Der Walzer lebt in Tschechien
Tanzkurse sind in Tschechien ein Überbleibsel der Donaumonarchie. Nichtsdestotrotz sind sie auch heute sehr beliebt.
„Auf diese Tanzschule bin ich über meine ehemaligen Mitschüler gekommen, sie haben ebenfalls bei unserem Lehrer das Tanzen gelernt. Ich bin hauptsächlich deswegen hier, damit ich die grundlegenden Gesellschaftstänze lerne. Doch nicht nur das, wir bekommen hier auch die Grundsätze des guten Benehmens mitgeteilt.“
Für tschechische Schulabgänger sind Tanzkurse freiwillig, und trotzdem besucht fast jeder einen in seiner Gymnasial- oder Mittelschulzeit. Man will ja beim Ball am Schuljahresende brillieren und auch noch etwas fürs spätere Leben mitnehmen. Aus der Klasse von Kateřina wagt sich fast jeder aufs Parkett:
„Aus unserer Klasse sind 15 Schüler dabei von insgesamt 20. Aber zum Tanzkurs kommen viel mehr Leute, auch aus anderen Klassen aus unserer Schule.“
Immerhin ist es ein Hauch von Eleganz und Glamour in der Turnhalle der mittelböhmischen Kleinstadt. Denn in Jogginghose und Turnschuhen lassen die Tanzlehrer niemanden das Tanzbein schwingen:
„Die Damen haben hier entweder Bluse und Rock oder ein Kleid. Bei den Herren muss ein Sakko mit Hemd sein oder eben ein Anzug sowie weiße Handschuhe. Und natürlich dürfen die Lackschuhe nicht fehlen. Manchen gefällt das nicht, aber sie überleben es natürlich. Und am Ende merkt jeder, wie gut ihm die feine Kleidung steht.“Eine Tradition mit Stil
Aufs Parkett bringt die Abiturienten Jiří Černý. Er betreibt die Tanzschule in Žďár nad Sázavou.
„Wir haben 1992 angefangen, wir machen das hier also schon relative lange. Meine Frau war professionelle Tänzerin und vertrat Tschechien auch bei internationalen Wettbewerben, sowohl in Standard als auch in Latein. Angefangenen haben wir mit einem Kurs in einer Stadt auf der Böhmisch-mährischen Höhe, haben aber schnell immer mehr Kunden gewonnen. Derzeit veranstalten wir neun Kurse in allen größeren Städten der Region mit Ausnahme von Třebíč.“Auch heute noch gilt in Tschechien, dass Tanzen zum guten Ton gehört. Eigentlich ist die Begeisterung für den Tanz und auch für offizielle Bälle ein Relikt der k.-u.-k.-Zeit. Gerade deshalb ist es bemerkenswert, dass diese Faszination auch im modernen Tschechien noch so groß ist. Das Land ist damit, vielleicht noch mit Ausnahme von Österreich, ein Unikat in Europa. Das glaubt zumindest Marcela Černá. Sie ist Tanzlehrerin und Ehefrau von Tanzschul-Besitzer Jiří Černý:
„Wir wissen, dass es in anderen europäischen Ländern anders ist mit dem Tanzen. Beispielsweise waren unsere Freunde aus den Niederlanden baff als sie die ganzen Jugendlichen bei uns im Übungssaal gesehen haben. Sie konnten kaum glauben, dass wir hier tatsächlich nicht nur einen viermonatigen Tanzkurs anbieten, sondern auch Kurse im guten Benehmen, Kleiderordnungen und Ähnlichem und trotzdem wirtschaftlich überleben. Sie haben gesagt, dass dies einfach wunderbar ist.“Jiří und Marcela Černý wollen mit dem Tanz vor allem junge Leute erreichen:
„Den jungen Leuten sind Tänze am nächsten, die wir als ‚Disco’ bezeichnen würden. Auch wenn das mit den klassischen Disco-Tänzen aus den 1970er Jahren nicht mehr viel zu tun hat. Deshalb eröffnen wir unsere Kurse immer mit einem derzeit beliebten Tanz, damit die Jugendlichen auch in die nächste Stunde kommen. Wenn wir beispielsweise mit einem schwierigen Walzer beginnen würden, wäre das kein Genuss mehr für die Jungen und sie würden auf die Tanzstunden pfeifen.“
Nur die Demografie ist ein Problem
Doch obwohl Standard und Latein immer noch ein großes Prestige in Tschechien genießen, kommen immer weniger Interessierte in die Stunden. Laut Jiří Černý hat das aber nicht nur mit einer sinkenden Begeisterung für den Rhythmus zu tun:„Das Interesse ist zwar immer noch groß, es gibt aber generell immer weniger junge Menschen hier. Das hat mit der demografischen Entwicklung in Tschechien zu tun, denn die geburtenstarken Generationen aus den 1970er und 1980er Jahren sind schon zu alt für uns. Damit beobachten wir einen natürlichen Rückgang unserer Schülerzahlen. Nichtsdestotrotz kommen fast alle Schüler der Sekundarstufen zu uns.“
Viele Tanzschulen reagieren deshalb mit kleineren Kursen und indem sie mehr Erwachsene begeistern wollen. Dazu Marcela Černá:
„Wenn die Jungen Spaß dabei haben, dann bleiben Tanzschulen immer eine Option. Unsere Kollegen in Prag und anderen großen Städten sagen, dass sie immer weniger Teenager in ihren Kursen haben, dafür aber immer mehr Erwachsene. Dort gibt es halt viel mehr Freizeitmöglichkeiten für die Heranwachsenden als hier in den Kleinstädten. Auf dem Land zählt immer noch die alte Devise – die Tanzschule ist hier immer noch ein Freizeitspaß bei dem man noch dazu etwas Neues lernt. In unseren Kursen sind nach wie vor mehr junge Leute als Erwachsene.“Ihr Ehemann fügt aber hinzu, dass er skeptisch ist für die Zukunft. Denn Walzer, Foxtrott und Co. sind ein Hobby, das durchaus ins Geld gehen kann:
„Naja, es ist tatsächlich so, dass alles von der wirtschaftlichen Lage im Land abhängt. Wenn die Eltern der Jugendlichen eine Arbeit haben und ausreichend verdienen, dann ist es viel wahrscheinlicher, dass sie ihre Kinder zum Tanzkurs einschreiben. Denn der ist ehrlich gesagt nicht billig und die eigentlichen Tanzstunden machen nur einen kleinen Teil der Gesamtkosten aus. Man muss einen Smoking beziehungsweise einen Anzug für die jungen Herren kaufen, oder aber ein Abendkleid für die jungen Damen. Dann kommen noch die Schuhe, eine Krawatte und weitere Accessoires dazu, und schon sind wir bei weitaus mehr als nur bei ein paar hundert Kronen. All das ist sehr kostenintensiv, wenn auch der Tanzkurs an sich recht günstig ist.“ Doch zurück zur Abiturientin Kateřina. Die großen Abschlussbälle stehen zwar erst an, doch vor Publikum tanzen ist für die Schülerin kein Problem:„Wir haben mehrmals in der Saison sogenannte Tanzabende, zu denen auch unsere Eltern eingeladen sind. Diese Tanzabende finden auch in einem schöneren Saal statt, zudem gibt es dabei Wettbewerbe. Es sind also keine klassischen Tanzstunden, vielmehr geht es darum, unseren Eltern zu zeigen was wir können.“
Und erste Erfolge haben sich auch schon eingestellt:
„Natürlich haben mein Partner und ich ganz von vorne angefangen mit den grundlegenden Tanzfiguren. Dann haben wir bei unserem letzten Tanzabend einen der Wettbewerbe gewonnen. Wir sind bei der Polka erste geworden, und das war sehr lustig und wir haben das sehr genossen.“
Alles in allem bleibt zu sagen: Der Walzer ist nicht totzukriegen in Tschechien!