Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit in Tschechien
Auch 13 Jahre nach der Wende, sind viele Kapitel der kommunistischen Vergangenheit des Landes noch nicht aufgearbeitet. Einen weiteren Beitrag dazu könnten die kürzlich veröffentlichten Namensverzeichnisse der Mitarbeiter des kommunistischen Staatssicherheitsdienstes StB leisten. Oder doch nicht? Mehr über den Stand der Auseinandersetzungen mit dem kommunistischen Erbe Tschechiens erfahren Sie im folgenden Schauplatz von Dagmar Keberlová und Robert Schuster.
Am Donnerstag vorvergangener Woche versammelten sich bereits seit den frühen Morgenstunden Hunderte von Tschechen aus allen Teilen des Landes vor dem Gebäude des Innenministeriums. Als sich dort die Pforten öffneten, eroberten sie die Eingangshalle des Gebäudes fast im Sturm. Alle wollten nämlich zumindest ein Exemplar des an jenem Tag veröffentlichten offiziellen Verzeichnes der Agenten und Mitarbeiter der früheren tschechoslowakischen Staatssicherheit - StB - mit nach Hause tragen. Als binnen kürzester Zeit die gesamte Auflage von 3000 Stück, weil gratis verteilt, vergriffen war, ist es unter den zu kurz gekommenen fast zu Handgreiflichkeiten gekommen. Das Innenministerium gab daraufhin sofort einen Nachdruck der StB-Listen in Auftrag und versprach sie allen Interessierten innherhalb der kommenden Wochen zur Verfügung zu stellen.
Obwohl in den vergangenen 13 Jahren seit dem politischen Umbruch des Jahres 1989 über eine Veröffentlichung der StB-Verzeichnisse immer wieder diskutiert wurde, schreckte man jedoch in letzter Konsequenz davor zurück, aus Angst vor den möglichen Folgen. Gleich nach der Wende befürchtete man, dass eine Veröffentlichung der Namen zu einer regelrechten Hexenjagd führen könnte. Später wiederum, als einige unter Verdacht der StB-Mitarbeit stehende Politiker vor Gericht zogen und dort rechtskräftig die Feststellung erwirkten nicht für die Staatsicherheit gearbeitet zu haben, fing man gänzlich an nach dem Sinn einer möglichen Veröffentlichung zu zweifeln.
Dennoch machten bereits im Frühjahr 1990 erste inoffizielle Namenslisten von StB-Mitarbeitern die Runde. Verbreitet wurden sie insbesondere vom einstigen Regimekritiker und Bürgerrechtler Petr Cibulka. Obwohl Cibulka nie befriedigend erklären konnte, wie er an die brisanten Unterlagen gelangte, stellten dessen Verzeichnisse lange Zeit den einzigen Versuch einer öffentlichen Auseinandersetzung mit diesem Kapitel der tschechischen Geschichte dar. Heute erklären selbst Spitzenpolitiker, in deren Verantwortungsbereich die Verwaltung der brisanten Listen seinerzeit fiel, wie etwa der frühere Regimekritiker und spätere Innenminister Jan Ruml, dass Cibulkas Verzeichnisse ziemlich getreu den wahren Stand wiedergeben.
Kann also in Anbetracht dessen der jüngste Ansturm auf die offizielle Fassung der StB-Listen mit den etwa 75 000 Namen als Ausdruck einer gestiegenen Sensibilität vieler Tschechen gegenüber der kommunistischen Vergangenheit interprätiert werden? Das fragten wir Jan Srb vom Amt für die Dokumentation und Ermittlung der Verbrechen des Kommunismus, das beim tschechischen Innenministerium angesiedelt ist. Gegenüber Radio Prag macht er aus seiner Skepsis keinen Hehl:
"Das, wozu es letzte Woche im Zusammenhang mit der Veröffentlichung der offiziellen Liste mit den Namen der Agenten und Mitarbeiter der früheren Staatsicherheit gekommen ist, hängt eigentlich weniger mit einem gestiegenen Interesse der Öffentlichkeit an einer Auseinandersetzung mit dem kommunistischen Regime, bzw. der Erforschung der Vergangenheit zusammen. Schon im Jahr 1996 bekamen die Tschechen per Gesetz die Möglichkeit in ihre Akten einzusehen. Bis zum heutigen Tag haben aber lediglich 3000 Personen davon Gebrauch gemacht, was einer relativ kleinen Zahl entspricht. Ich denke, dass bei vielen diesmal eher der Umstand entscheidend war, dass die Listen gratis vergeben wurden und das zu diesem grossen Andrang führte."
Jan Srb meint des weiteren, dass es ein Fehler gewesen sei, die StB-Listen ausschliesslich über das Innenministerium zu verteilen und nicht etwa dezentraler - also in erster Linie an die Stadtverwaltungen oder Bibliotheken zu verschicken. Dennoch begrüsst er deren Veröffentlichung, auch wenn - wie er im Gespräch mit Radio Prag meint - das alles mindestens 10 Jahre zu spät komme.
Unabhängig von den langwierigen Debatten um eine Öffnung der Stasi-Archive, haben die vergangenen 13 Jahre gezeigt, dass die Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit ein sehr komplexer Vorgang ist. Zu Beginn stand man dabei in Tschechien vor der Wahl, ob die Geschichte der Jahre 1948-1989 lediglich aufgearbeitet und dokumentiert, oder aber auch versucht werden soll, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Das Amt für die Dokumentation und Ermittlung der Verbrechen des Kommunismus, welches bereits seit fast 10 Jahren besteht und oft als Pendant zur deutschen Gauck-Behörde gesehen wird, hat sich beiden Aufgaben verschrieben. Wie hat sich während dieser Zeit die Ausgangslage für dessen Tätigkeit verändert? Der Historiker Jan Srb meint dazu gegenüber Radio Prag:
"Von einem Blickpunkt aus beurteilt hat sich vieles verändert und zwar wenn es darum geht, woher wir die Impulse für unsere Arbeit bekommen. Unmittelbar nach der Wende kamen meistens die Betroffenen und Verfolgten mit ihren Erlebnissen auf uns zu und wir nahmen die Ermittlungen in deren Anliegen auf. Heute ist das ganz anders. Wenn unsere Ermittler heute neue Verfahren gegen damalige Handlanger des kommunistischen Regimes einleiten, dann fasst ausschliesslich anhand des Studiums von Unterlagen im Archiv und erst auf Grund dessen wird dann entschieden, ob das für die Aufnahme eines Ermittlungsverfahrens ausreicht oder nicht, bzw. ob überhaupt gegen jemanden Ermittlungen eingeleitet werden können."
Dennoch ist Jan Srb relativ kritisch gegenüber den bisherigen Erfolgen seiner Behörde, wenn er im folgenden hinzufügt:
"Ich meine, dass unsere Bilanz nicht befriedigend ist und es wird uns immer wieder vorgehalten, dass von unzähligen Fällen, die wir ins Rollen brachten, nur die wenigsten zu rechtskräftigen Verurteilungen durch die Gerichte führte. Während der vergangenen knapp 10 Jahre gelang uns dies etwa in höchstens zwanzig Fällen. Oft passiert es, dass die Gerichte von uns vorgelegte Akten zurückweisen, oder die Verhandlungen immer wieder aus welchen Gründen auch immer wiederholt unterbrechen oder vertagen. Ich denke, dass das in vielen Fällen eher ein Problem der Gerichte ist und eigentlich viel über den Stand der Gerichtsbarkeit im Land aussagt. Die Gerichte wenden oft die ihnen bereits jetzt zur Verfügung stehenden Mittel nicht konsequent an, um z.B. die Angeklagten wirklich vor das Gericht zu bringen. In einigen Fällen ist es auch schon passiert, dass ein Gericht in einer bestimmten Frage eine Entscheidung getroffen hat, zwei Jahre später aber das gleiche Gericht im gleichen Fall ganz anders entschied. "
Angesichts der erwähnten Schwierigkeiten einzelne Fälle vor Gericht erfolgreich zum Abschluss zu bringen, konzentriert sich die tschechische Gauck-Behörde seit einigen Jahren auf ihre Dokumentationstätigkeit. Mittlerweile hat das Amt zahlreiche Publikationsreihen herausgebracht, die stets auf detaillierten Recherchen in Archiven aufgebaut sind. Darin sieht der Historiker Jan Srb auch die künftige Hauptaufgabe seines Amtes nämlich das Gedenken an die Zeit des Kommunismus und die vielen Opfer aufrecht zu halten.
Aus den Ausführugnen Jan Srbs geht hervor, dass das Amt für die Dokumentation und Ermittlung der Verbrechen des Kommunismus auch in Zukunft in einer gewissen Form bestehen bleibt, wenn es keinen konkreten Fällen mehr nachgehen wird. Diese mehr oder weniger gesicherte Existenz der tschechischen Gauck-Behörde ist im gewissen Sinne etwas Neues. Noch vor einigen Jahren galt nämlich das Dokumentationsamt als ein Kind der Nachwende-Zeit, das vor allem von Politikern aus dem bürgerlichen Lager gehegt und gepflegt wurde. Als dann vor fünf Jahren erstmals eine linke Regierung in Tschechien an die Macht kam, gab es Befürchtungen, dass die Auflösung der tschechischen Gauck-Behörde zu den ersten Amtshandlugnen eines sozialdemokratischen Innenministers gehören würde.
Diese Befürchtungen zeigten sich jedoch bald als unbegründet, wie der Historiker Jan Srb abschliessend erklärt:
"Es ist interessant, dass auch die linke sozialdemokratische Regierung einige Schritte tat, die unsere Arbeit verbesserten. So wurde uns etwa eine Vielzahl von bis daher unter Verschluss gehaltenen Akten aus den Beständen des Innenministeriums zur Verfügung gestellt, wozu alle vorherigen konservativen Innenminister keine Erlaubnis gaben. Es ist tatsächlich so, dass wir in dieser Hinsicht von den Politikern schon lange in Ruhe gelassen werden. Ausser den Kommunisten, denen wir natürlich nachwievor ein Dorn im Auge sind, hat eigentlich gegenwärtig niemand Interesse daran das Bestehen unserer Behörde in Frage zu stellen, die nachwievor noch viel zu tun hat und ihre Berechtigung hat."
Liebe Hörerinnen und Hörer, soweit unser heutiger Schauplatz. Vom Mikrophon verabschieden sich von Ihnen Dagmar Keberlová und Robert Schuster.