Deutsche Investitionen in Tschechien
Weit über 1000 deutsche Unternehmen sind in Tschechien engagiert. Aus keinem anderen Land sind in den vergangenen Jahren so viele Direktinvestitionen hierher geflossen wie aus der Bundesrepublik. Mit dem Beitritt der Tschechischen Republik zur Europäischen Union am 1. Mai könnte sich diese Entwicklung weiter verstärken. Wir nehmen das zum Anlass, in unserem Wirtschaftsmagazin in den kommenden Wochen einige deutsche Firmen vorzustellen, die in Tschechien bereits aktiv sind. Für einen ersten Überblick zum Auftakt dieser Serie über deutsche Investitionen in Tschechien sprach Sybille Korte mit Andreas Schäfer, dem Leiter der Abteilung Volkswirtschaft in der Deutsch-Tschechischen Industrie- und Handelskammer.
Die deutsche Wirtschaft hat sich seit Anfang der 90er Jahre stark engagiert in Tschechien: Volkswagen ist bei Skoda eingestiegen, Siemens hat inzwischen neun Produktionsstätten in Tschechien aufgebaut. Miele lässt hier Waschmaschinen herstellen. Die Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerke RWE haben im vergangenen Jahr für rund 4,1 Milliarden Euro den tschechischen Konzern Transgas übernommen. Die Discount-Kette Lidl macht seit Juli den Penny und Plus Märkten Konkurrenz. Die Aufzählung ließe sich noch lange fortsetzen - Seit 1993 haben deutsche Unternehmen rund 11,4 Milliarden Euro in Tschechien investiert. Das entspricht einem Drittel aller ausländischen Direktinvestitionen hier. Von der verarbeitenden und Automobilindustrie über die Energiewirtschaft, die Konsumgüterproduktion und den Einzelhandel bis hin zu Dienstleistern. Was macht Tschechien so attraktiv für die deutsche Wirtschaft? Andreas Schäfer von der deutsch-tschechischen Industrie- und Handelskammer sieht mehrere Gründe.
"Das Land ist offen für ausländische Investoren, Tschechien hat sehr viel privatisiert, wobei auch ausländische Unternehmen zum Zuge gekommen sind. Und Tschechien hat mehrere Standortvorteile, die natürlich von deutschen Unternehmen besonders genutzt werden, weil das Land direkt angrenzt an Deutschland. Zu den Standortvorteilen zählen das weiterhin recht moderate Lohnniveau, die Infrastruktur und - zumindest für techchnische Berufe - noch immer ein recht vernünftiges Ausbildungsniveau. Wobei wir beim Ausbildungsniveau merken, jetzt wo die Löhne ansteigen, versuchen die Unternehmen auch anspruchsvollere Tätigkeiten nach Tschechien zu verlagern. Uund da reicht es eben nicht mehr aus, Leute zu haben, die die normale technische Ausbildung haben. Da braucht man richtige Spezialisten und muss dafür sorgen, dass die Leute auch nach der Schule sich weiterhin ausbilden können. Und wir merken, dass beispielsweise die Berufsbildung in Tschechien noch immer ein Bereich ist, wo starker Verbesserungsbedarf ist, beispielsweise weil Berufsschulen nicht praxisorientiert genug sind oder weil die materielle Ausstattung mit Geräten häufig noch unzureichend ist."
Das ist allerdings nicht das einzige Problem für ausländische Investoren in Tschechien. Wer hier ein Unternehmen gründen will, braucht erst einmal sehr viel Geduld. Laut einer gerade veröffentlichten Studie der Weltbank schleppt sich eine Unternehmensgründung in Tschechien mehr als 80 Tage hin, also fast drei Monate. Die Mühlen der tschechischen Bürokratie mahlen langsam. Andreas Schäfer von der deutsch-tschechischen Handelskammer.
"Das ist ein Problem, mit dem alle Firmen zu tun haben, ausländische wie tschechische. Gründe sind beispielsweise das Handeslregister, wo es immer noch zu Wartezeiten von mehreren Monaten kommen kann. Und bevor Sie im Handelsregister stehen, können Sie als Unternehmer keine Geschäfte tätigen, keine Verträge abschließen."
Wird da etwas gemacht, haben Sie das Gefühl, dass sich da etwas entwickelt?
"Leider hat sich bislang beim Handelsregister speziell noch nichts getan. Da sind wir noch dabei, über das Euro-Czech-Forum - das ist ein gemeinsamer Zusammenschluss von verschiedenen Außlandshandelskammern, die hier in Tschechien sind - dafür zu sorgen, dass das Handelsregister effizienter wird, dass die Ausbildung der Mitarbeiter besser wird, die personelle Ausstattung, und dass auch die Korruption, die in diesem Bereich leider immer noch grassiert, stärker bekämpft wird."
Die tschechische Regierung geht nicht energisch genug gegen Korruption vor, kritisiert auch die internationale Organisation "Transparency International" in ihrem Anfang Oktober veröffentlichten Jahresbericht. In dieser vergleichenden Studie zur Korruptionsbekämpfung in über 130 Ländern ist Tschechien in den vergangenen Jahren sogar noch zurückgefallen auf Platz 54. Diesen Platz teilt es sich mit Brasilien und Bulgarien. Über Korruption klagen auch die deutschen Unternehmen weiter in der alljährlichen Stimmungsumfrage der deutsch-tschechischen Industrie- und Handelskammer. Da habe sich in den vergangenen drei, vier Jahren nichts verbessert, sagt Andreas Schäfer.
"Also Korruption ist mittlerweile überwiegend im öffentlichen Bereich anzutreffen. Im privaten Bereich ist sie stark zurückgegangen seit 89. Im öffentlichen Bereich ist es immer noch so, dass beispielsweise diese langen Wartezeiten, die Sie bei Einträgen ins Handelsregister, die Sie bei Unternehmensgründungen, die Sie bei Betriebserlaubnissen haben - die führen dazu, dass natürlich manche Beamte sagen: Gut, es kann auch schneller gehen, dazu müssen Sie einen gewissen finanziellen Beitrag leisten."
Doch nicht nur die Schmiergeldzahlungen machen den ausländischen Investoren zu schaffen, erläutert Schäfer.
"Bei der Bürokratie haben Sie neben der Korruption noch eine ganze andere Reihe anderer Probleme. Das eine sind die Wartezeiten, das andere sind teils intransparente Verfahren, sowohl bei Gerichten als auch bei Genehmigungen als auch bei öffentlichen Ausschreibungen. Das heißt: öffentliche Aufträge nicht an denjenigen, der das beste Angebot macht, sondern der die besten Verbindungen hat."
Korruption, lange Wartezeiten, Bürokratie und undurchsichtige Verfahren - mit diesen Problemen haben alle ausländischen Investoren in Tschechien zu kämpfen. Doch stoßen deutsche Unternehmen außerdem noch auf besondere Schwierigkeiten aufgrund der jüngsten Geschichte? Welche Rolle spielt die Geschichte in den wirtschaftlichen Beziehungen beider Länder? Andreas Schäfer:
"Die Investoren, die hier sind, sind pragmatisch. Das Gleiche gilt auch für die tschechische Regierung, die auch sagt: Wir wollen das Land voranbringen, wir wollen, dass Unternehmer, egal woher sie kommen, hier in Tschechien Knowhow reinbringen, Arbeitsplätze schaffen, Kapital ins Land bringen. Und genauso sehen das auch die Unternehmen. Sie sind deshalb in Tschechien, weil sie für ihr Unternehmen dort Marktchancen sehen und die Chancen sehen zu produzieren zu konkurrenzfähigen Preisen."Gibt es da Situationen, wo man gelegentlich auf Ressentiments gegen die Deutschen stößt, also aufgrund der Nazibesatzung, aufgund dessen, was im Zweiten Weltkrieg hier passiert ist?
"Die Fälle gibt es, wobei sie die Ausnahme bilden."
Die deutschen Investoren setzen große Hoffnungen in den Beitritt zur Europäischen Union. Das zeigt die jüngste Umfrage der deutsch-tschechischen Industrie- und Handelskammer. Fast 70 Prozent der deutschen Unternehmen in Tschechien halten eine EU-Mitgliedschaft des Landes für vorteilhaft. Sie erwarten vor allem Handelserleichterungen, eine verbesserte Rechtssicherheit und weniger Hürden bei der Entsendung ihrer Mitarbeiter. Schäfer formuliert die Erwartungen etwas bescheidener:
"Wir erwarten keine dramatischen Änderungen in den meisten Bereichen. Starke Veränderungen wird es auf jeden Fall bei der Zollabfertigung geben. Sie haben ab 1. 5. 2004 keine Zölle mehr, keine Zollgrenzen mehr, was natürlich den Warenaustausch stark vereinfachen wird. Was wir leider nur sehr schrittweise haben werden, sind die Veränderungen bei Justiz und Verwaltung. Also die Probleme, die wir in Tschechien schon jetzt haben mit Bürokratie, mit langsamen Verwaltungsvorgängen, mit Korruption, die werden sich natürlich zum 1. 5. 2004 nicht plötzlich verflüchtigen, sondern die werden auch weiter bestehen, wobei wir natürlich hoffen, dass es im Zuge des EU-Beitritts auch dort zu Verbesserungen kommen wird."
Die Lkw-Fahrer und Transportunternehmen werden also als erste vom EU-Beitritt profitieren. Die langen Lastwagen-Schlangen an den Grenzübergängen haben dann hoffentlich ein Ende. Und vielleicht finden dann auch mehr tschechische Produkte den Weg in die Regale des deutschen Einzelhandels.