„Das Miteinander betonen“ – Dichter Brandl über seine Beziehungen zu Böhmen
Der Amberger Schriftsteller Friedrich Brandl ist in diesem Jahr 70 Jahre alt geworden. Rechtzeitig zum runden Jubiläum erschien sein neuer Lyrikband „inmitten meiner grünen insel“. Die Lyrik war für Friedrich Brandl immer auch ein Medium, um Böhmen zu erkunden und die Begegnung mit tschechischen Dichtern zu suchen. 2014 wurde Friedrich Brandl für sein Engagement für gutnachbarliche Beziehungen mit dem Preis Brückenbauer des Vereins Bavaria Bohemia ausgezeichnet. Am Sitz dieses Vereins, dem Zentrum Bavaria Bohemia im oberpfälzischen Schönsee, entstand auch das folgende Gespräch mit Friedrich Brandl.
„Es hat gar nicht sehr lange gedauert, weil wir schon seit 1990 Kontakt zu westböhmischen Autoren hatten, 1991 hatten wir dann ein Treffen, und ich war 1992 zusammen mit westböhmischen Autoren auf Schloss Doříš.“
Haben Sie sich auch schon vor der Wende für die Tschechoslowakei interessiert?
„Ja, das hatte auch familiäre Gründe. Die Eltern meiner Frau kamen aus dem Sudentenland. Mein verstorbener Schwiegervater war Jurist in Prag, der Onkel Professor an der Kunstakademie in Prag, und meine Frau hatte eine Halbschwester, die bis vor wenigen Jahren noch in Prag gelebt hat. Wir haben sie öfter besucht, aber sie ist jetzt leider schon verstorben.“
Bereits 1993 haben Sie sich an einem deutsch-tschechischen Projekt beteiligt, als Sie einige Ihrer Gedichte in dem Lesebuch „Zwischen Radbuza und Regen“ veröffentlichten, das von den Schriftstellern František Fabian, Josef Hrubý und Bernhard Setzwein in Amberg herausgegeben wurde. Haben Sie damals bereits persönlich tschechische Autoren gekannt?„Mit Josef Hrubý verbindet mich seit unserem ersten Treffen 1991 eine aufrichtige Freundschaft. František Fabian habe ich etwas später kennengelernt – und natürlich dann auch einige der Autorinnen und Autoren, die an dem Lesebuch mitgewirkt haben.“
In den folgenden Jahren haben Sie mehrmals an gemeinsamen Lesungen deutscher und tschechischer Autoren teilgenommen und auch solche Lesungen initiiert. Welche tschechischen Schriftsteller sprechen Sie am meisten an?
„Es gab die Literaturzeitschrift Passauer Pegasus, die – ich glaube, es war 1996 – einen Band mit tschechischer Literatur herausgebracht hat. Und im Literaturarchiv in Sulzbach-Rosenberg war Jaroslav Rudiš öfters zu Gast. Ihn habe ich dort kennengelernt. Auch bei den Weidener Literaturtagen sind tschechische Schriftsteller aufgetreten, wie zum Beispiel Jiří Grůša. Aber gelesen habe ich sehr gerne Bohumil Hrabal, Franz Kafka, Milan Kundera und natürlich die gemeinsamen Grundlagen von Bayern und Böhmen, Adalbert Stifter und Rainer Maria Rilke.“Ihre eigene schriftstellerische Laufbahn haben Sie in den 1980er Jahren mit Mundartgedichten begonnen, diese haben Sie zuerst im Eigenverlag und in Sammelbänden herausgebrachte. Bald schon kristallisierte sich eine ganz persönliche lyrische Handschrift heraus. Die Botschaft des lyrischen Subjekts ist mit Landschaftsmerkmalen verknüpft. Die Topographie wird zum Ausgangspunkt für lyrische Betrachtungen. Eine besondere Rolle spielen dabei Gesteine. Ich denke an den Gedichtband „Flussabwärts bei den Steinen“ oder die Gedichtsammlungen „Schiefer“, „Granit“ und „Kalk“. Was können Landschaftsformen und leblose Steine über den Menschen aussagen?
„Mich hat es immer fasziniert, zu Fuß zu gehen. Wenn man zu Fuß durch die Landschaft geht, lernt man sie ganz anders kennen, als wenn man mit dem Auto oder mit dem Bus fährt. Die Landschaften prägen die Menschen. Es gibt eine gemeinsame Landschaft des Böhmerwaldes und des Bayerischen Waldes. Das Fundament aus Granit ist für mich etwas Verbindendes, nicht etwas Trennendes, wie die Grenze es war. Über Steine kann man nachdenken, über ihre Härte, ihre Zerbrechlichkeit, ihren Nutzen oder auch das Benutzt-Werden, wenn ich nur an das geschichtlich belastete Gestein Granit denkt. Mich fasziniert die Vergänglichkeit, aber anderseits auch Beständigkeit von Gesteinen. Und das wollte ich auch in Gedichten niederschreiben.“Es gibt also die deutsche Eiche und die tschechische Linde, der bayerisch-böhmische Granit ist bei Ihnen aber eine verbindende Gesteinsart. Die Gedichtsammlung „Granit“ wurde von dem Pilsner Lyriker Josef Hrubý auch ins Tschechische übersetzt. 2006 haben Sie eine literarische Wanderung entlang der Goldenen Straße von Pilsen nach Amberg unternommen. Mit Ihnen zusammen sind die oberpfälzischen Schriftsteller Bernhard Setzwein und Harald Grill gewandert. Was ergab sich bei dieser Wanderung für Sie?
„Vor allem die Entdeckung der Langsamkeit. Wir waren zwei Wochen unterwegs von Pilsen nach Amberg. Und die Begegnung mit Menschen, auch die Hintergründe, die wir erfuhren. Vieles aus dieser Wanderung fand später Niederschlag in Gedichten.“Es blieb nicht bei dieser einen Wanderung. Im darauffolgenden Jahr wurde sie um die Strecke Pilsen-Prag ergänzt, die Sie im Auftrag des Goethe-Instituts Prag erkundeten. Später sind Sie zu Wanderungen entlang von tschechischen und bayerischen Flussläufen aufgebrochen. Welcher böhmische Fluss hat Sie am meisten beeindruckt?
„Ich kann nicht direkt „am meisten“ sagen, aber sehr beeindruckt hat mich 2006 die Wanderung entlang der Mies. Diese entspringt ja in der Oberpfalz, fließt dann nach Pilsen und vereinigt sich mit der Radbuza zur Berounka. Wir sind die Berounka entlanggewandert – was phantastisch war – bis zu der Stelle, wo sie in die Moldau mündet, und dann die Moldau entlang bis nach Prag. Dort sind wir bis zur Karlsbrücke gewandert, um die Moldaubrücken zu sehen. Doch auch die Quelle der Moldau im bayerisch-böhmischen Grenzgebiet hat mich sehr beeindruckt. Ich war schon mehrmals dort.“Die Goldene Straße bildete auch den Inhalt einer von Ihnen initiierten Schulpartnerschaft zwischen zwei Sekundärschulen, der Krötensee-Schule in Sulzbach-Rosenberg und der T.-G.-Masaryk-Schule in Rokycany, die nun schon seit vielen Jahren besteht. Nach Ihrer Pensionierung haben Sie sich dann wieder verstärkt der Literatur zugewendet. 2013 haben Sie das Poem „Jiná Šumava“ / „Der andere Böhmerwald“ von Břetislav Ditrych ins Deutsche übersetzt. Warum gerade dieses?„Ich bin seit seiner Eröffnung mit dem Zentrum Bavaria Bohemia verbunden, und man hat mich gefragt, ob ich diese Arbeit machen möchte. Denn Studenten aus Pilsen hatten eine wörtliche Übersetzung des Poems angefertigt. Ich habe dann versucht, dem Ganzen eine literarische Form zu geben. Ich hab mich in Pilsen mit Břetislav Ditrych getroffen, habe mit Josef Hrubý gesprochen und mit Dr. Peter Becher in München korrespondiert. Dieser Text erscheint mir sehr beeindruckend. Denn er deckt die Vergangenheit nicht zu und wischt sie auch nicht weg, doch er rechnet auch nicht auf. Der Text will meinem Verständnis nach versöhnen, und er endet ja auch mit dem Schlusssatz: ‚Und mit zaghafter Hoffnung frage ich mich nach der Zukunft‘.“
Das ist ein schöner Schluss… 2014 wurden Sie vom Verein Bavaria Bohemia mit dem Preis Brückenbauer ausgezeichnet. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?„Ich betrachte den Preis als eine sehr große Ehre, besonders wenn ich mir ansehe, wer in den letzten Jahren alles ausgezeichnet worden ist. Dazu gehören auch ein tschechischer Außenminister, Karel Schwarzenberg, oder ein Oberbürgermeister von Regensburg sowie Josef Hrubý. Ich möchte durch die persönlichen Beziehungen das Miteinander betonen. Wenn man sich persönlich näher kommt, bleibt kein Platz mehr für Hass und Abrechnung. Das ist mir aufgrund meiner Familiengeschichte wichtig, und bedeutet mir ebenso ganz persönlich viel. Ich pflege diese Haltung auch schon seit 50 Jahren gegenüber Frankreich.“
Am 24. November stellt Friedrich Brandl im Centrum Bavaria Bohemia in Schönsee, wo dieses Gespräch stattfand, gemeinsam mit Břetislav Ditrych dessen bereits erwähntes Poem über den Böhmerwald vor. Das Poem ist kürzlich zweisprachig unter dem Titel „Hořce voní arnika. Jiná Šumava – Bitter duftet Arnika. Der andere Böhmerwald“ in Buchform erschienen. Außerdem hat Brandl in diesem Jahr den neuen Gedichtband „inmitten meiner grünen insel“ herausgegeben. Neben älteren „Gartengedichten“ enthält er auch neue Sonettkränze, aus denen wir eines diesem Beitrag beigefügt haben.
Sonett Nummer neun aus dem Sonettkranz „Blick von oben“
ist alles eng auch unten, hier herrscht weite.
der blick von pilsens kathedrale reicht
ins tal hinaus, kamelgelenkt und leicht
der weg, den schon jan hus und seine leute einst zogen. Wege heute neu begehen,
so machten wir uns auf zu dritt, zu fuß
die mies entlang und jahrs darauf am fluss
nach prag, den andern jan dort zu verstehen am wenzelsplatz inmitten dieser stadt,
die so wie keine andre hass und leid
erlebt hat: deutsche, tschechen, juden. Zeit zu lesen, rilke, kafka, hrabal. Rat
zu finden in gedichten selbst bei sturm
von oben auf dem berg oder auch turm.