Der Arbeitsmarkt in der Tschechischen Republik im Blick auf den EU-Beitritt

Die Lage auf dem Arbeitsmarkt war bereits vor den Juni-Wahlen in der Tschechischen Republik ein Thema und bleibt auch für die neue Regierung auf der politischen Tagesordnung. Daher steht im Mittelpunkt der heutigen Ausgabe des Wirtschaftsmagazines die Einschätzung eines hohen Beamten des Arbeits-und Sozialministeriums zur Beschäftigungssituation in Tschechien. Auch die Hoffnungen und Befürchtungen, die sich im Blick auf den erwarteten EU-Beitritt ergeben, werden dabei angesprochen. Am Mikrophon begrüsst Sie, verehrte Hörerinnen und Hörer, Jürgen Siebeck.

Die derzeitige Situation auf dem Arbeitsmarkt wird von Herrn Generaldirektor Zdenìk Kadlec vom Büro des Ministers für Arbeit und Soziales wie folgt beschrieben:

"In diesen Monaten beträgt die Arbeitslosigkeit 8,6 % im Durchschnitt der gesamten Tschechischen Republik. Dabei gibt es natürlich grosse regionale Unterschiede. Besonders hoch ist die Arbeitslosigkeit in den Gebieten, in denen Schwerindustrie war, wo die Landwirtschaft vorherrschte und wo wir die grössten Probleme mit der Restrukturalisierung haben. Dies sind vor allem die Regionen in Nordwestböhmen und der Mährisch-Schlesische Bezirk um Ostrava. Die höchste Rate weist zur Zeit der Arbeitsamtsbereich von Most auf mit 21,1 %."

Dagegen kann man in Prag fast von einer Vollbeschäftigung ausgehen.

"In den Jahren unmittelbar nach der Wende war die Arbeitslosigkeit mit 2,6% sehr niedrig, dann gab es einen starken Anstieg. In der letzten Zeit steigt der Wert nicht mehr so schnell und wir gehen in unseren Prognosen von einem Wert von 8-9 % bis zum Jahre 2008 aus."

Natürlich gibt es - wie auch in anderen Staaten - besondere Problemgruppen unter den Arbeitslosen:

"Besondere Problemgruppen unter den Arbeitslosen sind die jungen Leute, die Menschen mit geringer Ausbildungsqualifikation, Frauen mit kleinen Kindern, Leute mit verschiedenen Behinderungen und die Langzeitarbeitslosen."

Die Regierung bekämpft die Arbeitslosigkeit mit aktiven Massnahmen, wie sie im Nationalen Plan für den Arbeitsmarkt beschrieben werden. Neben der Finanzierung von Arbeitsförderungsmassnahmen für die Problemgruppen wird auch das Instrument der Direktinvestitionen in Regionen mit höherer Arbeitslosigkeit genutzt. Insgesamt wird fast ein halbes Prozent des Bruttoinlandsproduktes für die Arbeitslosen und die aktive Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ausgegeben. Natürlich müssen auch die angestrebten Reformen des Schul- und Ausbildungssystemes im Zusammenhang mit den Bedingungen des Arbeitsmarktes gesehen werden. Ein Stichwort ist hier der Trend zum "Lebenslangen Lernen".

"Schon jetzt unterstützen die Arbeitsämter verschiedene Requalifikationen."

Auch das System der innerbetrieblichen Fort- und Weiterbildung, das einige grössere tschechische Unternehmen bereits erfolgreich praktizieren, bedarf in Zusammenarbeit mit den Arbeitgebern und der Unterstützung staatlicher Stellen der Ausweitung auf die Klein- und Mittelbetriebe.

"Im Zuge des erwarteten EU-Beitritt Tschechiens erwarten wir in der Arbeitslosenrate keine dramatischen Veränderungen. Bei der Restrukturierung der tschechischen Wirtschaft und Gesellschaft sind viel grössere soziale und legislative Probleme zu bewältigen gewesen. Die gesetzlichen Bestimmungen, die in der Tschechischen Republik für den Arbeitsmarkt gültig sind, genügen bereits weitgehend den Anforderungen der Europäischen Union. Die grössten Änderungen sind schon im vorigen Jahr vorgenommen worden. In dieser Wahlperiode werden wir ein neues Gesetzbuch für den Arbeitsmarkt vorbereiten und wir werden die Koordinierung mit den europäischen Normen weiterführen."

Für die Kosten dieser Rechtsangleichung führt Generaldirektor Kadlec folgendes Beispiel aus dem Bereich der Arbeitsbedingungen und dem Sozialschutz an:

"Das Arbeitgeberlager wird insgesamt 11-12 Milliarden Kronen - also etwa 400 Millionen Euro - vor dem Beitritt zur EU oder in den ersten beiden Jahren danach aufbringen müssen."

Im Sektor der Schutzbestimmungen zur Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz werden mit bis zu 47 Milliarden Kronen noch weit höhere Kosten entstehen. Die Befürchtung, dass sich dadurch für tschechische Unternehmen generell entscheidende Verschlechterungen der Wettbewerbsposition auf den Märkten ergäben, teile er nicht.

"Zwar werden die Arbeitskosten ansteigen, aber die Endpreise für die Produkte werden sich im Durchschnitt nur um etwa 0,75 % erhöhen. Dies ist nicht soviel. Aber für manche Branchen und Firmen wird es schwierig."

Dies beträfe zum Beispiel den Bausektor und vor allem kleinere Firmen, weniger die Leichtindustrie und grössere Betriebe. Die ausländischen Firmen, die in Tschechien investiert haben, hätten dies nicht vorwiegend wegen der geringeren Arbeitskosten getan. Auch hätten Sie zum Teil in neue Technologien investiert. Von daher sei auch nicht von einer Abwanderung dieses Kapital und damit der Arbeitsplätze nach einem EU Beitritt auszugehen.

Der Beitritt zur EU werde nicht ursächlich zu einer höheren Flexibilisierung des Arbeitsmarktes in Tschechien führen. Hier sei die allgemeine wirtschaftliche Restrukturierung ein stärkerer Faktor. Allerdings müsse man auch notwendige flankierende Massnahmen berücksichtigen, wie zum Beispiel den Bau von Wohnungen in neuen Industriezonen oder Ballungsräumen als Bestandteil der Regionalentwicklung und Voraussetzung für Flexibilität der Arbeitskräfte.

Insgesamt allerdings werde sich eine Hebung des Lebensstandards und der Löhne ergeben.

"Wir erwarten, dass nach dem Beitritt der Tschechischen Republik zur Europäischen Union der Durchschnittsmonatslohn bis zum Jahr 2008 auf etwa 26 000 Kronen ansteigen wird. Heute ist es etwa 14 -17 000 Kronen pro Monat."

Wichtige Voraussetzungen seien dabei, dass die Arbeitsproduktivität schon in der Vorbereitungszeit auf den Beitritt steige, die Preiserhöhungen moderat seien und der EU Markt für tschechische Produkte immer weiter geöffnet werde.

Die allgemeine Verbesserung der Reallöhne werde auch die Zahl der tschechischen Arbeitnehmer im Ausland beeinflussen - zur Zeit etwa 30 000 Menschen.

"Die tschechischen Arbeitnehmer haben nur eine geringe Motivation für ökonomische Migration. Es wären hier vor allem über die Grenze pendelnde Arbeitskräfte, die aber weiter in Tschechien wohnen bleiben würden. Aber es werden keine grossen Zahlen sein. Auch für Österreich und Deutschland besteht hier keine Gefahr. Ich meine zwar, dass wir für diese Problematik keine Übergangsfristen brauchen. Aber wir akzeptieren das, was wir mit der Europäischen Kommission vereinbart haben."

Und das ist zunächst einmal eine Übergangsfrist von zwei Jahren nach dem Beitritt. Dann gibt es eine Option auf weitere drei Jahre, wenn EU-Mitgliedstaaten dies beantragen und danach gegebenenfalls noch einmal zwei Jahre.

Für Tschechien sei vielleicht ein anderes Phänomen in diesem Kontext von Bedeutung: In den Grenzgebieten gäbe es schon jetzt in bestimmten Berufsbereichen mit hoher Ausbildungsqualifikation, zum Beispiel im Gesundheitswesen bei den Ärzten und noch mehr bei den Krankenschwestern, ein Abwandern in besser bezahlten Stellen der Nachbarländer. Der EU Beitritt würde dies allerdings kaum noch verstärken.

Andererseits arbeiteten in Tschechien etwa 165 000 Ausländer mit Arbeitsgenehmigung und vielleicht noch etwa 100 000 ohne ein solche Genehmigung. Er rechne auch hier nicht mit einer deutlichen Zunahme nach einem EU-Beitritt oder mit ansteigenden Wohlstand.

"Ich bin fest davon überzeugt, dass die Zahl der Tschechen, die im Ausland arbeiten werden, niemals die Grössenordnung der in Tschechien arbeitenden Ausländer erreichen wird. "

Nicht zuletzt deshalb, weil auch internationale Vergleiche belegten, dass tschechische Arbeitnehmer relativ wenig mobil seien. Schon innerhalb des Landes würden sie vorwiegend Stellen in ihrem angestammten, engeren Umfeld annehmen.

Herr Generaldirektor Kadlec vom tschechischen Arbeits-und Sozialministerium widerspricht damit den immer wieder in Deutschland und Österreich nicht nur an Stammtischen aufkommenden Ängsten vor der vermeintlichen Überflutung der dortigen Arbeitsmärkte mit billigen tschechischen Arbeitskräften. Diese Annahme wird übrigens bestätigt durch die Erfahrungen in den Mitgliedsstaaten bei der Süderweiterung der EU.

Damit sind wir am Ende des heutigen Wirtschaftsmagazines. "Na shledanou" aus Prag sagt Ihnen Jürgen Siebeck.

Autor: Jürgen Siebeck
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