"Der tschechische Traum" - Hypermärkte verändern das Leben der Tschechen

Vit Klusak und Filip Remunda

Das Konsumangebot gilt als der erste Bereich der Wirtschaft, in dem Tschechien die westlichen Ländern eingeholt, wenn nicht gar überholt hat. Einen wesentlichen Anteil daran haben die riesigen Einkaufszentren, die sogenannten Hypermärkte, die in den letzten Jahren überall im Land entstanden sind und nicht nur das Einkaufsverhalten vieler Tschechen nachhaltig verändert haben. Inzwischen werden gegen sie aber immer mehr kritische Stimmen laut. Es berichtet Thomas Kirschner.

Mit Verkaufsflächen bis zu der Größe eines Fußballfeldes und der Strategie, unter einem Dach alle Waren anzubieten, die ein durchschnittlicher Verbraucher wenigstens einmal im Jahr kauft, stellen die Hypermärkte herkömmliche Supermärkte bei weitem in den Schatten. Nicht selten haben sie rund um die Uhr geöffnet, selbstverständlich auch an Sonn- und Feiertagen, und die Mitarbeiter flitzen auch schon mal auf Rollschuhen die endlosen Regalreihen entlang. Die tschechischen Kunden scheinen geradezu auf dieses neue Einkaufserlebnis gewartet zu haben: Seit Ende der 90er Jahre sind in Tschechien insgesamt 125 Hypermärkte entstanden. Ihr Anteil am Lebensmitteleinzelhandel beträgt mittlerweile rund 40 Prozent und ein weiteres Wachstum ist abzusehen. Diese Entwicklung geht vor allem auf Kosten der kleinen Geschäfte in der Nachbarschaft, die in Tschechien noch bis vor wenigen Jahren den Hauptanteil am Lebensmittelhandel hatten.

Cesky sen - der tschechische Traum
"Cesky sen", der tschechische Traum, so heißt der neue Film der jungen Regisseure Vít Klusák und Filip Remunda, der vor kurzem in den tschechischen Kinos anlief und das Phänomen der Hypermärkte zur Diskussion stellt. Der tschechische Traum, wie ihn Klusák und Remunda sehen, ist nicht ein Leben in Freiheit und Demokratie und auch nicht das Familienglück auf der Chata, dem Wochenendhäuschen abseits der Stadt. Der tschechische Traum heute, das ist Schwelgen in der bunten Warenwelt und ungebremster Konsum in den überall neu entstehenden riesigen Einkaufstempeln, den Hypermärkten. Mit ihrem Film wollen die jungen Regisseure nun der tschechischen Gesellschaft einen Spiegel vorhalten. Vor gut einem Jahr startete in Prag eine großangelegte Werbekampagne, die zur Eröffnung eines neuen Hypermarktes am Stadtrand Prags einlud. Auf Handzetteln, Prospekten, Reklametafeln und sogar auf Prager Straßenbahnen prangte wochenlang unübersehbar das freundliche blau-weiße Logo: Die Filmemacher hatten kurzerhand einen fiktiven Hypermarkt gegründet, den sie nun ganz real bewarben. Die Vorbereitungen für die Eröffnung des Marktes, von der Entwicklung der Werbestrategie bis hin zu ersten Reaktionen der Bevölkerung dokumentieren Klusák und Remunda mit der Kamera. Der Name ihres Hypermarktes: "Cesky sen", der tschechische Traum. Für Rundfunkspots war sogar eigens eine "Hyperhymne" komponiert worden, die den "tschechischen Traum" in Worte fasst:

"Schau´ mit den Augen eines Kindes, (...)

Die ganze Welt kannst Du haben -

Du musst nur ein wenig wollen! (...)

Und wenn Du kein Geld hast,

Dann leih´ Dir was und sag nur:

´Ich will mir einen schönen Traum erfüllen...´"

Vit Klusak und Filip Remunda
Wie sehr dieser tschechische Traum für einige schon zur Realität geworden ist, zeigt der Film am Beispiel einer Familie, die ihre Wochenenden überwiegend in den großen Einkaufszentren verbringt. Die Frage, wie es denn vorher war, produziert erstauntes Schweigen - niemand kann sich mehr recht erinnern.

Hypermarkt namens Ceský sen
Neben dem Film hinterfragen derzeit auch andere Projekte zunehmend kritisch das Phänomen der Hypermärkte in Tschechien. So präsentierte im vergangenen Monat das Prager Nationaltheater das Stück "Hypermarket" des slowakischen Autors Viliam Klimácek. Dieser sieht im Hypermarkt mit seinem Versprechen von unbegrenzten Möglichkeiten eine Chiffre der gegenwärtigen Gesellschaft und einen Ort, an dem sich die Schicksale heutiger Helden treffen. "Ihr kommt für Kaugummi her und geht mit einer Mikrowelle weg. Die Leute kommen vom Einkaufen nach Hause und entladen ihre Anspannung im Sex", so eine von Klimáceks Figuren. Das Stück wurde in einer eigens dafür errichteten provisorischen Sommerbühne auf dem Vorplatz des Nationaltheaters gezeigt, wobei sich die Zusachauer mitten in den nachgebauten Regalstraßen eines Hypermarktes wiederfanden.

Nicht nur die Kunst macht den Hypermarkt zum Thema, auch gesellschaftlicher Widerstand regt sich, vor allem seitens junger, alternativer Gruppierungen. Besonders aktiv ist hier die Vereinigung NESEHNUTÍ aus dem mährischen Brno / Brünn. Der Name ist die Abkürzung für "Unabhängige soziale ökologische Bewegung" und bedeutet zugleich soviel wie "Nicht-Unterwürfig". Nicht wehrlos unterwerfen wollen sich die Brünner auch dem Boom der Einkaufszentren. Deshalb haben sie die Kampagne "Zaostreno na hypermarkety" ins Leben gerufen, zu Deutsch etwa "Hypermärkte aufs Korn genommen". Mit Wanderausstellungen, Aktionen und Seminaren versucht die Gruppe, das gesellschaftliche Bewusstsein für die negativen Auswirkungen der riesigen Einkaufszentren zu schärfen. Mittlerweile sind in ihrer Regie sogar zwei Publikationen entstanden, die sich auf wissenschaftlicher Ebene mit dem Problem der Hypermärkte in Tschechien befassen. Filip Fuchs von NESEHNUTÍ erklärt, warum diese Initiative gerade von Brünn ausgeht:

"Gerade hier in Brünn ist der erste Hypermarkt Tschechiens entstanden. Das war im Jahr 1996. Ein weiterer Grund ist der, dass Brünn eine der Städte mit der höchsten Dichte an Hypermärkten in der Tschechischen Republik ist, also ist die ganze Reihe der negativen Auswirkungen, auf die wir hinweisen, in unserer Stadt schon sichtbar geworden."

Obwohl es sich bei NESEHNUTÍ um eine Bürgerinitiative handelt, deren Einfluss im Vergleich zu dem der großen Konzerne sehr gering ist, bewerten die jungen Brünner die Ergebnisse ihrer Arbeit dennoch positiv. Ein besonderer Erfolg liegt gerade erst einige Monate zurück, als man mit dazu beitragen konnte, ein Einkaufszentrum zu verhindern, das im ostböhmischen Havlickuv Brod in unmittelbarer Nachbarschaft zu der ältesten Kirche der Stadt gebaut werden sollte. Was aber stört die Kritiker allgemein an den Hypermärkten, die bei einem Großteil der Menschen in Tschechien schließlich sehr beliebt sind? Nochmals Filip Fuchs:

Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag
"Anhand einer Reihe von Beispielen hat es sich in Tschechien gezeigt, dass neue Hypermärkte und Supermärkte die Pleite kleinerer Geschäfte mit sich bringen; vor allem die Stadtzentren veröden. Außerdem verursachen sie einen enormen Anstieg des Autoverkehrs, und diese Probleme muss dann die Gemeinde lösen, auch wenn sie von den Geschäften verursacht wurden. Ein weiterer Grund, warum wir die Hypermärkte ablehnen, ist die ausgesprochen aggressive Werbung, die starke Propagierung einer konsumorientierten Lebensweise."

Unbegrenzten Konsum zu billigsten Preisen, das versprachen auch die Prospekte des Hypermarktes "Cesky sen" aus dem gleichnamigen Film. Klar, dass dieser tschechische Traum nicht gut ausgehen kann. Bei der ganz realen Eröffnung des fiktiven Hypermarktes am 31. Mai vergangenen Jahres am Stadtrand von Prag stürmten tausende Kauflustiger auf die riesige Fassade des Marktes zu. Aus der Nähe entpuppte sich diese jedoch als potemkinsches Dorf, als Filmkulisse: Eine überdimensionale regenbogenfarbige Plakatwand mit der Aufschrift "Tschechischer Traum" - und dahinter: nur die weite grüne Wiese. Vielleicht das, wovon es sich wirklich zu träumen lohnt.