Deutschböhme an der Spitze der Meuterei in Cattaro

K. u. k. Kriegsflotte (Foto: Library of Congress, Public Domain)

Die Meuterei in der Bocche von Cattaro beziehungsweise Bucht von Kotor (im heutigen Montenegro) war einer der größten Matrosenaufstände der neuzeitlichen Geschichte. Am 1. Februar 1918 begann der Protest der Seeleute der k.u.k. Kriegsmarine gegen ihre unerträglichen Lebensbedingungen. Einer der Rebellenführer, Franz Rasch, stammte aus Mähren.

Seeleute der k.u.k. Kriegsmarine in der Bocche von Cattaro  (Foto: Public Domain)
Am 11. Februar 1918 um 6 Uhr morgens fand an der Friedhofsmauer des kleinen Ortes Škaljari am Ufer des Mittelmeers eine Hinrichtung statt. Vier Matrosen wurden dort erschossen. Sie gehörten zu den 4000 bis 5000 Männern, die in den ersten drei Februar-Tagen auf 40 Schiffen der k. u. k. Kriegsmarine die rote Flagge zum Zeichen des Aufbegehrens gehisst hatten. Unter den Anführern der kleinen Revolution war neben drei südslawischen Matrosen auch Franz Rasch: Der junge Mann kam aus einer deutsch-tschechischen Familie und wurde in Mähren geboren. Jiří Lapáček leitet das Archiv in Raschs Geburtsstadt Přerov / Prerau. Er hat sich mit der Familiengeschichte des Seefahrers beschäftigt:

„Franz Rasch wurde am 9. 12. 1889 in Přerov / Prerau geboren. 1895 zog seine Familie dann nach Troppau. Sein Vater war Schneider. Als Handwerkgeselle war dieser in Wien, wo er höchstwahrscheinlich seine künftige Frau Kateřina kennenlernte.“

Franz Rasch  (Foto: Public Domain)
Mit ihr lebte der Vater zunächst in Prerau. Dort kam schließlich Franz zur Welt. In seinem sechsten Lebensjahr zog die Familie nach Opava / Troppau um:

„Das Schneiderhandwerk war wenig ertragsreich. Die Zeit in Přerov war nicht sehr glücklich für die Familie. Der Vater griff daher gerne nach der Gelegenheit, die sich ihm in Troppau bot. Dort bekam er nämlich eine Stelle als Postbeamter.“

Der kleine Franz besuchte in Troppau die Grundschule:

„Höchstwahrscheinlich absolvierte der junge Franz fünf Klassen der deutschen Gemeindeschule und später drei Klassen der Bürgerschule, die er 1903 abgeschlossen hat. Er ging weiter in die Handelsschule, und daneben ließ er sich in einem Eisenwarenladen in Troppau zum Handelsgehilfen ausbilden. Sobald er seine Lehre im Jahr 1905 abgeschlossen hatte, ging er nach Šibenik und schrieb sich dort in eine Schule für Schiffsjungen ein.“

Matrose aus Mähren

K. u. k. Kriegsflotte  (Foto: Library of Congress,  Public Domain)
Und damit begann die Karriere des mitteleuropäischen Binnenländers auf hoher See:

„Die Militärschule dauerte zwei Jahre. Darauf folgte der Militärdienst. Rasch verbrachte die Jahre 1905 bis 1913 auf dem Meer oder auf verschiedenen Marinestützpunkten.“

Den Ersten Weltkrieg verbrachte Rasch bei der k. u. k. Kriegsflotte. Anfang 1918 ankerte er dann in Kotor, einem Adria-Hafen im heutigen Montenegro. Dort befand sich die neben Pola zweitwichtigste Marinebasis der Donaumonarchie. In die Geschichte eingegangen ist die Bucht von Kotor, italienisch Bocche di Cattaro, vor allem als Schauplatz einer der größten Meuterei der neueren Kriegsgeschichte. Und Franz Rasch spielte dabei eine entscheidende Rolle.

Panzerkreuzer St. Georg  (Foto: Public Domain)
Schauplatz der Revolte waren der Panzerkreuzer St. Georg und das Wohnschiff Gäa. Am 1. Februar 1918 nahmen die Mannschaften der Kriegsschiffe ihre Offiziere in Gefangenschaft, wählten Matrosenräte und hissten die rote Fahne. Die wesentlichen Forderungen waren politischer Natur: die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der Nationen und ein sofortiger Friedensschluss auf Grundlage des 14-Punkte-Programms des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson. Außerdem forderten die Seeleute auch eine Verbesserung ihrer eigenen Lebensumstände: Weglassen jeder unnötiger Arbeit und Exerzitien infolge von Unterernährung. Mehr Landgang und von längerer Dauer. Heimaturlaub in der Dauer von 21 Tagen ohne Reisetage, und das mindestens einmal innerhalb von sechs Monaten. Gerechte Verteilung der Schiffskost. Für Stab und Mannschaft eine Einheitsküche. Bessere Versorgung mit Tabak, mit gleichen Rationen für Staab und Mannschaft. Abschaffung der Briefzensur…

Rädelsführer der Meuterei

Foto: Public Domain
Über den Verlauf des Aufstands erfährt man aus dem Ermittlungsprotokoll des Gerichts des k. u. k. Kriegshafenkommandos, das im Staatsarchiv in Wien aufbewahrt wird. Der Bootsmann Franz Rasch, eine der wichtigsten Personen der Meuterei, trat erst am zweiten Tag der Meuterei auf den Plan, Zitat:

„Die Deputation, die am 2.II. um ½ 12 Uhr v.m. beim Admiral erschien, war wohl schon bei der ersten Besprechung vom Vorabend vorgesehen worden. Die neuen Forderungen unterschieden sich wesentlich von den früheren, verraten die vorsichtige und einem guten Kopf entsprungene Konception und weisen durch die neue Zusammensetzung der Deputierten auf neue, bisher nicht hervorgetretene führende Kräfte hin. In dieser Deputation tritt zum ersten Mal der Rädelsführer Rasch auf, der bald darauf, etwas nach 1 Uhr nachmittags den Seefährich Sesan an Bord brachte. Es drängt sich deshalb und besonders wegen des eigentümlich sicheren Auftretens des tit. Bootsmannes Rasch einerseits der Gedanke auf, dass schon die neuen Forderungen Nr. 14 von Sesan inspiriert sind, andererseits der Gedanke, dass Sesan nicht zu den Urhebern der Bewegung gehörte, die gar nicht organisiert war.“

Einige Seiten weiter erfahren wir über Rasch:

„Im weiteren Verlauf dieser Unterredung machte Rasch, dem gemeldet wurde, dass S.H.S. ‚Rudolf‘ dampf- und gefechtsbereit auf Seite der Meuterer sei, auf die Warnung des Admirals, dass das KHK mit dem angedrohten, gewaltsamen Einschreiten ernst machen werde, die Bemerkung, dass seitens der Meuterer Gegengewalt angewendet werden würde. Er hat auch als Einziger die Bewegung ‚Revolution‘ genannt.“

„Ohne die Böhmen wäre die Empörung bereits am ersten Tag zusammengebrochen.“

Doch bereits am zweiten Tag verbreitete sich Skepsis unter den Matrosen. Eine zum Kriegshafenkommandanten Feldzeugmeister Guscek entsandte Deputation wurde nicht vorgelassen. Den Revoltierenden wurde vielmehr eine Frist zur bedingungslosen Kapitulation gestellt. Im Hafen wurden loyale bosnisch-herzegowinische und dalmatinische Truppen zusammengezogen. Als am Morgen des 3. Februar eine von deutschen U-Booten unterstützte Flottendivision aus Pola eintraf, brach der Aufruhr in sich zusammen.

Jindřich Marek | Foto: Šárka Ševčíková,  Tschechischer Rundfunk
Unter den Matrosen überwogen Vertreter der südslawischen Völker. Rasch war aber nicht der einzige Matrose aus den böhmischen Ländern, der bei der Revolte eine Rolle spielte. Militärhistoriker Jindřich Marek:

„Als die Meuterei nach drei Tagen niedergeschlagen wurde, erklärten Admiral Hansa und manche weitere Offiziere der österreichisch-ungarischen Flotte, ohne die Böhmen wäre die Empörung bereits am ersten Tag zusammengebrochen.“

Marek nennt einen weiteren Meuterer aus Böhmen:

„Rudolf Kreibich war ein Prager, der Musiker in der Schiffskapelle des Kreuzers St. Georg gewesen war. Er war eine Art ideologischer Führer und versuchte die Matrosen zu organisieren. Einige der heißblütigen Italiener und Kroaten zerstörten nämlich in der ersten Phase der Meuterei alles, was ihnen in die Quere kam. Die böhmischen Matrosen forderten hingegen einen organisierten und rationalen Rahmen des Aufstands.“

Auch Kreibichs Name finden wir im Ermittlungsprotokoll zum Gerichtsverfahren, laut dem Papier sollte er angeklagt werden. Folgendes soll er sich zu Schulden kommen lassen haben, Zitat:

„Rudolf Kreibich hat, obwohl ihm das als Musikmeister nicht anging, dem Profossen Miculich gleich nach Ausbruch der Bewegung befohlen, den Dienst weiter so, wie vorher zu regeln, hat am selben Tage gegen 4 Uhr n.m. bei der Löhnungsauszahlung gesagt: ‚Schnell, schnell, die Offz. werden bald isoliert, wir werden sie nicht herumlaufen lassen!‘ Er hat, als Musikmeister, am 2./II. den Dienst als Wachoffz. versehen und, als er um 9 Uhr abends die Generalrunde machte, zum Stabseinjährigen Farkas gesagt: ‚Sie haben Habt acht zu stehen, wenn ich vorbei gehe‘ und hat ihn zum Rapport bestimmt.“

Foto: Szojak,  CC BY-SA 4.0
Außerdem soll er einen Matrosen gezwungen haben, falsche Aussagen zu tätigen, und gegen das Streichen der roten Flagge gesprochen haben.

Am 3. Februar morgens fand eine Abstimmung der Matrosen auf Deck statt, wobei das Ende der Revolte beschlossen wurde. 800 von ungefähr 5000 am Aufstand beteiligten Männern wurden verhaftet und vor ein Gericht gestellt. Vier Rädelsführer des Aufstands wurden standrechtlich erschossen. Franz Rasch, Anton Grabar, Jerko Šižkorić und Mate Brničević wurden in einem gemeinsamen Grab in Škaljari bestattet. In seiner mährischen Heimat wird an den Matrosen erinnert. Archivleiter Jiří Lapáček:

„In Přerov wurde ein Stadtplatz nach Franz Rasch benannt. Dort wurde 1958 seine Büste enthüllt.“

Büste von Franz Rasch in Přerov  (Foto: Palickap,  CC BY-SA 4.0)
Am 11. Februar, dem 100. Todestag von Franz Rasch, wird dort des Matrosen gedacht. Anlässlich des Jahrestages wird auch ein Buch von Jiří Lapáček mit dem Titel „Franz Rasch und die Meuterei in Cattaro“ feierlich eingeweiht. Begossen wird es dabei mit dem Wasser aus dem mährischen Fluss Bečva und aus der Bucht von Kotor.