Bundesaußenminister Joschka Fischer in Prag: Scheitern des Verfassungs-Kompromisses wäre schlimmste Krise für EU
Als erster deutscher Außenminister hielt Joschka Fischer am Dienstag auf der traditionellen Botschafterkonferenz im tschechischen Außenministerium einen Vortrag über das "Gesicht des neuen Europas" nach der EU-Erweiterung. Anschließend traf Fischer in Prag mit Außenminister Cyril Svoboda und Premierminister Vladimir Spidla zusammen. Silja Schultheis war vor Ort.
Eine gemeinsame europäische Verfassung - für Bundesaußenminister Joschka Fischer ein nicht wegzudenkender Bestandteil des Jahrhundertprojektes EU-Erweiterung. Fischer sprach sich sowohl in seiner Rede vor den Botschaftern als auch in den anschließenden Pressekonferenzen eindringlich dafür aus, bei einem Kompromiss zum EU-Verfassungsentwurf zu bleiben. Mit Blick auf die im Herbst beginnende Regierungskonferenz sagte er:
"Wir müssen alles daran setzen, dass diese Regierungskonferenz kurz, intensiv und erfolgreich, ergebnisorientiert verläuft. Der Kompromiss als Ganzes muss Bestand haben. Daher gilt auch als Regel: Wer den Konsens in einem Punkt öffnet, trägt die Verantwortung dafür, einen neuen Konsens herbeizuführen. Wenn wir uns auf diesen Grundsatz einigen können, wird die Regierungskonferenz ein Erfolg. Es wird schwierig, einen neuen Konsens hinzubekommen. Wenn die Regierungskonferenz am Ende einen besseres Paket hinbekommt, würde ich laut Hallelujah schreien. Sollte es allerdings die Überlegung geben, gar kein Ergebnis zu produzieren, d.h. am Ende würde das scheitern - das hieße vermutlich eine der schwersten Krisen der Europäischen Union."
Der tschechische Außenminister Cyril Svoboda stimmte Fischer hinsichtlich der Wichtigkeit einer Kompromissfindung zu, betonte jedoch, dass es für sein Land in puncto EU-Verfassung noch einigen Diskussionsbedarf gebe:"Wir stimmen damit überein, dass es nicht möglich ist, viele Fragen gleichzeitig zu öffnen, denn dies könnte die Möglichkeit einer Übereinkunft blockieren. Aber es ist eben die Regierungskonferenz, die über den Verfassungsentwurf zu entscheiden hat. Wenn man gar keine Fragen mehr öffnen dürfte, bräuchte keine Regierungskonferenz einberufen zu werden, denn sie würde dann lediglich das bestätigen, was bereits entschieden wurde, und dafür bräuchte man sich nur ein einziges Mal zu treffen."
Um zu verhindern, dass auf der Regierungskonferenz zu viele Fragen diskutiert werden und sich auf eine gemeinsame Linie zu einigen, werden die kleineren, von dem jetzigen Kompromiss noch nicht überzeugten Staaten noch vor Beginn der Regierungskonferenz auf Minister- und Staatsministerebene in Prag zusammenkommen.
Zweiter Schwerpunkt der Gespräche, die Fischer mit Svoboda und Spidla führte, waren die bilateralen Beziehungen. Hier verwies der Bundesaußenminister nachdrücklich auf die Deutsch-tschechische Erklärung von 1997:
"Je öfter ich diese Erklärung nachlese, desto mehr wird mir die Weisheit, aber auch die Klarheit dieser Erklärung bewusst. Wir sind enge Partner, wir sind gute Freunde, wir haben auch ein tragisches Kapitel in unserer Geschichte. Als Freunde müssen und sollten wir über alles sprechen können, wir sollten uns dabei freundschaftlich in die Augen schauen können. Die Deutsch-tschechische Erklärung ist dafür, finde ich, die beste Grundlage."
Nach seiner Meinung zu dem vom Bundesverband der Vertriebenen geplanten Zentrum gegen Vertreibung betonte Fischer - bekanntlich ein Gegner des Standorts Berlin:
"Das ist eine Debatte, die müssen wir in Deutschland führen. Nur eines möchte ich sagen: Egal, wie sie ausgeht - das ist nicht der Beginn eines neuen deutschen Revanchismus o.ä. Es ist eine typisch deutsche Identitätsdebatte, der Charakter Deutschlands wird sich dadurch überhaupt nicht verändern und ich sehe hier keine Umschreibung der Geschichte."