BSE in Tschechien

Tschechien hat ein Fall von BSE

Das böhmische Nationalgericht Svickova - Rinderbraten an Sahnesauce mit Semmelknödeln - dürfte den Tschechinnen und Tschechen inzwischen nicht mehr so gut schmecken wie bisher. Denn wie wir in unseren aktuellen Sendungen schon berichtet haben, gehört Tschechien seit Anfang Juni zu denjenigen Ländern, in denen die Viehseuche Rinderwahnsinn oder, wissenschaftlich ausgedrückt, BSE, nachgewiesen ist. Mehr dazu von Rudi Hermann.

Tschechien hat ein Fall von BSE
Zwar handelt es sich vorläufig nur um einen einzigen registrierten Fall, doch der Mythos, dass diese Zivilisationskrankheit um unser Land vielleicht einen Bogen gemacht hat, ist damit zerstört. Nicht alle sind vom Auftreten von BSE allerdings so überrascht wie die Tschechinnen und Tschechen, die lange davon ausgegangen waren, es handle sich vor allem um ein westeuropäisches Problem. Die EU nämlich hat Tschechien schon vor einigen Monaten prognostiziert, dass Fälle von BSE aufgedeckt würden.

Als erstes Land in Ostmitteleuropa sieht sich Tschechien direkt mit der Viehseuche Rinderwahnsinn konfrontiert. Der erste und bisher auch einzige Fall wurde in den ersten Junitagen bei einer Kontrolle in einem Schlachthof entdeckt, aus dem der fleischverarbeitende Betrieb Kostelecke uzeniny Rindfleisch bezieht. Die Farm, auf der die erkrankte sechsjährige Kuh zu Hause war, liegt bei Dusejov in der Nähe von Jihlava. Der Verdacht auf BSE entstand nach einem Routinetest im Schlachthof, und umgehend wurde ein zweiter Kontrolltest angeordnet. Auch dieser deutete auf BSE hin, so dass schliesslich eine Probe in ein deutsches Speziallabor in Tübingen geschickt wurde.

Vor rund zwei Wochen musste schliesslich Landwirtschaftsminister Jan Fencl bekanntgeben, dass auch diese Kontrolle den Befund BSE-positiv ergeben habe. Somit stand für über 100 Kühe der Farm Dusejov das Schicksal fest: Schlachtung und Liquidation. Bei Fällen von BSE werden jeweils diejenigen Tiere getötet, die in der Altersklasse des erkrankten Tiers sind, das heisst plus respektive minus ein Jahr. Denn die Erfahrungen in Westeuropa haben gezeigt, dass dies die Risikogruppe für weitere Fälle ist. Seit dem Auftauchen von BSE muss in Tschechien auf Anordnung der staatlichen Veterinärverwaltung jedes geschlachtete Rind, das älter ist als 30 Monate, auf BSE geprüft werden. Dies ist eine neue Bestimmung, denn bisher wurde meistens nur stichprobenweise geprüft. Es ist eine Ironie des Schicksals, dass die BSE-infizierte Kuh in einem Schlachthof identifiziert wurde, wo schon bisher auf freiwilliger Basis jedes Tier geprüft wurde.



Der Fleischproduzent Kostelecke uzeniny bekommt für dieses Bemühen jetzt paradoxerweise eine negative Rechnung präsentiert. Denn obwohl gerade dieses Fleischkombinat die Sicherheit der Konsumenten weit oben plazierte, ist es jetzt sein Name, der mit dem ersten Fall von Rinderwahnsinn in Tschechien in Verbindung gebracht wird. Die bisherige Praxis der selektiven Tests in anderen Betrieben lässt allerdings offen, ob es sich beim entdeckten Fall von BSE auch wirklich um den ersten handle. Denn es ist gut möglich, dass schon Tiere geschlachtet wurden, die mit BSE infiziert waren, bei denen die Krankheit aber noch nicht ausgebrochen war, und die durch die Maschen des Testsystems fielen.

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Wie sich die neue Lage auf die Nachfrage nach Rindfleisch in Tschechien auswirken wird, bleibt abzuwarten. Bisher hatte sich die Bevölkerung als wenig beeindruckt durch BSE gezeigt. Das Phänomen wurde dem Westen zugeschrieben, und in Umfragen äusserten sich immer wieder zahlreiche Leute dahingehend, dass sie weitgehend ohne Bedenken Rindfleisch konsumierten. Der Zentraldirektor der Veterinärverwaltung, Holejsovsky, wie auch tschechische Politiker riefen die Bevölkerung auf, keiner Panik zu erliegen. Holejsovsky sagte, er sei entschieden nicht der Ansicht, dass der entdeckte BSE-Fall lediglich die Spitze eines Eisbergs darstelle. Mit grosser Wahrscheinlichkeit werde die Häufigkeit von infizierten Tieren nicht mehr als einen Fall auf sieben- bis zehntausens Tiere ausmachen.

Verunsicherung hat das Auftreten von BSE in Tschechien dennoch verursacht. Von offizieller Seite war bisher immer argumentiert worden, es bestehe wenig Grund zur Annahme, dass die Seuche ins Land eingeschleppt worden sei. Seit 1991 gibt es in Tschechien respektive der früheren Tschechoslowakei ein Verbot für die Verfütterung von Tiermehl an Wiederkäuer. Und vorher, so erkärte der Sprecher der Veterinärverwaltung, Duben, auf Anfrage, sei es aus praktischen Gründen kaum zur Verfütterung von ausländischem Tiermehl an tschechisches Vieh gekommen. Zwar habe kein Import- und auch kein Fütterungsverbot bestanden, doch seien zur Zeit des Sozialismus die tschechischen Kühe als zu ertragsschwach eingestuft worden, dass sich die Verfütterung von teurem importiertem Tiermehl gelohnt hätte. Als Tschechien im Frühling dieses Jahres zusammen mit einigen anderen Ländern Ostmitteleuropas in eine Ländergruppe eingeordnet wurde, in welcher zwar bisher kein Fall von BSE verzeichnet worden sei, wo das Übergreifen der Seuche jedoch über kurz oder lang zu erwarten sei, reagierten die betroffenen Regierungen, darunter auch die in Prag, mit grosser Empörung.



zwei Hypothesen vom Anstecken: die Kreuzkontamination sowie die Fütterung
Die Realität hat aber zumindest Tschechien nur allzu schnell eingeholt. Jetzt hat das Rätselraten darüber begonnen, auf welche Weise sich die Kuh der Farm Dusejov habe anstecken können. Laut dem Sprecher der Veterinärverwaltung stehen zwei Hypothesen im Vordergrund: die sogenannte Kreuzkontamination sowie die Fütterung von Jungtieren mit Milchersatzstoffen. Bei der Kreuzkontamination geht es darum, dass in Produktions- oder Transportanlagen für Futtermittel Rückstände von BSE-infiziertem Tiermehl auch BSE-freie Produktionschargen verunreinigen konnten. Und bei den Milchersatzstoffen handelt es sich um ein Futtermittel zur Kostensenkung, wobei aber eines der enthaltenen Fette auch mit dem BSE-Erreger infiziert sein kann.



Der Bericht der Europäischen Union, der zum Schluss gelangte, der Ausbruch von BSE in Tschechien sei als wahrscheinlich einzustufen, sah allerdings nicht nur diese beiden Möglichkeiten der Infektion als Gefahrenmoment. Er zeigt auf, dass die Tschechoslowakei einerseits zwischen 1988 und 1992 knapp 7000 Tonnen Tiermehl aus westeuropäischen Ländern, darunter Frankreich, importierte. Seit 1993 wurden rund 100 000 Tonnen Tiermehl importiert, aber praktisch ausschliesslich aus Deutschland. Deutschland galt zwar, im Unterschied zu Frankreich, bis zum letzten Jahr als BSE-frei, doch ist dahinter ein gewisses Fragezeichen zu setzen.

Ein zweites Risikomoment ergibt sich laut dem Bericht der EU-Arbeitsgruppe auch aus den erheblichen Importen von Lebendtierbeständen. Vor 1993 wurden knapp 6500 Tiere aus Westeuropa importiert, namentlich aus Deutschland, Frankreich und Dänemark. Die Importe aus dem BSE-Risikoland Grossbritannien bezeichnete die EU als vernachlässigbar.



Seit 1993 sind rund 30 000 Tiere nach Tschechien importiert worden, vor allem aus Frankreich, Deutschland, Dänemark, Italien und den Niederlanden. Aus den Importen und weiteren Faktoren wie der Fütterungspraxis und der Kontrolle und Durchsetzbarkeit des Tiermehl-Fütterungsverbots kam die EU-Arbeitsgruppe zum Schluss, in Tschechien bestehe ein nicht zu unterschätzendes Risiko aus dem Zusammenspiel interner und externer Faktoren. Bis 1995 habe ein relativ grosses Einschleppungsrisiko der Krankheit bestanden, 1996 ein mässiges, und erst seit 1997 sei die Situation in Stabilisierung begriffen. So hiess es, dass man der Ansicht sei, in Tschechien sei das Vorhandensein infizierter Tiere im vorklinischen oder klinischen Stadium als wahrscheinlich, wenn auch nicht bestätigt zu erachten. Leider ist diese Formulierung von der Realität inzwischen überholt worden.

Autor: Rudi Hermann
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