"Der tschechische Traum" - Hypermärkte verändern das Leben der Tschechen
Das Konsumangebot gilt als der erste Bereich der Wirtschaft, in dem Tschechien die westlichen Ländern eingeholt, wenn nicht gar überholt hat. Einen wesentlichen Anteil daran haben die riesigen Einkaufszentren, die sogenannten Hypermärkte, die in den letzten Jahren überall im Land entstanden sind und nicht nur das Einkaufsverhalten vieler Tschechen nachhaltig verändert haben. Inzwischen werden gegen sie aber immer mehr kritische Stimmen laut. Es berichtet Thomas Kirschner.
"Schau´ mit den Augen eines Kindes, (...)
Die ganze Welt kannst Du haben -
Du musst nur ein wenig wollen! (...)
Und wenn Du kein Geld hast,
Dann leih´ Dir was und sag nur:
´Ich will mir einen schönen Traum erfüllen...´"
Nicht nur die Kunst macht den Hypermarkt zum Thema, auch gesellschaftlicher Widerstand regt sich, vor allem seitens junger, alternativer Gruppierungen. Besonders aktiv ist hier die Vereinigung NESEHNUTÍ aus dem mährischen Brno / Brünn. Der Name ist die Abkürzung für "Unabhängige soziale ökologische Bewegung" und bedeutet zugleich soviel wie "Nicht-Unterwürfig". Nicht wehrlos unterwerfen wollen sich die Brünner auch dem Boom der Einkaufszentren. Deshalb haben sie die Kampagne "Zaostreno na hypermarkety" ins Leben gerufen, zu Deutsch etwa "Hypermärkte aufs Korn genommen". Mit Wanderausstellungen, Aktionen und Seminaren versucht die Gruppe, das gesellschaftliche Bewusstsein für die negativen Auswirkungen der riesigen Einkaufszentren zu schärfen. Mittlerweile sind in ihrer Regie sogar zwei Publikationen entstanden, die sich auf wissenschaftlicher Ebene mit dem Problem der Hypermärkte in Tschechien befassen. Filip Fuchs von NESEHNUTÍ erklärt, warum diese Initiative gerade von Brünn ausgeht:
"Gerade hier in Brünn ist der erste Hypermarkt Tschechiens entstanden. Das war im Jahr 1996. Ein weiterer Grund ist der, dass Brünn eine der Städte mit der höchsten Dichte an Hypermärkten in der Tschechischen Republik ist, also ist die ganze Reihe der negativen Auswirkungen, auf die wir hinweisen, in unserer Stadt schon sichtbar geworden."
Obwohl es sich bei NESEHNUTÍ um eine Bürgerinitiative handelt, deren Einfluss im Vergleich zu dem der großen Konzerne sehr gering ist, bewerten die jungen Brünner die Ergebnisse ihrer Arbeit dennoch positiv. Ein besonderer Erfolg liegt gerade erst einige Monate zurück, als man mit dazu beitragen konnte, ein Einkaufszentrum zu verhindern, das im ostböhmischen Havlickuv Brod in unmittelbarer Nachbarschaft zu der ältesten Kirche der Stadt gebaut werden sollte. Was aber stört die Kritiker allgemein an den Hypermärkten, die bei einem Großteil der Menschen in Tschechien schließlich sehr beliebt sind? Nochmals Filip Fuchs:
"Anhand einer Reihe von Beispielen hat es sich in Tschechien gezeigt, dass neue Hypermärkte und Supermärkte die Pleite kleinerer Geschäfte mit sich bringen; vor allem die Stadtzentren veröden. Außerdem verursachen sie einen enormen Anstieg des Autoverkehrs, und diese Probleme muss dann die Gemeinde lösen, auch wenn sie von den Geschäften verursacht wurden. Ein weiterer Grund, warum wir die Hypermärkte ablehnen, ist die ausgesprochen aggressive Werbung, die starke Propagierung einer konsumorientierten Lebensweise."Unbegrenzten Konsum zu billigsten Preisen, das versprachen auch die Prospekte des Hypermarktes "Cesky sen" aus dem gleichnamigen Film. Klar, dass dieser tschechische Traum nicht gut ausgehen kann. Bei der ganz realen Eröffnung des fiktiven Hypermarktes am 31. Mai vergangenen Jahres am Stadtrand von Prag stürmten tausende Kauflustiger auf die riesige Fassade des Marktes zu. Aus der Nähe entpuppte sich diese jedoch als potemkinsches Dorf, als Filmkulisse: Eine überdimensionale regenbogenfarbige Plakatwand mit der Aufschrift "Tschechischer Traum" - und dahinter: nur die weite grüne Wiese. Vielleicht das, wovon es sich wirklich zu träumen lohnt.