Deutsch-tschechische Beziehungen: Rege Reisediplomatie zwischen Berlin und Prag

Joschka Fischer und Vladimir Spidla (Foto: CTK)

Liebe Hörerinnen und Hörer, in einer weiteren Folge unserer Sendereihe Schauplatz geht nun Robert Schuster der Frage nach, ob das gegenwärtig entspannte Klima zwischen den Regierungen Deutschlands und der Tschechischen Republik lediglich ein momentanes Stimmungshoch ist oder von längerer Dauer sein könnte.

Joschka Fischer und Vladimir Spidla  (Foto: CTK)
Eigentlich weckte die Prager Visite des deutschen Außenministers Joschka Fischer von Anfang vergangener Woche den Anschein, als handle es sich um einen gewöhnlichen Besuch unter guten Nachbarn, begleitet von den üblichen politischen Gesprächen und diplomatischen Höflichkeiten. Aber dennoch markierte der Besuch Fischers den vorläufigen Höhepunkt in einem die vergangenen Monate andauernden Prozess der Entspannung zwischen Prag und Berlin. Mit dem Besuch des deutschen Bundeskanzlers Gerhard Schröder, der nächste Woche nach Prag kommt, wird sich endgültig jenes unrühmliche Kapitel schließen, dass im März vergangenen Jahres aufgeschlagen wurde. Damals - es war übrigens Wahlkampfzeit in Tschechien - bezeichnete Ministerpräsident Milos Zeman die Sudetendeutschen, die nach 1945 aus der früheren Tschechoslowakei vertrieben wurden, in einem Interview als "Fünfte Kolonne Hitlers". Einige Tage später setzte er noch eins drauf, in dem er während eines Arbeitsbesuchs in Israel der dortigen Regierung empfahl, das Problem mit den Palästinensern auf eine ähnliche Weise zu lösen, wie die Regierung der Nachkriegstschechoslowakei das sudetendeutsche Problem löste. Schröder reagierte damals prompt und sagte in einer Reaktion auf Zemans Entgleisungen einen vorher lange geplanten Abstecher nach Prag ab, der ursprünglich auch als indirekte Wahlkampfhilfe für die tschechischen Sozialdemokraten gedacht war, und verschob ihn auf einen späteren Zeitpunkt.

Die Irritationen der vergangenen Monate zwischen Berlin und Prag zeigten somit anschaulich, wie im Rahmen der allgemeinen außenpolitischen Wetterlage gerade bei den deutsch-tschechischen Beziehungen die Hochs und Tiefs eng bei einander liegen. Kann man also die Besuche der deutschen Spitzenpolitiker als Beweis dessen sehen, dass in das Verhältnis zwischen beiden Ländern nun endgültig wieder Normalität eingekehrt ist und die vergangenen Monate vergessen sind? Das fragte Radio Prag den Politikwissenschaftler Rudolf Kucera von der Prager Karlsuniversität, der sich schon seit vielen Jahren mit dem schwierigen Verhältnis der beiden ungleichen Nachbarn beschäftigt:

"Das ist eine große Veränderung, sicherlich ist das eine positive Entwicklung, weil nun endlich die im Frühjahr vergangenen Jahres abgesagte Visite von Kanzler Schröder nachgeholt wird. Das ist ein klares Signal, dass sich die Beziehungen verbessert haben und dass die jetzige tschechische Regierung hier andere Wege beschreitet, als die Vorgänger-Regierung unter Milos Zeman. Natürlich darf man aber nicht vergessen, dass Deutschland im Vergleich zu Tschechien kein unitaristischer Staat ist und wir bereits oft gesehen haben, dass die Regierungen einiger deutscher Bundesländer im Verhältnis zu Tschechien nicht immer einer Meinung mit Berlin sind. Und natürlich bleiben da aus der Sicht einiger deutscher Landesregierungen bestimmte Fragen nach wie vor im Raum stehen."

Bei den erwähnten Problemen gehe es in erster Linie um die sog. Benes-Dekrete, wie der Politikwissenschaftler Kučera im Gespräch mit Radio Prag noch hinzufügt, denn weite Teile der deutschen konservativen Opposition würden auch weiterhin auf der Aufhebung einiger dieser Normen pochen, die nach 1945 zur Grundlage für die Enteignung der Sudetendeutschen wurden. Kucera verwies in diesem Zusammenhang auch auf die Entschließung des deutschen Bundesrats im Zusammenhang mit der Zustimmung zur Erweiterung der Europäischen Union, worin die tschechische Regierung zu weiteren Schritten aufgefordert wird.

Joschka Fischer und Cyril Svoboda  (Foto: CTK)
Die Regierung von Vladimir Spidla hat ja in dieser Hinsicht in den vergangenen Monaten zumindest ein gewisses Entgegenkommen signalisiert. Unmittelbar nach dem erfolgreichen tschechischen Beitrittsreferendum zur Europäischen Union hatte das Kabinett in einer Erklärung sein Bedauern im Zusammenhang mit der Vertreibung der deutschen Minderheit aus der damaligen Tschechoslowakei nach dem Zweiten Weltkrieg bekundet. Diese offizielle Stellungnahme der Regierung war umso bemerkenswerter, als dass Spidla selber noch im vergangenen Sommer, also kurz nach seinem Wahlsieg in einem Interview für die Süddeutsche Zeitung meinte, die Vertreibung der Sudetendeutschen sei ein Akt gewesen, der wesentlich zur Sicherung des Friedens in Europa nach 1945 beigetragen hatte.

Wie hoch schätzt Kucera den Anteil dieser Regierungserklärung am gegenwärtigen Stimmungshoch in den deutsch-tschechischen Beziehungen ein?

"Ich meine, dass die besagte Erklärung der tschechischen Regierung ein sehr guter Schritt war, ein Signal, dass sich Prag wirklich bemüht, hier einen positiven Weg einzulegen und ich denke, dass das auch von der deutschen Bundesregierung anerkannt war. Ich rede bewusst von der Bundesregierung, weil die deutsche Opposition ja seit langem grundlegende Kritik an Prag übt und die Aussagen Spidlas nach dem Referendum lediglich als ersten Schritt in die richtige Richtung sahen, der aber aus Sicht der Unionsparteien bei weitem nicht ausreichend war."

Der Politologe Rudolf Kucera erwähnte bereits die unterschiedlichen Standpunkte zwischen den gegenwärtigen deutschen Regierungs- und Oppositionsparteien, gerade wenn es um Tschechien geht. Es ist jedoch nicht uninteressant, dass auch in der Tschechischen Republik sich ein ähnliches Bild abzeichnet. Die oppositionelle rechtsliberale Demokratische Bürgerpartei (ODS) fordert von der Regierung schon seit langem, einen harten Kurs gegenüber Deutschland einzuschlagen, um so präventiv allen möglichen Forderungen vorzubeugen. Besondere Zielscheibe der Bürgerdemokraten sind dabei die beiden kleineren Mitglieder in Spidlas Regierungskoalition, die Christdemokraten und die liberale Freiheitsunion, denen von der ODS vorgeworfen wird, nicht ausreichend die nationalen Interessen des Landes zu wahren. Den Grund dafür bilden, der Opposition zufolge, die engen Kontakte, welche die beiden Koalitionsparteien zu den oppositionellen deutschen Unionsparteien unterhalten.

Daran schließt sich auch unsere nächste Frage an Rudolf Kucera an, nämlich welche Auswirkungen auf das äußerst komplizierte Geflecht der deutsch-tschechischen Beziehungen ein Machtwechsel in beiden Ländern hätte, wenn also sowohl in Deutschland als auch in der Tschechischen Republik die jetzigen Oppositionsparteien das Ruder übernehmen würden? Würden dann die alten, durch die neuere Geschichte beeinflussten Probleme wieder zwangsläufig in den Vordergrund rücken und die politische Tagesordnung zwischen Berlin und Prag bestimmen?

"Ich muss ganz ehrlich gestehen, dass mir das sehr wahrscheinlich scheint. Sowohl in Deutschland, als auch in Tschechien haben die gegenwärtigen Regierungsparteien in den Umfragen keine guten Karten und die Opposition würde wohl die Regierung in beiden Ländern stellen. Ich fürchte sogar, dass sich in irgendeiner Weise die Situation der Jahre 1994 bis 1997 wiederholen könnte, also aus der Zeit vor der Verabschiedung der deutsch-tschechischen Versöhnungserklärung und regelmäßige Spannungen wären dann die Folge."

Tschechische Botschafter  (Foto: CTK)
Dennoch hat der jüngste Besuch von Joschka Fischer in Prag einen neuen Aspekt der Beziehungen beider Länder und mögliche Betätigungsfelder aufgezeigt, nämlich die Europapolitik. Das kam auch dadurch zum Ausdruck, dass der offizielle Anlass für Fischers Aufenthalt in Prag ein Hauptreferat des Ministers auf der alljährlich stattfindenden Versammlung aller tschechischen Botschafter und Geschäftsträger war. Wie bewertet abschließend der Politikwissenschaftler Rudolf Kucera die Perspektiven einer künftigen stärkeren Zusammenarbeit beider Länder, die ja doch unterschiedlich groß sind, im Rahmen einer erweiterten Europäischen Union?

"Da wird es wieder stark davon abhängen, wer dann die Regierung anführen wird. Aber grundsätzlich sehe ich eigentlich für Tschechien keine andere Möglichkeit als zu versuchen, künftig eng mit Deutschland zusammenzuarbeiten, schließlich ist es das größte Nachbarland und auch der wichtigste Wirtschafts- und Handelspartner. Was die weitere Entwicklung der Europäischen Union angeht, muss man sehen, dass gerade jetzt nach Erfahrungen im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg wieder ein neuer Versuch gestartet werden wird, gemeinsame Grundsätze einer europäischen Außenpolitik zu formulieren. Dann wird es darauf ankommen, ob das dann regierende tschechische Kabinett bereit sein wird, so etwas zu unterstützen. Die jetzige tschechische Opposition lehnt ja bekanntlich nicht nur eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik Europas, sondern auch generell die Verabschiedung einer Verfassung der Europäischen Union ab."