Arbeitsplatz Karlsbrücke
In diesem Jahr feiert die Karlsbrücke vermutlich ihren 600. Geburtstag, wurde sie doch Anfang des 15. Jahrhunderts, nach neuesten Erkenntnissen 1402 fertiggestellt. Früher fuhren hier kaiserliche Kutschen, nun schlendert ganz Europa über das 515 Meter lange steinerne Bauwerk. Alle paar Meter sorgen nicht nur die Statuen auf der Brüstung, sondern auch die fliegenden Händler für Abwechslung. In ihrem Sortiment: Schmuck, Keramik und Malereien und Bilder von Prag. Melanie Thun hat sich den Arbeitsplatz Karlsbrücke mal genauer angesehen.
Seine Arbeitszeit: von neun Uhr morgens bis neun Uhr abends. Sein Verdienst: davon abhängig, wie viele Aquarellbilder die Touristen ihm abkaufen. Sein bisheriger Erfolg heute: Noch alle Bilder hängen an dem kleinen Stand. Seit sechs Stunden ist Jasen Jasni auf der Karlsbrücke. Mal steht er, mal sitzt er - mal auf dem mitgebrachten Campinghocker, mal auf der Brüstung der Brücke. Und er wartet - darauf, daß irgendein Tourist ihm doch noch ein Bild abkauft und dem Tag auf der Brücke einen Sinn gibt - finanziell betrachtet. Doch Jasen Jasni ist Optimist:
"Das ist normal, man bekommt einen guten Teint hier, trifft viele Leute aus aller Welt, und macht außerdem viele Interviews mit dem japanischen Fernsehen, dem niederländischen Fernsehen, dem amerikanischen Fernsehen und auch einigen Radiosendern."
Der Medienprofi Jasen studiert eigentlich Urheberrecht an der Universität in Prag, doch seit drei Jahren nennt er sich an drei bis fünf Tagen in der Woche Verkaufsmanager auf der Karlsbrücke. Denn bei ihm herrscht klare Arbeitsteilung: Jasen verkauft, Karl Mikovec, ein Freund von ihm, malt. Und während der eine zu Hause sitzt und Prags Sehenswürdigkeiten mit nasser Farbe auf nasses Papier bahnt, übt sich Jasen im Warten:
"Es beginnt normalerweise morgens mit einem Kaffee. Wenn die Brücke öffnet, befestige ich die Bilder an meinem Stand und später lese ich vielleicht die Zeitung, höre Radio und warte auf die Leute. Es ist, glaube ich, nur eine normale Arbeit. Es ist natürlich keine harte Arbeit, keine Fabrikarbeit, aber es ist Arbeit, die auf Psychologie basiert. Sie beruht auf den Kontakten mit den Leuten, es ist public relations."
Trotz aller Psychologiekenntnisse: Heute kann Jasen Jasni alle Bilder wieder von der Brücke heruntertragen. Verkaufserfolg: Null. Und trotzdem: In seiner Freizeit übt er auch bereits zu malen.