Am Dienstag erscheint die erste Nummer der Obdachlosenzeitschrift "Stockwerk"

Seit etwa einem Jahr gehören sie zum Prager Alltagsbild: In U-Bahn-Eingängen und auf den Straßen stehen zumeist schlecht gekleidete, ungepflegte Menschen - Frauen und Männer -, die den Passanten für zwanzig Kronen eine Zeitschrift anbieten. Die Hälfte des Ertrages können dann diese Menschen - zumeist Obdachlose - für sich behalten. Nun bekommt dieses Periodikum einen Konkurrenten. Daniela Kralova berichtet.

Die Zeitschrift heißt Patro, auf Deutsch Stockwerk, und ihre erste Nummer erscheint am Dienstag. Der Name symbolisiert ein Haus mit vielen Etagen, jede Ausgabe ist eine höhere Etage, bis das Haus gebaut ist und dessen Bewohner nicht mehr auf der Straße leben müssen. Die Idee ist schön und die Macherinnen und Macher, die sich übrigens aus professionellen Journalisten zusammensetzen, beabsichtigen Gutes. Wieso braucht aber die Hauptstadt ein solches Konkurrenzblatt, wenn es eine derartige Zeitschrift bereits gibt? Das fragten wir den Chefredakteur Jan Kotrc:

"Wir sind nicht entstanden, weil wir eine Konkurrenz zu der ersten Zeitschrift sein wollen, obwohl sich dort natürlich wahrscheinlich eine gewisse Konkurrenz ergeben wird. Unser wichtigstes Ziel ist aber, eine Möglichkeit für Obdachlose und sozial ausgeschlossene Personen zu schaffen, sich wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Wir wollen, dass diese Leute nicht die schwierigen, vor allem amtlichen, Barrieren überwinden müssen - wie zum Beispiel fehlende Dokumente, Schulden bei der Krankenkasse usw. Der Zeitschriftenverkauf soll ihnen helfen. Er ist ein Mittel, wie die Leute während der Lebensphase, die sie auf der Straße verbringen, Geld verdienen können. Dieses Geld soll ihnen dann die Rückkehr in die Gesellschaft erleichtern."

Die gleiche Zielsetzung verfolgt aber auch die erste Zeitschrift. Der größte Unterschied besteht in der Konzeption. Dazu Jan Kotrc:

"Wir würden gerne auf den medialen Markt als gleichwertiger Spieler zu anderen Zeitschriften hinzutreten. Wir möchten Anzeigen verkaufen und mit dieser kommerziellen Tätigkeit soziale Dienstleistungen finanzieren. Auf der inhaltlichen Ebene möchten wir attraktiv für eine breitere Leserschaft werden, das heißt unsere Zielgruppe sind nicht nur junge Akademiker, sondern auch Rentner und ganz einfache Menschen."

Es steht zu befürchten, dass zwischen den Verkäufern beider Periodika eine Konkurrenz entstehen könnte. Vorstellbar ist eine Situation, in der zwei Menschen - jeder mit einer anderen, dennoch ähnlich aussehenden Zeitschrift in der Hand um den attraktiveren Verkaufsplatz oder um die Gunst des Kunden kämpfen. Wie die Macher diesen Konflikt verhindern wollen, sagt uns Jan Kotrc.

"Wir raten den Verkäufern von Anfang an, dass sie beide Zeitschriften gleichzeitig verkaufen. Wir glauben, dass die verschiedene Ausrichtung der Zeitschriften dazu führen kann, dass die Leute mehr verdienen. Wir verhandeln aber auch mit Supermarktketten und Kaufhäusern, und hoffen, dass unsere Verkäufer bald auch dort stehen können. Uns liegt viel daran, dass die Leute untereinander nicht in einen Konflikt geraten. Wenn es zu einem Streit kommt, sind unsere Verkäufer angewiesen in jedem Falle nachzugeben, weil die andere Zeitschrift in Prag zuerst war und wir sie nicht aus der Position verdrängen wollen, die sie sich errungen hat."

Einen einfachen Weg zum Publikum wird die Zeitschrift "Stockwerk" mit Sicherheit nicht haben. Man kann den Machern und vor allem den Verkäufern aber sicher viel Glück wünschen.

Autor: Daniela Kralova
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