Der Oberschenkel der Nation

Jan Koller (Foto: CTK)
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Der Aufschrei der Nation erfolgte um 18.43h. Nationalstürmer Jan Koller sackte nach einem Laufduell mit dem amerikanischen Abwehrspieler Onyewu ohne Fremdeinwirkung zusammen und hielt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht den rechten Oberschenkel. Tschechiens Fußballfans - freilich abzüglich derer, die aufgrund des bis dato zweifachen Torjubels bereits in ihren Biergläsern versunken waren - stockte der Atem. Als dann ein paar Stunden später auch noch der tschechische Mannschaftsarzt Jiri Fousek den Journalisten die ungeheuer präzise Aussage in die Blöcke diktierte, Kollers Zwangspause werde "zwischen zehn Tagen und sechs Wochen dauern", war klar: Nach Tottis gebrochenem Wadenbein, Rooneys Mittelfußfraktur und dem unerträglichen Theater um Ballacks Wade, hat nun auch die Tschechische Republik ihren "Oberschenkel der Nation", an dem das Glück eines ganzen Fußballlandes zu hängen scheint.

Jan Koller  (Foto: CTK)
Aber halt! Ist Fußball nicht ein Mannschaftssport, in dem es elf Freunde bedarf, um den WM-Titel nach Prag zu holen? Nun ja, eigentlich schon. Aber es gibt eben Spieler, da reicht anscheinend die pure Anwesenheit auf dem Feld schon aus, um dem Gegner Furcht und Schrecken einzujagen. Der Zwei-Meter Hüne Koller ist so ein Fall. Die Amerikaner hatten jedenfalls schon Wochen vor dem Anpfiff Angst vor ihm und selbst Präsident Bush, der wohl zum ersten Mal ein Fußballspiel sah, wünschte Koller & Co. "die Hölle". Vergeblich. Der amerikanische Abwehrspieler sprang in der sechsten Minute auch vorsichtshalber gar nicht erst hoch, als der "weise Riese" zum 1:0 einnickte. Er wäre eh nicht an den Ball gekommen. Etwa 30 Minuten später war die tschechische Fußballwelt allerdings nicht mehr in Ordnung.

Milan Baros  (Foto: CTK)
Was sich seit Dienstagmorgen in den großen Tageszeitungen des Landes bzw. auf den einschlägigen Internetseiten abspielt, erinnert sehr an den ganzen Zirkus, den Italien, England und zuletzt auch Deutschland durchleben mussten. Ganz egal, wo der geneigte Anhänger des tschechischen Fußballs nun hinschaut, er findet überall selbsternannte und manchmal sogar echte Experten, die Kollers Oberschenkelverletzung detailgenau analysieren. Erst hieß es Muskelriss, dann nur eine leichte Zerrung, die im Laufe der Woche doch wieder schlimmer war, für alle nicht medizinisch bewandten sogar noch anschaulich mit Bildern untermalt. Jeder Tscheche dürfte nun über das Innenleben von Kollers rechtem Oberschenkel ähnlich gut bescheid wissen wie über den Biervorrat in seinem Kühlschrank.

Ein Blick in den tschechischen Sturm lässt die Sorgenfalten allerdings tiefer werden. Der andere ebenfalls verletzte Superstar, Milan Baros, verkündete aber unter der Woche stolz, dass er - welch unglaublicher Fortschritt - schon fähig sei, sich am Samstag gegen Ghana auf die Bank (anstatt auf die Tribüne) zu setzen. Immerhin, der tschechische Fußballverband ließ am Mittwoch trotzig verlauten, Koller werde im Viertelfinale wieder auflaufen - eine Aussage, die impliziert, dass die Mannschaft um Trainerlegende Karel Brückner mit Italien oder Brasilien eine der großen Fußballnationen (direkt oder indirekt) im Achtelfinale nach Hause schickt. Trotz aller Rückschläge - der tschechische Fußball strotzt nur so vor Selbstbewusstsein.

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