpflichtung, und eine durchaus gute Initiative sei. Ich glaube, diese Filme sind in der Welt immer noch zu wenig bekannt und man muss sehr viel tun, um sie noch bekannter zu machen. Die Initiative dieser Stiftung ist sehr wichtig und man muss sie auf diese Weise unterstützen. Letztes Jahr hat diesen Preis die sehr gute ukrainische Regisseurin Kira Muratowa erhalten und in diesem Jahr der hervorragende tschechische Regisseur, Jan Svankmajer, den wir alle lieben."

Auch den Preisträger bat Radio Prag in Berlin ans Mikrophon. Wie Jan Svankmajer erklärte, zählt er seine Auszeichnungen nicht zusammen und ist kein großer Fan dieser Gewohnheit. Aber...:

"Im Allgemeinen bin ich sehr skeptisch gegenüber der Verleihung verschiedener Preise im Bereich der Kunst. Denn ich glaube, dass nur die Zeit berechtigt ist, solche Auszeichnungen zu verleihen. Aber dies ist für mich ein außerordentlicher Preis, denn er ist nicht bloß eine Ehrung von schöpferischer, künstlerischer Tätigkeit. Es hat etwas zu tun mit dem, was viel wesentlicher ist, etwas was über jeder schöpferischer Tätigkeit im Kunstbereich steht und ohne das die schöpferische Tätigkeit nicht auskommen könnte - nämlich mit der Freiheit. Der Preis heißt ja Freiheitspreis."

Das merkwürdige, ein bisschen lustige und ein bisschen gruselige Genre charakterisiert Jan Svankmajer wie folgt:

"Alle meine Filme befinden sich eigentlich innerhalb des Genres der schwarzen Groteske, sie bewegen sich auf der Scheide zwischen Humor und Horror. Und das ist das, was mich interessiert, denn ich glaube, dass diese Lage für die Gesellschaft, für die jetzige Zivilisation charakteristisch ist."

Und wo findet der Regisseur Quellen für seine skurrilen Filme?

"Jeder Autor hat gewisse Obsessionsthemen, von welchen er besessen ist. In den meisten Fällen haben diese Themen ihren Ursprung bereits tief in der Kindheit, denn in der Kindheit sind die Erlebnisse am stärksten. Und das trifft auch für mich zu."

Soweit der diesjährige Träger des Freiheitspreises, Jan Svankmajer. Und nun geben wir noch einmal der Filmjournalistin, Martina Vackova, das Wort. Sie hat bisher sechsmal die Berlinale miterlebt. Wie hat sich für sie das Festival geändert, was hat der Umzug auf den Potsdamer Platz gebracht? - fragte ich sie am Ende unseres Gespräches:

"Es scheint mir, dass dort die mediale Aktivität, die Atmosphäre geballter ist. In den alten Austragungsorten war das mehr verteilt. Wenn man aus dem Pressezentrum ins Kino ging, musste man den ganzen Boulevard passieren. Das war eher die traditionelle Art. Der neue Ort ist dynamischer, lebendiger, wohl so, wie es der heutigen Gestalt Berlins entspricht. Es ist eine große Baustelle, wo alles sehr schnell entsteht und der Potsdamer Platz verändert sich von Jahr zu Jahr."