„Arbeitsscheu, drogenabhängig, sexuell abartig“ – Repressionen und Kampagnen gegen Langhaarige
Lange Haare bei Männern: eine Modeerscheinung, die im Westen wie im Osten in den 1960er Jahren aufkam. Die langen Männerhaare waren hüben wie drüben ein Symbol der Unangepasstheit. Im Westen waren sie in erster Linie ein Protest gegen die Werte der Elterngeneration. Im Osten transportierten die langen Männerhaare aber auch eine politische Botschaft, obwohl das vielen ihrer Träger zunächst gar nicht klar war. Dass ihre Frisuren der herrschenden kommunistischen Macht ein Dorn im Auge waren, bekamen die Langhaarigen in der damaligen Tschechoslowakei aber spätestens im Jahr 1966 zu spüren. In diesem Jahr begannen die Kommunisten mit breit angelegten Repressiven Kampagnen gegen langhaarige Männer.
Die Reaktion der Langhaarigen war für die damalige Zeit unerhört: Sie gingen auf die Straße. Die Parole einer Demonstration in Prag im September 1966 lautete: „Vraťte nám vlasy!“ – Gebt uns die Haare zurück! Dies ist auch der Titel des Buches, das der Anthropologe Filip Pospíšil gemeinsam mit dem Historiker Petr Blažek geschrieben hat. Es ist die erste wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Repressionen und Kampagnen gegen langhaarige Männer in der damaligen Tschechoslowakei. Zuvor wurde das Thema nur gestreift, und zwar in Forschungen über die alternative Musikszene. Filip Pospíšil, Jahrgang 1972, trägt selbst seit den 80er Jahren lange Haare.
„Ich wollte einfach wissen, in welch einer Gesellschaft unsere Vorgänger gelebt haben, auf die wir uns in gewisser Weise auch noch in den 80er Jahren bezogen haben. Wie haben sich diese Leute verhalten, wie haben sie sich selbst gesehen? Und was hat auf der anderen Seite die Gesellschaft über sie gedacht?“
Die Studie „Vraťte nám vlasy!“ zitiert Dokumente der damaligen Sicherheitspolizei und staatlicher wie kommunaler Behörden, in denen repressive Maßnahmen gegen die Träger langer Haare erlassen wurden.
„Da hieß es dann: ‚Schaut! Das ist eine ernste Gefahr. Diese Leute scheuen sich vor der Arbeit, sie sind dreckig und verbreiten Krankheiten, sie sind unhöflich.’“Warum aber hatten die Kommunisten solche Angst vor Langhaarigen? Filip Pospíšil:
„Natürlich sah die Partei in diesen jungen Langhaarigen auch eine politische Bedrohung, vor allem wenn wir in Betracht ziehen, dass sie auch auf die Straße gingen, um zu demonstrieren. Dies war sicher auch ein politischer Protest. Es gab aber nicht nur die Angst der Kommunisten, sondern auch die Angst breiter Schichten der damaligen Gesellschaft, vor allem der älteren Generation. Sie waren einfach verschreckt, dass jemand anders aussehen, sich anders verhalten, andere Musik hören und anders tanzen konnte.“
Mit einer breit angelegten Kampagne wurde Stimmung gemacht gegen die Langhaarigen, und damit holte die Kommunistische Partei auch ältere Leute mit ins Boot, die sonst nur schwer für die sozialistische Ideologie zu begeistern waren.
„Die Dokumente aber auch die Erinnerungen von Zeitzeugen zeigen, dass die repressiven und disziplinarischen Maßnahmen auf eine breite Unterstützung in der Gesellschaft bauen konnten. Diese Kampagne lag nicht nur in den Händen der Sicherheitspolizei. Sie wurde auch aufgegriffen von Bildungseinrichtungen, Hotels und Restaurants oder Verkehrsbetrieben und so weiter.“
Unzählige Langhaarige wurden von der Schule verwiesen oder entlassen. Sie wurden in Restaurants nicht bedient oder es wurde ihnen die Fahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln verweigert. Selbstverständlich wurden auch die Staatsmedien in diese Strategie eingebunden, wie Auszüge aus einer Fernsehreportage aus dem Jahr 1972 belegen.„Wirklich lange Haare waren immer das Zeichen weiblicher Schönheit. Und es lässt sich nachweisen, dass überlange Haare bei Männern den Anbruch einer Epoche der Dekadenz bezeugen.“
Wo diese Dekadenz ihren Ursprung hat, verriet der Reporter auch.
„Lange Haare sollten ein Ausdruck des Protestes eines nonkonformistischen Teils der Jugend in den Vereinigten Staaten und Westeuropa sein, ein Protest gegen das kapitalistische System. Die Philosophie der Blumenkinder aber erwuchs aus der Anarchie. Gruppen, besser gesagt Gangs von Jungen und Mädchen, terrorisieren ganze Städte. Eines der gemeinsamen Zeichen dieser verzerrten Revolte sind die langen Haare.“In diversen kommunistischen Zeitungen und Zeitschriften mussten die Langhaarigen in der damaligen Tschechoslowakei Verleumdungen und Erniedrigungen über sich ergehen lassen. Karikaturen und Cartoons waren dabei ein beliebtes Mittel. Langhaarige wurden dargestellt als arbeitsscheu, drogenabhängig und sexuell abartig. Aber so viel die Kommunisten auch gegen Langhaarigen unternommen hatten, so mäßig war der Erfolg ihrer Maßnahmen, sagt Filip Pospíšil:
„Die Repressionen konnten aus ganz grundlegenden Prinzipien keinen kompletten Erfolg haben. Nicht nur weil einmal abgeschnittene Haare wieder nachwachsen. Junge Leute ecken in jeder Gesellschaft an und suchen ihre eigenen kulturellen Werte, die nicht im Einklang mit denen ihrer Eltern stehen.“Im Verlauf der 70er Jahre wurde die Mode der langen, beziehungsweise der längeren Haare bei Männern salonfähig. Die Anfeindungen schwächten sich allmählich ab. Auch vom Staat hofierten Künstlern wie etwa Karel Gott fielen die Haare über die Ohren.
Die Kommunisten lenkten den Fokus der Aufmerksamkeit mehr und mehr auf andere Formen jugendlichen Protestes. So wurden etwa die Punks zu Beginn der 80er Jahre Opfer staatlicher Willkür. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Langhaarigen nicht mehr unterdrückt wurden. Einige Bestimmungen lokaler Behörden, die zu Beginn der Kampagne gegen die Langhaarigen im Jahr 1966 erlassen wurden, hatten eine außerordentlich lange Lebensdauer. Sogar noch über die kommunistische Zeit hinaus. So wurde im mittelböhmischen Kurort Poděbrady offiziell erst vor zwei Jahren das Hausverbot für Langhaarige in Restaurants, Theatern, Kinos, Kureinrichtungen aufgehoben.Dieser Beitrag wurde am 6. November 2010 gesendet. Heute konnten Sie seine Wiederholung hören.