Das Lustrationsgesetz gilt immer noch als wichtiger Beitrag zur Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit Tschechiens
Die heutige Ausgabe unserer Sendereihe Schauplatz befasst sich mit dem tschechischen Lustrationsgesetz, das kürzlich zu einem wichtigen innenpolitischen Thema wurde. Wir gehen dabei auch der Frage nach, wie es 16 Jahre nach der Wende um die Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit des Landes bestellt ist.
Zu den Gegnern der Lustrationen gehörten von Beginn an naturgemäß die tschechischen Kommunisten, die auch schon mehrfach versucht haben die Lustrationen auf dem Gerichtsweg zu kippen. Bislang sind sie aber mit diesem Vorhaben stets gescheitert. Dennoch erhielten die Vertreter der früheren Staatspartei vor kurzem unerwartete Schützenhilfe vom sozialdemokratischen Premierminister Jiri Paroubek. Paroubek meinte, man sollte sich die Frage stellen, ob dieses Gesetz 16 Jahre nach der Wende heute noch zeitgemäß sei bzw. ob sein ursprüngliches Ziel nicht schon erfüllt sei. Der Regierungschef schloss zudem nicht aus, dass seine Sozialdemokraten einen entsprechenden kommunistischen Antrag im Parlament unterstützen könnten. Als aber der Premier wegen diesen Aussagen unter Beschuss geriet, und zwar sowohl von seinen Koalitionspartnern als auch parteiintern, segelte er wieder zurück und meinte er wolle wegen des Lustrationsgesetzes nicht die Existenz seiner Regierung aufs Spiel setzen.
Über den Sinn dieser und ähnlicher Gesetze unterhielten wir uns im Folgenden mit dem Historiker Jan Kalous vom Amt für die Ermittlung und Dokumentation der kommunistischen Verbrechen, welches seit Jahren im Rahmen des tschechischen Innenministeriums besteht. Jan Kalous blickt dabei zunächst auf die Entstehungsgeschichte des Lustrationsgesetzes zurück und fasst die Diskussionen, die es dazu in den vergangenen Jahren gab, zusammen:
"Das so genannte Lustrationsgesetz wurde zu Beginn der 90er Jahre verabschiedet, als es noch die Tschechoslowakei gab und die Tschechische Republik hat dann nach der Trennung von der Slowakei diese Norm übernommen. Die Geltungsdauer dieses Gesetzes wurde mehrmals verlängert. In den letzten Jahren kann man davon sprechen, dass die Versuche dieses Gesetz aufzuheben sehr regelmäßig wiederkehren. Interessant ist, dass bei einem der letzten dieser Versuche das Verfassungsgericht angerufen wurde und die Richter feststellten, dass das Lustrationsgesetz nach wie vor seine Bedeutung hat. Natürlich hat auch dieses Gesetz, so wie die meisten anderen auch, einige Fehler, aber dennoch lässt sich sagen, dass es immer noch einen der Eckpfeiler darstellt beim Versuch sich mit der kommunistischen Vergangenheit des Landes auseinander zu setzen. Dieses Gesetz hat den gleichen Symbolwert wie die ganzen Restitutionsgesetze oder die Gesetze über die Rehabilitierung von politisch Verfolgten."
Vielleicht mögen heute, 16 Jahre nach der Wende, dem einen oder anderen die Befürchtungen vor einer möglichen Rückkehr der Angehörigen der kommunistischen Nomenklatura als übertrieben erscheinen. Dennoch kommt es von Zeit zu Zeit zu Situationen, wo dieses Gesetz immer seine Anwendung findet. Zu den prominentesten Fällen aus der jüngsten Zeit gehörte wohl der Versuch des einstigen Premierministers Stanislav Gross mit Pavel Pribyl einen früheren Hauptmann der polizeilichen Sondereinheiten, die von der kommunistischen Regierung bei Kundgebungen der Opposition eingesetzt wurden, zum Chef seines Kabinetts zu ernennen. Pribyl hätte normalerweise auf Grund des Lustrationsgesetzes nie dieses Amt bekleiden dürfen, dennoch hielt Gross zunächst an seinem Vertrauten fest. Pribyl verzichtete jedoch wenig später, nicht zuletzt auch unter dem Druck der Öffentlichkeit.
Die Kritiker des Lustrationsgesetzes kommen aus zwei unterschiedlichen Lagern. Während die einen, wie etwa die Kommunisten, dieses Gesetzes von vornherein ablehnen und von einer menschenverachtenden Norm sprechen, die auf dem Prinzip der Kollektivschuld basiert, vertritt das andere Lager die Position, dass das Lustrationsgesetz im Gegenteil viel zu milde ist. So konnte zum Beispiel nicht verhindert werden, dass sich die Angehörigen der früheren kommunistischen Nomenklatura, die ihre öffentlichen Ämter verlassen mussten, auf Grund ihrer bestehenden Verbindungen eine neue Existenz im Wirtschaftsbereich aufbauen konnten.
Lässt sich also im Zusammenhang mit dem Lustrationsgesetz eine Art Bilanz ziehen? Was konnte erreicht, was wiederum verhindert werden? Hören Sie dazu Jan Kalous:
"Ich weiß nicht, ob man da von einer Bilanz sprechen kann. Aber in der Zeit, als dieses Gesetz verabschiedet wurde, kann es sicherlich als dessen Verdienst angesehen werden, dass diejenigen, die schon vor der Wende die Macht innehatten sich nicht einfach in die neue Richtung drehen konnten, um somit ihre Macht zu sichern. Natürlich stimmt schon der Vorwurf, dass durch das Gesetz der Wirtschaftsbereich nicht geschützt wurde, aber man darf nicht vergessen, dass im Zuge der Privatisierung früher oder später fast alle Unternehmen dem Einflussbereich des Staates entzogen wurden und das Gesetz somit keine Anwendung mehr hatte. Was den Vorwurf angeht, dass es sich um Kollektivschuld handelt, muss man bedenken, dass dieses Gesetz eine bestimmte gesellschaftliche Gruppe davon disqualifizieren wollte gewisse öffentliche Ämter einzunehmen. Das betraf etwa ehemalige Angehörige des kommunistischen Staatssicherheitsdienstes. Ziel war es auch zu vermeiden, dass diese Personen mit vertraulichen Informationen in Kontakt geraten und diese dann weiter leiten können. Man darf nicht vergessen, dass man mit so einer Vergangenheit auch leicht erpressbar sein kann. Das wollte dieses Gesetz eindämmen."
Im Ausland wurde das tschechische Lustrationsgesetz zu Beginn oft kritisiert. Als zum Beispiel in den frühen 90er Jahren Delegationen des Europarats in der damaligen Tschechoslowakei politische Gespräche führten, stand dabei dieses Gesetz ganz oben auf der Liste der Themen. Später aber, als sich herausstellte, dass die von den Kritikern befürchtete "Jagd auf ehemalige Kommunisten" nicht eintrat, legte sich die Aufregung wieder. Wurde das tschechische Lustrationsgesetz seiner Zeit auch von anderen postkommunistischen Ländern nachgeahmt, oder in irgendeiner Form übernommen? Schließlich standen nach dem politischen Umbruch des Jahres 1989 auch andere ehemals kommunistische Gesellschaften vor der Frage, wie man mit den ehemaligen Trägern und Vertretern des kommunistischen Regimes umgehen soll. Dazu sagt der Historiker Jan Kalous:"Als die Tschechoslowakei damals das Lustrationsgesetz verabschiedet hat, war sie vielleicht das erste Land, welches diesen Weg beschritten hatte. Später wurden dann auch in einigen anderen Ländern vergleichbare Gesetze verkündet. In Polen muss jemand, der sich um ein öffentliches Amt bemüht, eine Ehrenerklärung abgeben, dass er nicht mit dem Geheimdienst zusammengearbeitet hat. Das wird dann von den zuständigen Stellen überprüft. Gänzlich ohne Lustrationen ist aber die Slowakei ausgekommen, d.h. dass nach der Trennung von der Tschechischen Republik das entsprechende Gesetz, das für die gesamten Tschechoslowakei gegolten hat, nicht übernommen wurde. In der früheren DDR gab es zwar keine Lustrationen, aber die dort angewandte Möglichkeit in die von der Stasi geführten Akten einzusehen wurde später auch in Tschechien übernommen."
Die Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit Tschechiens ist auch im Jahr 16 nach der Wende noch nicht abgeschlossen. Einen maßgeblichen Anteil daran, dass viele der Ereignisse aus der Zeit vor 1989 nicht vergessen werden, hat auch das Amt für die Ermittlung und Dokumentation der kommunistischen Verbrechen, obwohl sich auch dort mit der Zeit die Prioritäten verlagert haben, wie der Historiker Jan Kalous abschließend ausführt:
"In der ersten Phase des Bestehens unserer Dokumentationsstelle standen die Ermittlungen in Fällen von kommunistischer Willkür im Vordergrund. Man darf aber nicht vergessen, dass das in gewisser Weise ein Wettlauf mit der Zeit ist, weil viele der Fälle mehr als ein halbes Jahrhundert zurück liegen und es folglich schwer ist, nicht nur Zeugen zu finden, sondern auch die Täter von damals zur Rechenschaft zu ziehen. Im Laufe der Zeit hat sich aber der Schwerpunkt eindeutig in Richtung Dokumentation verlagert. In den letzten Jahren hat sich unser Amt zum Beispiel relativ oft mit Fällen beschäftigt, in denen kommunistische Grenzpolizisten auf Menschen geschossen haben, die versucht haben damals illegal über die Grenze das zu verlassen. Das sind alles Fälle aus den 70er oder 80er Jahren, wo man annehmen kann, dass sowohl die Täter wie auch die Zeugen noch am Leben sind und es in Zukunft auch noch zu einem Gerichtsprozess führen könnte."