Die Abenteuer von Eskimo Welzl

Jan Welzl
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Jan Welzl war wohl der erste Tscheche, der in der Arktis gelebt hat – dabei klingt seine Geschichte fast unglaublich. Vor 145 Jahren wurde dieser Abenteurer geboren, der sich als Eskimo Welzl weltweit einen Namen machte. Bis heute wird er in Tschechien verehrt.

Jan Welzl
1924 sank vor der kalifornischen Küste das Schiff Seven Sisters. Unter den geretteten Schiffbrüchigen befand sich ein außerordentlich seltsamer Mann. Dieser behauptete, Eskimohäuptling und oberster Richter auf der zur Sowjetunion gehörenden Inselgruppe Neusibirien zu sein. Zudem erklärte er, er sei Bürger der österreich-ungarischen Monarchie. Dass diese seit sechs Jahren nicht mehr existierte, wusste der Schiffbrüchige nicht. Jan Welzl heiße er und sei in Zábřeh in Mähren im Jahre 1868 zur Welt gekommen. Die Amerikaner wollten den verdächtigen Ausländer, der über keinerlei Papiere verfügte, so schnell wie möglich loswerden und schickten ihn nach Europa. Das tschechoslowakische Konsulat in Hamburg sollte sich um den Bürger der neu entstandenen Tschechoslowakei kümmern. Und so kam es, dass nicht nur seine alte Heimat, sondern alle Welt von den Abenteuern des Eskimo Welzl erfuhren.

Genua in den 1880er Jahren
Eskymák Welzl oder Eskimo Welzl, Onkel Eskimo, Bärenesser, Eskimohäuptling, Arctic Bismarck - unter diesen Namen wurde Jan Welzl, der am 15. August 1868 in Mähren das Licht der Welt erblickte, bekannt. Schon früh scheint ihn das Fernweh gepackt zu haben. Bereits als 16-Jähriger reiste Welzl als Handwerksgeselle nach Genua und von dort über Bosnien, Serbien und Rumänien wieder nach Hause. Doch diese Reise reichte dem wanderlustigen Gesellen wohl nicht - im Gegenteil, sie hatte ihm einen Geschmack von der weiten Welt gegeben.

Wladiwostok
Vier Jahre später ist Jan Welzl wieder in Genua. Diesmal allerdings heuert er als Heizer auf einem Schiff an und fährt mit diesem nicht nur nach Amerika, sondern auch entlang der afrikanischen Küste quer durch den Indischen Ozean bis nach China und schließlich Wladiwostok. Dort hört er vom Bau der Transsibirischen Eisenbahn und beschließt, am Baikalsee sein Glück zu versuchen. 1893, als 25-Jähriger, fasste er dann den eigenen Worten zufolge den Plan, in den unbekannten Norden aufzubrechen:

Foto: Archiv des Museums Zábřeh
„Oft überlege ich, wann mir eigentlich die Idee kam, Irkutsk in Richtung Norden zu verlassen. Das erste Mal kam mir dieser Gedanke wohl im Sommer 1893, als ich beim Bau der sibirischen Eisenbahn beschäftigt war. Dort kamen alle möglichen Menschen zusammen, abends erzählte man sich, und ich erfuhr dort so einiges. Einige Arbeiter erzählten, dass der hohe Norden eine Gegend sei, in der sich jener selbständig machen kann, der gute Hände und einen guten Kopf hat. Ich war jung und mein Kopf war voller Träume von der weiten Welt - also, warum sollte ich nicht von hier durch den Norden bis ans Eismeer ziehen?"

Gesagt, getan - Jan Welzl kaufte sich ein Pferd und einen Karren und begann seine mehrjährige Reise durch den Nordosten Sibiriens. Er folgte dem Fluss Lena bis er Jakutsk erreichte, dann ging es weiter am Fluss Kolyma bis ans Eismeer. Vier Jahre lang zog Welzl durch den Norden Sibiriens ohne Landkarte.

„Ich war kein gebildeter Mensch, in Landkarten kannte ich mich nicht aus, aber ich wusste, dass ich immer Richtung Norden muss. Ich habe mir gesagt, dass ich kein Zuhause habe. Schaffe ich es, dann schaffe ich es, und wenn nicht, dann halt nicht. Niemand würde um mich weinen, wenn ich dort umkomme."

Jan Welzl überlebte seine vierjährige Reise durch Sibirien, auch wenn er oftmals dem Tod nahe war:

„Auf meiner Reise kam ich in Gegenden, wo niemand mehr wohnte und ich keine Verpflegung kaufen konnte. Mein Magen war dann schon ganz vergiftet von all den Beeren und Kräutern. Sooft schmerzte mein Bauch, dass ich einfach liegen blieb und dachte, jetzt hat meine letzte Stunde geschlagen."

Einige Zeit war Welzl als Walfänger im hohen Norden unterwegs. Um 1900 ließ er sich dann angeblich von einem Walfängerboot auf den scheinbar unbewohnten neusibirischen Inseln im Eismeer aussetzen:

Neusibirische Inseln  (Foto: NASA/GSFC,  Free Domain)
„Wir haben uns verabschiedet, und bald stand ich alleine auf dem Sandstrand. Gemeinsam hatten wir noch die Kisten an Land getragen, die alles Notwendige enthielten. Der letzte Händedruck, dann sprangen die Männer wieder ins das Boot und ruderten davon. Und ich fühlte mich als Polar-Robinson."

Über 20 Jahre lebte Eskimo Welzl eigenen Angaben zufolge in der Eiswüste Neusibiriens in einer aus dem Fels gesprengten Höhle. Mit der Zeit soll Welzl einen florierenden Handel eröffnet haben und sich unter Eskimos und Abenteuern Respekt verschafft haben. Sein gesellschaftlicher Aufschwung im Eismeer gipfelte in der Wahl zum Eskimohäuptling:

„Nach meiner Wahl war ich für die Verfolgung von Verbrechern verantwortlich und habe das Gericht nach Indianerrecht geleitet. Ich habe Todesurteile und Freisprüche ausgesprochen, ich war, wie man sagen könnte, der Oberste Richter der Indianerjustiz."

Doch auch finanziell soll es dem Eskimohäuptling sehr gut gegangen sein. Er kaufte und verkaufte Felle, versorgte Eskimos und Abenteurer mit Waren, reparierte Fallen und betätigte sich als Briefträger. Seine Handelsreisen führten ihn nach Alaska und Kalifornien. Bald war Welzl Besitzer eines eigenen Schiffes und scheint sich auf ein sorgenfreies Leben im Alter gefreut zu haben - bis zu jenem Schiffbruch im Jahre 1924, der ihn aus seinen geliebten Polarkreis in das ferne und unbekannte Europa katapultierte.

Ein Brief von Jan Welzl
In Hamburg, seiner ersten Station in Europa, glaubte zunächst niemand den Erzählungen dieses selbsternannten Eskimohäuptlings - zu unwahrscheinlich klangen seine Ausführungen. Doch einige Wissenschaftler hörten dem Seebären während seiner Vorträge in Kneipen zu und wunderten sich über seine genauen Ortskenntnisse von Gegenden, in die gerade die ersten Expeditionen aufbrachen. Jan Welzl musste in Europa wieder an Geld kommen, denn er wollte in seine Höhle in Neusibirien zurückkehren. Und da kam ihm der geniale Einfall: Er schrieb an die tschechische Tageszeitung Lidové Noviny, ob diese nicht Interesse an seinen Erlebnissen und Abenteuern hätte. Und in der Tat, sie hatte.

„30 Jahre im Goldenen Norden“  (Foto: Mladá Fronta Verlag)
100 Tage lang soll Jan Welzl zwei Redakteuren der Brünner Zeitung erzählt haben, über 2000 Seiten Manuskript beschrieben diese - und in mühevoller Kleinarbeit brachten sie die unzusammenhängenden Erzählungen des tschechischen Eskimos in Buchform. Das muss eine gewaltige Arbeit gewesen sein, denn Welzl soll in seinen Erzählungen dauernd von Sibirien nach Alaska, vom Eismeer nach Kalifornien, vom Jahre 1900 ins Jahr 1920 gesprungen sein. Die beiden jungen Journalisten hatten wohl oftmals keine Ahnung, worüber der alte Abenteurer da eigentlich gerade sprach. 1930 erschien das Buch „30 Jahre im Goldenen Norden“ und wurde ein Riesenerfolg. Nicht nur in der Tschechoslowakei wurde das Buch von den Lesern verschlungen, sondern es wurde auch in Englisch, Deutsch und viele andere Sprachen übersetzt. In den USA gewann es sogar einen Literaturpreis. Wissenschaftler runzelten eher die Stirn: Die neusibirischen Inseln, auf denen Welzl angeblich Eskimohäuptling gewesen war und Handel betrieben hatte, galten als unbewohnt. Auch weitere Beschreibungen seiner Abenteuer waren den Gelehrten nicht geheuer - und so geriet Welzl in den Ruf, ein gerissener Hochstapler zu sein, der sich alles nur ausgedacht hatte.

„Auf den Spuren der polaren Schätze“  (Foto: Fr. Borový Verlag)
Vier Jahre verbrachte Welzl in Europa. Seine Popularität war enorm. In der Tschechoslowakei wurde er sogar von Präsident Tomáš G. Masaryk empfangen. Die Vorworte für seine Bücher „Eskimo Welzl“, „30 Jahre im Goldenen Norden“ und „Auf den Spuren der polaren Schätze“ verfasste der bekannte tschechische Schriftsteller Karel Čapek. Welzl diente ihm als Inspiration für eine literarische Gestalt in seinem Roman „Der Krieg mit den Molchen“.

Als Welzl 1930 genug Geld zusammenhatte, reiste er erneut nach Kanada. Sein Ziel war Alaska und dann seine Höhle auf Neusibirien, doch diese erreichte er nicht mehr. In den USA galt noch immer seine Ausweisung aus dem Jahr des Schiffsbruchs, und ein neues Visum bekam Welzl nicht. Neusibirien war zudem inzwischen Teil der Sowjetunion, im Zeitalter der Reisepässe, Visa und Aufenthaltsgenehmigungen machte dies eine Einreise für den alten Ehreneskimo unmöglich. Welzl ließ sich im kanadischen Goldgräberstädtchen Dawson nieder. Ende der 30er Jahre verlor sich vorerst seine Spur. Erst Ende der 50er Jahre wurde in seiner alten Heimat bekannt, dass der bekannteste tschechoslowakische Polarreisende am 19. September 1948 im Alter von 80 Jahren dort verstorben sei. In Dawson liegt Eskimo Welzl begraben - sein Grab soll die Touristenattraktion sei, die von allen Tschechen, die es in den hohen Norden verschlagen hat, aufgesucht wird.

Jan Welzl
Nicht jeder glaubte dem, was in Welzls Büchern zu lesen war. Der bekannteste nordamerikanische Polarforscher jener Zeit bezichtigte Welzl der Lüge. Ja, manche waren sogar überzeugt, dass der Ehreneskimo niemals im hohen Norden gelebt und sich alles nur ausgedacht hatte. Jan Welzl trug sicher zu diesen Spekulationen bei. Einmal gestand er gerne zu übertreiben:

„Ich dachte, wenn die Leute mich hier so schön begrüßen und ehren, dann verdienen sie es auch, ein schönes Märchen von mir zu hören."

Doch nicht alle Übertreibungen und Ungereimtheiten dürften auf den ungebildeten Weltreisenden zurückgehen. Die beiden Redakteure, die sein stundenlanges Gefasel in Buchform brachten, hatten keine Ahnung vom hohen Norden und dem Leben jenseits des Polarkreises. Einige Ungenauigkeiten sind sicher auf ihre Interpretationen zurückzuführen. In einem Vorwort hieß es denn auch:

„Der urteilsfähige Leser unterscheidet leicht die direkten Erfahrungen Welzls von den gehörten Halbwahrheiten oder Märchen, er erkennt, was der Wahrheit entspricht und was das reizende Resultat menschlicher Leichtgläubigkeit ist und wo den Geschichten anderer zu großer Glaube geschenkt wurde."



Jan Welzl verstarb vor 65 Jahren in Dawson  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Nicht jeder Leser mag die Unterschiede erkannt haben, viele nahmen sicher alle Erzählungen für bare Münze, andere wiederum lasen die Bücher als spannende, aber nicht der Wahrheit entsprechende Romane. Wie auch immer, Jan Welzl hat von seinem Weltruhm, von den Übersetzungen seiner Bücher in viele Sprachen nichts gewusst. All die Buchhonorare erreichten ihn nie im kanadischen Dawson. Dort verstarb er vergessen und verarmt vor 65 Jahren.


Dieser Beitrag wurde am 30. August 2003 gesendet. Heute konnten Sie seine Wiederholung hören.

Autor: Katrin Bock
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